nicht häflich begegne, und Sie wollen deswegen mit mir zürnen: so kann ich nicht glauben, daß Sie mich eben so vorzüglich lieben, als ich Sie liebe.
Was soll ich nun voran setzen? die Antwort meiner Mutter? oder meine Unterredung mit ihr, als sie mir Nachricht von dem Liebes-Briefe gab, den sie erhalten hatte?
Unsere Unterredung sollen Sie zuerst lesen. Wenn Sie glauben, daß ich sehr frey von dem Hertzen weg geredet habe, so dencken sie nicht dar- an, daß ich vom Jhrem Onckle und von meiner Mutter schreibe, sondern stellen Sie sich bloß zwey alte Verliebte vor, die uns nichts angehen. Die jüngeren Leute vergessen leicht die Ehrerbietung, wenn die, welche ein Recht haben, Ehrerbietung zu sodern, es vergessen, daß sie sich durch ihr Be- tragen Ehrerbietung erwerben müssen.
Stellen Sie sich meine Mutter vor, wie sie zweymahl in mein Closet kam, und wieder weg- gieng, ohne etwas weiter zu thun, als zu husten, ohne daß die Lungen husten wollten, obgleich ihr Gesicht so schwanger von etwas zu seyn schien, das ihr auf dem Hertzen lag, und ihre Lippen immer anfangen wollten zu reden. Das dritte mahl bekam sie mehr Muth: pflantzte sich neben meinen Stuhl, und fing also an zu reden:
Mutter. Jch habe von einer wichtigen Sache mit dir zu reden, Aennichen, wenn du jetzt auf etwas Achtung geben kannst, das uns selbst angehet: und nicht die Vorsorge für andere dich untüchtig macht, an das nöthigere zu gedencken.
(Eine
nicht haͤflich begegne, und Sie wollen deswegen mit mir zuͤrnen: ſo kann ich nicht glauben, daß Sie mich eben ſo vorzuͤglich lieben, als ich Sie liebe.
Was ſoll ich nun voran ſetzen? die Antwort meiner Mutter? oder meine Unterredung mit ihr, als ſie mir Nachricht von dem Liebes-Briefe gab, den ſie erhalten hatte?
Unſere Unterredung ſollen Sie zuerſt leſen. Wenn Sie glauben, daß ich ſehr frey von dem Hertzen weg geredet habe, ſo dencken ſie nicht dar- an, daß ich vom Jhrem Onckle und von meiner Mutter ſchreibe, ſondern ſtellen Sie ſich bloß zwey alte Verliebte vor, die uns nichts angehen. Die juͤngeren Leute vergeſſen leicht die Ehrerbietung, wenn die, welche ein Recht haben, Ehrerbietung zu ſodern, es vergeſſen, daß ſie ſich durch ihr Be- tragen Ehrerbietung erwerben muͤſſen.
Stellen Sie ſich meine Mutter vor, wie ſie zweymahl in mein Cloſet kam, und wieder weg- gieng, ohne etwas weiter zu thun, als zu huſten, ohne daß die Lungen huſten wollten, obgleich ihr Geſicht ſo ſchwanger von etwas zu ſeyn ſchien, das ihr auf dem Hertzen lag, und ihre Lippen immer anfangen wollten zu reden. Das dritte mahl bekam ſie mehr Muth: pflantzte ſich neben meinen Stuhl, und fing alſo an zu reden:
Mutter. Jch habe von einer wichtigen Sache mit dir zu reden, Aennichen, wenn du jetzt auf etwas Achtung geben kannſt, das uns ſelbſt angehet: und nicht die Vorſorge fuͤr andere dich untuͤchtig macht, an das noͤthigere zu gedencken.
(Eine
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nicht haͤflich begegne, und Sie wollen deswegen
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Sie mich eben ſo vorzuͤglich lieben, als ich Sie liebe.
Was ſoll ich nun voran ſetzen? die Antwort
meiner Mutter? oder meine Unterredung mit ihr,
als ſie mir Nachricht von dem Liebes-Briefe gab,
den ſie erhalten hatte?
Unſere Unterredung ſollen Sie zuerſt leſen.
Wenn Sie glauben, daß ich ſehr frey von dem
Hertzen weg geredet habe, ſo dencken ſie nicht dar-
an, daß ich vom Jhrem Onckle und von meiner
Mutter ſchreibe, ſondern ſtellen Sie ſich bloß zwey
alte Verliebte vor, die uns nichts angehen. Die
juͤngeren Leute vergeſſen leicht die Ehrerbietung,
wenn die, welche ein Recht haben, Ehrerbietung
zu ſodern, es vergeſſen, daß ſie ſich durch ihr Be-
tragen Ehrerbietung erwerben muͤſſen.
Stellen Sie ſich meine Mutter vor, wie ſie
zweymahl in mein Cloſet kam, und wieder weg-
gieng, ohne etwas weiter zu thun, als zu huſten,
ohne daß die Lungen huſten wollten, obgleich ihr
Geſicht ſo ſchwanger von etwas zu ſeyn ſchien,
das ihr auf dem Hertzen lag, und ihre Lippen
immer anfangen wollten zu reden. Das dritte
mahl bekam ſie mehr Muth: pflantzte ſich neben
meinen Stuhl, und fing alſo an zu reden:
Mutter. Jch habe von einer wichtigen
Sache mit dir zu reden, Aennichen, wenn du
jetzt auf etwas Achtung geben kannſt, das uns
ſelbſt angehet: und nicht die Vorſorge fuͤr andere
dich untuͤchtig macht, an das noͤthigere zu gedencken.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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