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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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ich. Darf ich nicht wissen, ob die Fräulein Ho-
we
meinen Aufsatz gebilliget hat? Jch weiß, daß
sie meine Feindin ist. Jch war eben im Begriff,
ihnen zu sagen, woher die Veränderung in meiner
Aufführung rühret, deren sie mich beschuldigen: al-
lein sie waren so heftig, daß ich es nicht wagen durf-
te. Sie waren gewiß sehr heftig, liebstes Kind. Glau-
ben sie nicht, daß es mir nahe gehen muß, wenn
mein Wunsch immer von einer Zeit zur andern
aufgeschoben wird, weil ihr überwiegendes Verlan-
gen ist, daß sie sich mit Leuten aussöhnen wol-
len, die selbst zu keiner Versöhnung Lust haben?
Dieses war die Ursache, daß sie sich nicht wollten
trauen lassen, ehe wir nach London kamen, ob-
gleich ihre Schwester und ihre gantze Familie ih-
nen so rau und unerträglich begegnet, und ich sie so
flehentlich bat. Dieses war die Ursache, daß ih-
nen meine vier Freunde so misfällig und ärgerlich
waren; und daß sie sich so sehr entrüsteten, als
ich einen vergeblichen Versuch that, einen Brief
der Fräulein Howe zu sehen, da ich ohnmöglich
dencken konnte, daß es eine Tod-Sünde sey, Brie-
fe zu lesen, die ein Frauenzimmer an das andere
schriebe. Dieses war die Ursache, daß sie mich
eine Woche lang nicht sprechen wollten, bis sie
wußten, was sie bey ihrem Onckel ausrichten wür-
den. Nachdem aber dieser Versuch fruchtlos war;
nachdem sie meinen Aufsatz kaltsinnig angenommen,
und ihn nach meinem Rathe an die Fräulein Ho-
we
gesandt hatten, um ihn mit ihr zu überlegen;
nachdem sie mir die Ehre erzeiget hatten, an dem

Sonn-



ich. Darf ich nicht wiſſen, ob die Fraͤulein Ho-
we
meinen Aufſatz gebilliget hat? Jch weiß, daß
ſie meine Feindin iſt. Jch war eben im Begriff,
ihnen zu ſagen, woher die Veraͤnderung in meiner
Auffuͤhrung ruͤhret, deren ſie mich beſchuldigen: al-
lein ſie waren ſo heftig, daß ich es nicht wagen durf-
te. Sie waren gewiß ſehr heftig, liebſtes Kind. Glau-
ben ſie nicht, daß es mir nahe gehen muß, wenn
mein Wunſch immer von einer Zeit zur andern
aufgeſchoben wird, weil ihr uͤberwiegendes Verlan-
gen iſt, daß ſie ſich mit Leuten ausſoͤhnen wol-
len, die ſelbſt zu keiner Verſoͤhnung Luſt haben?
Dieſes war die Urſache, daß ſie ſich nicht wollten
trauen laſſen, ehe wir nach London kamen, ob-
gleich ihre Schweſter und ihre gantze Familie ih-
nen ſo rau und unertraͤglich begegnet, und ich ſie ſo
flehentlich bat. Dieſes war die Urſache, daß ih-
nen meine vier Freunde ſo misfaͤllig und aͤrgerlich
waren; und daß ſie ſich ſo ſehr entruͤſteten, als
ich einen vergeblichen Verſuch that, einen Brief
der Fraͤulein Howe zu ſehen, da ich ohnmoͤglich
dencken konnte, daß es eine Tod-Suͤnde ſey, Brie-
fe zu leſen, die ein Frauenzimmer an das andere
ſchriebe. Dieſes war die Urſache, daß ſie mich
eine Woche lang nicht ſprechen wollten, bis ſie
wußten, was ſie bey ihrem Onckel ausrichten wuͤr-
den. Nachdem aber dieſer Verſuch fruchtlos war;
nachdem ſie meinen Aufſatz kaltſinnig angenommen,
und ihn nach meinem Rathe an die Fraͤulein Ho-
we
geſandt hatten, um ihn mit ihr zu uͤberlegen;
nachdem ſie mir die Ehre erzeiget hatten, an dem

Sonn-
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[248/0254] ich. Darf ich nicht wiſſen, ob die Fraͤulein Ho- we meinen Aufſatz gebilliget hat? Jch weiß, daß ſie meine Feindin iſt. Jch war eben im Begriff, ihnen zu ſagen, woher die Veraͤnderung in meiner Auffuͤhrung ruͤhret, deren ſie mich beſchuldigen: al- lein ſie waren ſo heftig, daß ich es nicht wagen durf- te. Sie waren gewiß ſehr heftig, liebſtes Kind. Glau- ben ſie nicht, daß es mir nahe gehen muß, wenn mein Wunſch immer von einer Zeit zur andern aufgeſchoben wird, weil ihr uͤberwiegendes Verlan- gen iſt, daß ſie ſich mit Leuten ausſoͤhnen wol- len, die ſelbſt zu keiner Verſoͤhnung Luſt haben? Dieſes war die Urſache, daß ſie ſich nicht wollten trauen laſſen, ehe wir nach London kamen, ob- gleich ihre Schweſter und ihre gantze Familie ih- nen ſo rau und unertraͤglich begegnet, und ich ſie ſo flehentlich bat. Dieſes war die Urſache, daß ih- nen meine vier Freunde ſo misfaͤllig und aͤrgerlich waren; und daß ſie ſich ſo ſehr entruͤſteten, als ich einen vergeblichen Verſuch that, einen Brief der Fraͤulein Howe zu ſehen, da ich ohnmoͤglich dencken konnte, daß es eine Tod-Suͤnde ſey, Brie- fe zu leſen, die ein Frauenzimmer an das andere ſchriebe. Dieſes war die Urſache, daß ſie mich eine Woche lang nicht ſprechen wollten, bis ſie wußten, was ſie bey ihrem Onckel ausrichten wuͤr- den. Nachdem aber dieſer Verſuch fruchtlos war; nachdem ſie meinen Aufſatz kaltſinnig angenommen, und ihn nach meinem Rathe an die Fraͤulein Ho- we geſandt hatten, um ihn mit ihr zu uͤberlegen; nachdem ſie mir die Ehre erzeiget hatten, an dem Sonn-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/254>, abgerufen am 17.05.2024.