Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


"Jch überlege die Sachen von neuen. Wenn ich
"erfahren könnte, daß mein liebes Kind einige Briefe
"in den Taschen hat, so wollte ich suchen, es in die
"Comödie zu bringen. Vielleicht wäre meine Schö-
"ne so unglücklich ihre Taschen zu verlieren. Allein
"wie soll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas
"weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als
"ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das
"Kammer-Mädchen sie siehet, ist sie schon angeklei-
"det. Das ist ein verfluchter Argwohn! warlich
"Bruder, wer argwöhnisch ist, der verdient gestraf-
"fet zu werden. Wenn ein Mädchen einen ehrli-
"chen Kerl für einen Schelm hält, so giebt es ihm
"ein Recht ein Schelm zu werden.

"Je mehr ich der Sache nachdencke, desto mehr
"kriege ich Lust etwas gegen ihre Taschen zu wagen,
"weil dabey die wenigste Gefahr ist. Allein es
"können ohnmöglich alle ihre Briefe in den Taschen
"stecken, obgleich die Taschen halb so groß sind, als
"das Frauenzimmer selbst. Jch glaube, sie tragen
"sie an statt des Ballastes, damit der Wind nicht
"ihre Cannevassenen Segel ergreiffen, und sie in die
"Luft führen möge."

Weil er befürchtet, daß die beyden Fräuleins auf
allerhand Anschläge dencken mögten, ihm die Fräulein
Harlowe aus den Händen zu bringen, so erzählt
er, was er in solchem Falle zu thun gesinnet sey,
und rühmet sich, daß er der Dorcas und seinem
Wilhelm Summers schon auf alle Fälle Ver-
haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha-
be sich gegen alle mögliche Unglücks-Fälle vorgesehen:

und
A 5


„Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich
„erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe
„in den Taſchen hat, ſo wollte ich ſuchen, es in die
„Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ-
„ne ſo ungluͤcklich ihre Taſchen zu verlieren. Allein
„wie ſoll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas
„weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als
„ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das
„Kammer-Maͤdchen ſie ſiehet, iſt ſie ſchon angeklei-
„det. Das iſt ein verfluchter Argwohn! warlich
„Bruder, wer argwoͤhniſch iſt, der verdient geſtraf-
„fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli-
„chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, ſo giebt es ihm
„ein Recht ein Schelm zu werden.

„Je mehr ich der Sache nachdencke, deſto mehr
„kriege ich Luſt etwas gegen ihre Taſchen zu wagen,
„weil dabey die wenigſte Gefahr iſt. Allein es
„koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taſchen
„ſtecken, obgleich die Taſchen halb ſo groß ſind, als
„das Frauenzimmer ſelbſt. Jch glaube, ſie tragen
„ſie an ſtatt des Ballaſtes, damit der Wind nicht
„ihre Cannevaſſenen Segel ergreiffen, und ſie in die
„Luft fuͤhren moͤge.„

Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf
allerhand Anſchlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein
Harlowe aus den Haͤnden zu bringen, ſo erzaͤhlt
er, was er in ſolchem Falle zu thun geſinnet ſey,
und ruͤhmet ſich, daß er der Dorcas und ſeinem
Wilhelm Summers ſchon auf alle Faͤlle Ver-
haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha-
be ſich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgeſehen:

und
A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0015" n="9"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>&#x201E;Jch u&#x0364;berlege die Sachen von neuen. Wenn ich<lb/>
&#x201E;erfahren ko&#x0364;nnte, daß mein liebes Kind einige Briefe<lb/>
&#x201E;in den Ta&#x017F;chen hat, &#x017F;o wollte ich &#x017F;uchen, es in die<lb/>
&#x201E;Como&#x0364;die zu bringen. Vielleicht wa&#x0364;re meine Scho&#x0364;-<lb/>
&#x201E;ne &#x017F;o unglu&#x0364;cklich ihre Ta&#x017F;chen zu verlieren. Allein<lb/>
&#x201E;wie &#x017F;oll ich das erfahren? Denn ihre <hi rendition="#fr">Dorcas</hi><lb/>
&#x201E;weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als<lb/>
&#x201E;ihr <hi rendition="#fr">Lovelace.</hi> Ehe der Tag anbricht, ehe das<lb/>
&#x201E;Kammer-Ma&#x0364;dchen &#x017F;ie &#x017F;iehet, i&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;chon angeklei-<lb/>
&#x201E;det. Das i&#x017F;t ein verfluchter Argwohn! warlich<lb/>
&#x201E;Bruder, wer argwo&#x0364;hni&#x017F;ch i&#x017F;t, der verdient ge&#x017F;traf-<lb/>
&#x201E;fet zu werden. Wenn ein Ma&#x0364;dchen einen ehrli-<lb/>
&#x201E;chen Kerl fu&#x0364;r einen Schelm ha&#x0364;lt, &#x017F;o giebt es ihm<lb/>
&#x201E;ein Recht ein Schelm zu werden.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Je mehr ich der Sache nachdencke, de&#x017F;to mehr<lb/>
&#x201E;kriege ich Lu&#x017F;t etwas gegen ihre Ta&#x017F;chen zu wagen,<lb/>
&#x201E;weil dabey die wenig&#x017F;te Gefahr i&#x017F;t. Allein es<lb/>
&#x201E;ko&#x0364;nnen ohnmo&#x0364;glich alle ihre Briefe in den Ta&#x017F;chen<lb/>
&#x201E;&#x017F;tecken, obgleich die Ta&#x017F;chen halb &#x017F;o groß &#x017F;ind, als<lb/>
&#x201E;das Frauenzimmer &#x017F;elb&#x017F;t. Jch glaube, &#x017F;ie tragen<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie an &#x017F;tatt des Balla&#x017F;tes, damit der Wind nicht<lb/>
&#x201E;ihre Canneva&#x017F;&#x017F;enen Segel ergreiffen, und &#x017F;ie in die<lb/>
&#x201E;Luft fu&#x0364;hren mo&#x0364;ge.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Weil er befu&#x0364;rchtet, daß die beyden Fra&#x0364;uleins auf<lb/>
allerhand An&#x017F;chla&#x0364;ge dencken mo&#x0364;gten, ihm die Fra&#x0364;ulein<lb/><hi rendition="#fr">Harlowe</hi> aus den Ha&#x0364;nden zu bringen, &#x017F;o erza&#x0364;hlt<lb/>
er, was er in &#x017F;olchem Falle zu thun ge&#x017F;innet &#x017F;ey,<lb/>
und ru&#x0364;hmet &#x017F;ich, daß er der <hi rendition="#fr">Dorcas</hi> und &#x017F;einem<lb/><hi rendition="#fr">Wilhelm Summers</hi> &#x017F;chon auf alle Fa&#x0364;lle Ver-<lb/>
haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha-<lb/>
be &#x017F;ich gegen alle mo&#x0364;gliche Unglu&#x0364;cks-Fa&#x0364;lle vorge&#x017F;ehen:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0015] „Jch uͤberlege die Sachen von neuen. Wenn ich „erfahren koͤnnte, daß mein liebes Kind einige Briefe „in den Taſchen hat, ſo wollte ich ſuchen, es in die „Comoͤdie zu bringen. Vielleicht waͤre meine Schoͤ- „ne ſo ungluͤcklich ihre Taſchen zu verlieren. Allein „wie ſoll ich das erfahren? Denn ihre Dorcas „weiß von ihrem Aus- und Anziehen nicht mehr als „ihr Lovelace. Ehe der Tag anbricht, ehe das „Kammer-Maͤdchen ſie ſiehet, iſt ſie ſchon angeklei- „det. Das iſt ein verfluchter Argwohn! warlich „Bruder, wer argwoͤhniſch iſt, der verdient geſtraf- „fet zu werden. Wenn ein Maͤdchen einen ehrli- „chen Kerl fuͤr einen Schelm haͤlt, ſo giebt es ihm „ein Recht ein Schelm zu werden. „Je mehr ich der Sache nachdencke, deſto mehr „kriege ich Luſt etwas gegen ihre Taſchen zu wagen, „weil dabey die wenigſte Gefahr iſt. Allein es „koͤnnen ohnmoͤglich alle ihre Briefe in den Taſchen „ſtecken, obgleich die Taſchen halb ſo groß ſind, als „das Frauenzimmer ſelbſt. Jch glaube, ſie tragen „ſie an ſtatt des Ballaſtes, damit der Wind nicht „ihre Cannevaſſenen Segel ergreiffen, und ſie in die „Luft fuͤhren moͤge.„ Weil er befuͤrchtet, daß die beyden Fraͤuleins auf allerhand Anſchlaͤge dencken moͤgten, ihm die Fraͤulein Harlowe aus den Haͤnden zu bringen, ſo erzaͤhlt er, was er in ſolchem Falle zu thun geſinnet ſey, und ruͤhmet ſich, daß er der Dorcas und ſeinem Wilhelm Summers ſchon auf alle Faͤlle Ver- haltungs-Befehle gegeben habe. Er meint, er ha- be ſich gegen alle moͤgliche Ungluͤcks-Faͤlle vorgeſehen: und A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/15
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/15>, abgerufen am 28.03.2024.