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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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so ist es doch thöricht, bloß um eines gottlosen Ein-
falls willen alle seine Nachkommen unehrlich und
zu Hurkindern zu machen. Warum sollen unsere
Kinder der Welt verächtlich seyn? Es mögen
Jungens oder Mädchens werden, warum wollen
wir sie zwingen, eine ungleiche Heyrath zu treffen,
es sey in Absicht auf das Vermögen oder in Ab-
sicht auf die Jahre? Warum sollen wir unsere un-
schuldigen Kinder, die wir doch lieben werden,
zum Voraus in die Umstände setzen, daß man eine
Geringschätzung gegen sie hat, und sie keine ihnen
anständige Gesellschaft halten können, ob sie gleich
besser sind als wir, und die Pflichten der Sitten-
lehre und des gesellschaftlichen Lebens beobachten
wollen? in solche Umstände, daß sie es für eine
Wohlthat und Gnade achten müssen, wenn jemand
von gutem Stande mit ihnen umgeht? Wie müs-
sen solche Kinder ihren Vater hassen, weil er sie
durch seine Einfälle und durch seine Feindschaft
wider die Gesetze seines Vaterlandes in solche Um-
stände gesetzet hat, und ihnen eine Mutter gegeben
hat, an die sie nicht ohne Beschämung gedenken
können: eine Mutter, deren Laster sie ihr Da-
seyn zu danken haben, und deren Vorbilde sie nicht
nachfolgen dürfen?

Es ist das Unglück noch größer, wenn die
Erziehung der Kinder versäumet wird, und die-
ses pflegt doch gemeiniglich zu geschehen. Denn
wer kein fühlloses und unmenschliches Herz hat und
etwas von Liebe gegen seine Nachkommen empfin-
det, wird heyrathen. Das Unglück, sage ich, ist

als-



ſo iſt es doch thoͤricht, bloß um eines gottloſen Ein-
falls willen alle ſeine Nachkommen unehrlich und
zu Hurkindern zu machen. Warum ſollen unſere
Kinder der Welt veraͤchtlich ſeyn? Es moͤgen
Jungens oder Maͤdchens werden, warum wollen
wir ſie zwingen, eine ungleiche Heyrath zu treffen,
es ſey in Abſicht auf das Vermoͤgen oder in Ab-
ſicht auf die Jahre? Warum ſollen wir unſere un-
ſchuldigen Kinder, die wir doch lieben werden,
zum Voraus in die Umſtaͤnde ſetzen, daß man eine
Geringſchaͤtzung gegen ſie hat, und ſie keine ihnen
anſtaͤndige Geſellſchaft halten koͤnnen, ob ſie gleich
beſſer ſind als wir, und die Pflichten der Sitten-
lehre und des geſellſchaftlichen Lebens beobachten
wollen? in ſolche Umſtaͤnde, daß ſie es fuͤr eine
Wohlthat und Gnade achten muͤſſen, wenn jemand
von gutem Stande mit ihnen umgeht? Wie muͤſ-
ſen ſolche Kinder ihren Vater haſſen, weil er ſie
durch ſeine Einfaͤlle und durch ſeine Feindſchaft
wider die Geſetze ſeines Vaterlandes in ſolche Um-
ſtaͤnde geſetzet hat, und ihnen eine Mutter gegeben
hat, an die ſie nicht ohne Beſchaͤmung gedenken
koͤnnen: eine Mutter, deren Laſter ſie ihr Da-
ſeyn zu danken haben, und deren Vorbilde ſie nicht
nachfolgen duͤrfen?

Es iſt das Ungluͤck noch groͤßer, wenn die
Erziehung der Kinder verſaͤumet wird, und die-
ſes pflegt doch gemeiniglich zu geſchehen. Denn
wer kein fuͤhlloſes und unmenſchliches Herz hat und
etwas von Liebe gegen ſeine Nachkommen empfin-
det, wird heyrathen. Das Ungluͤck, ſage ich, iſt

als-
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[138/0144] ſo iſt es doch thoͤricht, bloß um eines gottloſen Ein- falls willen alle ſeine Nachkommen unehrlich und zu Hurkindern zu machen. Warum ſollen unſere Kinder der Welt veraͤchtlich ſeyn? Es moͤgen Jungens oder Maͤdchens werden, warum wollen wir ſie zwingen, eine ungleiche Heyrath zu treffen, es ſey in Abſicht auf das Vermoͤgen oder in Ab- ſicht auf die Jahre? Warum ſollen wir unſere un- ſchuldigen Kinder, die wir doch lieben werden, zum Voraus in die Umſtaͤnde ſetzen, daß man eine Geringſchaͤtzung gegen ſie hat, und ſie keine ihnen anſtaͤndige Geſellſchaft halten koͤnnen, ob ſie gleich beſſer ſind als wir, und die Pflichten der Sitten- lehre und des geſellſchaftlichen Lebens beobachten wollen? in ſolche Umſtaͤnde, daß ſie es fuͤr eine Wohlthat und Gnade achten muͤſſen, wenn jemand von gutem Stande mit ihnen umgeht? Wie muͤſ- ſen ſolche Kinder ihren Vater haſſen, weil er ſie durch ſeine Einfaͤlle und durch ſeine Feindſchaft wider die Geſetze ſeines Vaterlandes in ſolche Um- ſtaͤnde geſetzet hat, und ihnen eine Mutter gegeben hat, an die ſie nicht ohne Beſchaͤmung gedenken koͤnnen: eine Mutter, deren Laſter ſie ihr Da- ſeyn zu danken haben, und deren Vorbilde ſie nicht nachfolgen duͤrfen? Es iſt das Ungluͤck noch groͤßer, wenn die Erziehung der Kinder verſaͤumet wird, und die- ſes pflegt doch gemeiniglich zu geſchehen. Denn wer kein fuͤhlloſes und unmenſchliches Herz hat und etwas von Liebe gegen ſeine Nachkommen empfin- det, wird heyrathen. Das Ungluͤck, ſage ich, iſt als-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/144>, abgerufen am 02.05.2024.