etwas von einem so angenehmen Briefwechsel zu se- hen, da ich jetzund Erlaubniß zu einer so nahen Hoffnung von ihnen habe?
Lassen sie meine Hand los! (sagte sie, und stampfte mit ihren artigen Füssen auf die Erde.) Was un- terstehen sie sich, mein Herr? Nun - - sehe ich - - ich sehe allzu klar - - Mehr konnte sie nicht sagen: sie schnappte erst nach der Luft, und ich dachte, sie würde vor Schrecken und Eifer sogleich eine Ohn- macht bekommen. Nichts von der angenehmen Freundlichkeit, die ihre recht eigene Schönheit ist, war in ihrem liebenswürdigen Gesichte oder in ihrer klingenden Stimme wahrzunehmen.
Nachdem ich so weit gegangen war, so wollte ich ungern meine Beute wieder fahren lassen; ich er- haschte den zusammen gedrückten Brief noch einmahl, Unverschämter Mensch! (sagte sie, und stampfte abermahls.) Um Gottes Willen! Jch lies mir gern meine Beute abnehmen, damit ich nicht an ei- ner Ohnmacht schuld seyn möchte. Jch hatte hie- bey das Vergnügen, daß sich meine Hand zwischen ihren beyden Händen befand, die sich bemüheten, meine Finger mit Gewalt zu öffnen. Wie nahe war damahls mein Hertz meinen Fingern! es schlug mir bis an die äusserste Spitze jedes Fingers, weil mein allerliebstes Kind (obgleich im Unwillen) so vertraut mit mir umging.
So bald sie den Brief hatte, eilete sie der Thür zu. Jch stellete mich in den Weg, schloß die Thür ab, und bat auf die demüthigste Weise um Verge- bung. Kannst du glauben, daß der Harlowische
Kopf
etwas von einem ſo angenehmen Briefwechſel zu ſe- hen, da ich jetzund Erlaubniß zu einer ſo nahen Hoffnung von ihnen habe?
Laſſen ſie meine Hand los! (ſagte ſie, und ſtampfte mit ihren artigen Fuͤſſen auf die Erde.) Was un- terſtehen ſie ſich, mein Herr? Nun ‒ ‒ ſehe ich ‒ ‒ ich ſehe allzu klar ‒ ‒ Mehr konnte ſie nicht ſagen: ſie ſchnappte erſt nach der Luft, und ich dachte, ſie wuͤrde vor Schrecken und Eifer ſogleich eine Ohn- macht bekommen. Nichts von der angenehmen Freundlichkeit, die ihre recht eigene Schoͤnheit iſt, war in ihrem liebenswuͤrdigen Geſichte oder in ihrer klingenden Stimme wahrzunehmen.
Nachdem ich ſo weit gegangen war, ſo wollte ich ungern meine Beute wieder fahren laſſen; ich er- haſchte den zuſammen gedruͤckten Brief noch einmahl, Unverſchaͤmter Menſch! (ſagte ſie, und ſtampfte abermahls.) Um Gottes Willen! Jch lies mir gern meine Beute abnehmen, damit ich nicht an ei- ner Ohnmacht ſchuld ſeyn moͤchte. Jch hatte hie- bey das Vergnuͤgen, daß ſich meine Hand zwiſchen ihren beyden Haͤnden befand, die ſich bemuͤheten, meine Finger mit Gewalt zu oͤffnen. Wie nahe war damahls mein Hertz meinen Fingern! es ſchlug mir bis an die aͤuſſerſte Spitze jedes Fingers, weil mein allerliebſtes Kind (obgleich im Unwillen) ſo vertraut mit mir umging.
So bald ſie den Brief hatte, eilete ſie der Thuͤr zu. Jch ſtellete mich in den Weg, ſchloß die Thuͤr ab, und bat auf die demuͤthigſte Weiſe um Verge- bung. Kannſt du glauben, daß der Harlowiſche
Kopf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0024"n="18"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
etwas von einem ſo angenehmen Briefwechſel zu ſe-<lb/>
hen, da ich jetzund Erlaubniß zu einer ſo nahen<lb/>
Hoffnung von ihnen habe?</p><lb/><p>Laſſen ſie meine Hand los! (ſagte ſie, und ſtampfte<lb/>
mit ihren artigen Fuͤſſen auf die Erde.) Was un-<lb/>
terſtehen ſie ſich, mein Herr? Nun ‒‒ſehe ich ‒‒ ich<lb/>ſehe allzu klar ‒‒ Mehr konnte ſie nicht ſagen: ſie<lb/>ſchnappte erſt nach der Luft, und ich dachte, ſie<lb/>
wuͤrde vor Schrecken und Eifer ſogleich eine Ohn-<lb/>
macht bekommen. Nichts von der angenehmen<lb/>
Freundlichkeit, die ihre recht eigene Schoͤnheit iſt,<lb/>
war in ihrem liebenswuͤrdigen Geſichte oder in ihrer<lb/>
klingenden Stimme wahrzunehmen.</p><lb/><p>Nachdem ich ſo weit gegangen war, ſo wollte<lb/>
ich ungern meine Beute wieder fahren laſſen; ich er-<lb/>
haſchte den zuſammen gedruͤckten Brief noch einmahl,<lb/>
Unverſchaͤmter Menſch! (ſagte ſie, und ſtampfte<lb/>
abermahls.) Um Gottes Willen! Jch lies mir<lb/>
gern meine Beute abnehmen, damit ich nicht an ei-<lb/>
ner Ohnmacht ſchuld ſeyn moͤchte. Jch hatte hie-<lb/>
bey das Vergnuͤgen, daß ſich meine Hand zwiſchen<lb/>
ihren beyden Haͤnden befand, die ſich bemuͤheten,<lb/>
meine Finger mit Gewalt zu oͤffnen. Wie nahe<lb/>
war damahls mein Hertz meinen Fingern! es ſchlug<lb/>
mir bis an die aͤuſſerſte Spitze jedes Fingers, weil<lb/>
mein allerliebſtes Kind (obgleich im Unwillen) ſo<lb/>
vertraut mit mir umging.</p><lb/><p>So bald ſie den Brief hatte, eilete ſie der Thuͤr<lb/>
zu. Jch ſtellete mich in den Weg, ſchloß die Thuͤr<lb/>
ab, und bat auf die demuͤthigſte Weiſe um Verge-<lb/>
bung. Kannſt du glauben, daß der <hirendition="#fr">Harlowiſche</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Kopf</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[18/0024]
etwas von einem ſo angenehmen Briefwechſel zu ſe-
hen, da ich jetzund Erlaubniß zu einer ſo nahen
Hoffnung von ihnen habe?
Laſſen ſie meine Hand los! (ſagte ſie, und ſtampfte
mit ihren artigen Fuͤſſen auf die Erde.) Was un-
terſtehen ſie ſich, mein Herr? Nun ‒ ‒ ſehe ich ‒ ‒ ich
ſehe allzu klar ‒ ‒ Mehr konnte ſie nicht ſagen: ſie
ſchnappte erſt nach der Luft, und ich dachte, ſie
wuͤrde vor Schrecken und Eifer ſogleich eine Ohn-
macht bekommen. Nichts von der angenehmen
Freundlichkeit, die ihre recht eigene Schoͤnheit iſt,
war in ihrem liebenswuͤrdigen Geſichte oder in ihrer
klingenden Stimme wahrzunehmen.
Nachdem ich ſo weit gegangen war, ſo wollte
ich ungern meine Beute wieder fahren laſſen; ich er-
haſchte den zuſammen gedruͤckten Brief noch einmahl,
Unverſchaͤmter Menſch! (ſagte ſie, und ſtampfte
abermahls.) Um Gottes Willen! Jch lies mir
gern meine Beute abnehmen, damit ich nicht an ei-
ner Ohnmacht ſchuld ſeyn moͤchte. Jch hatte hie-
bey das Vergnuͤgen, daß ſich meine Hand zwiſchen
ihren beyden Haͤnden befand, die ſich bemuͤheten,
meine Finger mit Gewalt zu oͤffnen. Wie nahe
war damahls mein Hertz meinen Fingern! es ſchlug
mir bis an die aͤuſſerſte Spitze jedes Fingers, weil
mein allerliebſtes Kind (obgleich im Unwillen) ſo
vertraut mit mir umging.
So bald ſie den Brief hatte, eilete ſie der Thuͤr
zu. Jch ſtellete mich in den Weg, ſchloß die Thuͤr
ab, und bat auf die demuͤthigſte Weiſe um Verge-
bung. Kannſt du glauben, daß der Harlowiſche
Kopf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/24>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.