Die Ruhe schwächet ihre Triebe, Und macht den Bogen schlapp, daß er nicht treffen kann. Die Pfeile pflegen zu verwunden, Die uns die schöne Feindin schickt. Denn ist die Wunde schon verbunden, Wenn ein gewünschtes Ja den Wunsch zu früh beglückt.
Dieses wissen die Frauens-Leute eben so gut als wir. Sie mögen sich gern muthig angreiffen lassen:
Durch Müh und Kampf muß man die güldne Frucht erlangen, Die blutend sich ergiebt, damit sie schätzbar sey.
Wie oft wird deswegen der hitzige Liebhaber dem kaltsinnigen Ehemanne vorgezogen. (Das war ein Neben-Einfall.) Und dennoch vergessen die Schö- nen gemeiniglich, daß uns nie Veränderung und die Neuigkeit hitziger und ergebener macht; und daß der allgemeinste Anbeter aller schönen Kinder und ihr allgemeiner Verführer kaltsinnig gegen sie seyn würde, wenn er ihre Liebe so oft genösse als ihr Ehe- mann: wie denn die liederlichsten Leute wenig Lie- be gegen ihre Weiber zu haben pflegen. Der Ehe- mann hingegen wird auf ein fremdes Frauenzim- mer hitzig seyn. Das gantze schöne Geschlecht mag von Lovelacen diese Regeln ein vor allemahl ler- nen: daß es sich dem Manne immer neu zu machen suche, und gegen ihn eben so höflich und artig sey, als gegen einen neuen Liebhaber: alsdenn wird der Liebhaber länger in dem Manne bleiben, als es gemeiniglich zu geschehen pfleget.
Doch
Die Ruhe ſchwaͤchet ihre Triebe, Und macht den Bogen ſchlapp, daß er nicht treffen kann. Die Pfeile pflegen zu verwunden, Die uns die ſchoͤne Feindin ſchickt. Denn iſt die Wunde ſchon verbunden, Wenn ein gewuͤnſchtes Ja den Wunſch zu fruͤh begluͤckt.
Dieſes wiſſen die Frauens-Leute eben ſo gut als wir. Sie moͤgen ſich gern muthig angreiffen laſſen:
Durch Muͤh und Kampf muß man die guͤldne Frucht erlangen, Die blutend ſich ergiebt, damit ſie ſchaͤtzbar ſey.
Wie oft wird deswegen der hitzige Liebhaber dem kaltſinnigen Ehemanne vorgezogen. (Das war ein Neben-Einfall.) Und dennoch vergeſſen die Schoͤ- nen gemeiniglich, daß uns nie Veraͤnderung und die Neuigkeit hitziger und ergebener macht; und daß der allgemeinſte Anbeter aller ſchoͤnen Kinder und ihr allgemeiner Verfuͤhrer kaltſinnig gegen ſie ſeyn wuͤrde, wenn er ihre Liebe ſo oft genoͤſſe als ihr Ehe- mann: wie denn die liederlichſten Leute wenig Lie- be gegen ihre Weiber zu haben pflegen. Der Ehe- mann hingegen wird auf ein fremdes Frauenzim- mer hitzig ſeyn. Das gantze ſchoͤne Geſchlecht mag von Lovelacen dieſe Regeln ein vor allemahl ler- nen: daß es ſich dem Manne immer neu zu machen ſuche, und gegen ihn eben ſo hoͤflich und artig ſey, als gegen einen neuen Liebhaber: alsdenn wird der Liebhaber laͤnger in dem Manne bleiben, als es gemeiniglich zu geſchehen pfleget.
Doch
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Die Ruhe ſchwaͤchet ihre Triebe,
Und macht den Bogen ſchlapp, daß er nicht
treffen kann.
Die Pfeile pflegen zu verwunden,
Die uns die ſchoͤne Feindin ſchickt.
Denn iſt die Wunde ſchon verbunden,
Wenn ein gewuͤnſchtes Ja den Wunſch zu fruͤh
begluͤckt.
Dieſes wiſſen die Frauens-Leute eben ſo gut als
wir. Sie moͤgen ſich gern muthig angreiffen laſſen:
Durch Muͤh und Kampf muß man die guͤldne
Frucht erlangen,
Die blutend ſich ergiebt, damit ſie ſchaͤtzbar ſey.
Wie oft wird deswegen der hitzige Liebhaber dem
kaltſinnigen Ehemanne vorgezogen. (Das war ein
Neben-Einfall.) Und dennoch vergeſſen die Schoͤ-
nen gemeiniglich, daß uns nie Veraͤnderung und
die Neuigkeit hitziger und ergebener macht; und daß
der allgemeinſte Anbeter aller ſchoͤnen Kinder und
ihr allgemeiner Verfuͤhrer kaltſinnig gegen ſie ſeyn
wuͤrde, wenn er ihre Liebe ſo oft genoͤſſe als ihr Ehe-
mann: wie denn die liederlichſten Leute wenig Lie-
be gegen ihre Weiber zu haben pflegen. Der Ehe-
mann hingegen wird auf ein fremdes Frauenzim-
mer hitzig ſeyn. Das gantze ſchoͤne Geſchlecht mag
von Lovelacen dieſe Regeln ein vor allemahl ler-
nen: daß es ſich dem Manne immer neu zu machen
ſuche, und gegen ihn eben ſo hoͤflich und artig ſey,
als gegen einen neuen Liebhaber: alsdenn wird der
Liebhaber laͤnger in dem Manne bleiben, als es
gemeiniglich zu geſchehen pfleget.
Doch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/129>, abgerufen am 16.02.2025.
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