"Schwüre sich zu rächen) Jch sehe klar, sie hat sich "gantz von mir los sagen wollen: und ich würde die- "sem Unglück nicht haben vorbeugen können, wenn ich "nicht den Baum mit der Wurtzel ausgerissen hätte, "um an die Früchte zu kommen, die ich nun sanfter "abzuschütteln hoffe, wenn ich die Zeit erwarten "kann, da sie reif werden.
Er frohlocket über seine unbelebte Grausam- keit, in folgenden Worten: "nachdem Sie mir so "hochmüthig begegnet ist, so will ich sie zwingen, "selbst auszusprechen, was sie in ihrem Hertzen "denckt. Jn dem Gesicht, in dem Ton, in "dem listigen Zaudern eines Frauenzimmers, das "etwas gerne sagen will und nicht kann, sind tau- "send Schönheiten anzutreffen. Einige unver- "ständige Leute, die sich für artig und für grosmü- "thig halten, machen sich eine Ehre daraus, daß "sie ein Frauenzimmer nicht in solche Noth setzen. "Unverständig genug sind sie: sonst würden sie sich "nicht eines so grossen Vergnügens berauben, und "zugleich dem Frauenzimmer die Gelegenheit ent- "ziehen, sich durch eine gantze Welt von neuen "Schönheiten zu schmücken. Wer eine freye Le- "bens-Art führen will, dem ist ein hartes und fühl- "loses Hertz unentbehrlich. Er ist der Noth schon "gantz gewohnt, die er verursachet, und läßt sich "selten durch eine Schwäche hinreissen, die sich für "ihn nicht schicket. Wie oft habe ich einem lie- "ben Kinde gegen über gesessen, und mich über "seine Verwirrung gefreuet, wenn es nicht aufhö- "ren konnte, meine Schuh-Schnallen mit tiefer Ver-
"wun-
G 3
„Schwuͤre ſich zu raͤchen) Jch ſehe klar, ſie hat ſich „gantz von mir los ſagen wollen: und ich wuͤrde die- „ſem Ungluͤck nicht haben vorbeugen koͤnnen, wenn ich „nicht den Baum mit der Wurtzel ausgeriſſen haͤtte, „um an die Fruͤchte zu kommen, die ich nun ſanfter „abzuſchuͤtteln hoffe, wenn ich die Zeit erwarten „kann, da ſie reif werden.
Er frohlocket uͤber ſeine unbelebte Grauſam- keit, in folgenden Worten: „nachdem Sie mir ſo „hochmuͤthig begegnet iſt, ſo will ich ſie zwingen, „ſelbſt auszuſprechen, was ſie in ihrem Hertzen „denckt. Jn dem Geſicht, in dem Ton, in „dem liſtigen Zaudern eines Frauenzimmers, das „etwas gerne ſagen will und nicht kann, ſind tau- „ſend Schoͤnheiten anzutreffen. Einige unver- „ſtaͤndige Leute, die ſich fuͤr artig und fuͤr grosmuͤ- „thig halten, machen ſich eine Ehre daraus, daß „ſie ein Frauenzimmer nicht in ſolche Noth ſetzen. „Unverſtaͤndig genug ſind ſie: ſonſt wuͤrden ſie ſich „nicht eines ſo groſſen Vergnuͤgens berauben, und „zugleich dem Frauenzimmer die Gelegenheit ent- „ziehen, ſich durch eine gantze Welt von neuen „Schoͤnheiten zu ſchmuͤcken. Wer eine freye Le- „bens-Art fuͤhren will, dem iſt ein hartes und fuͤhl- „loſes Hertz unentbehrlich. Er iſt der Noth ſchon „gantz gewohnt, die er verurſachet, und laͤßt ſich „ſelten durch eine Schwaͤche hinreiſſen, die ſich fuͤr „ihn nicht ſchicket. Wie oft habe ich einem lie- „ben Kinde gegen uͤber geſeſſen, und mich uͤber „ſeine Verwirrung gefreuet, wenn es nicht aufhoͤ- „ren konnte, meine Schuh-Schnallen mit tiefer Ver-
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„Schwuͤre ſich zu raͤchen) Jch ſehe klar, ſie hat ſich
„gantz von mir los ſagen wollen: und ich wuͤrde die-
„ſem Ungluͤck nicht haben vorbeugen koͤnnen, wenn ich
„nicht den Baum mit der Wurtzel ausgeriſſen haͤtte,
„um an die Fruͤchte zu kommen, die ich nun ſanfter
„abzuſchuͤtteln hoffe, wenn ich die Zeit erwarten
„kann, da ſie reif werden.
Er frohlocket uͤber ſeine unbelebte Grauſam-
keit, in folgenden Worten: „nachdem Sie mir ſo
„hochmuͤthig begegnet iſt, ſo will ich ſie zwingen,
„ſelbſt auszuſprechen, was ſie in ihrem Hertzen
„denckt. Jn dem Geſicht, in dem Ton, in
„dem liſtigen Zaudern eines Frauenzimmers, das
„etwas gerne ſagen will und nicht kann, ſind tau-
„ſend Schoͤnheiten anzutreffen. Einige unver-
„ſtaͤndige Leute, die ſich fuͤr artig und fuͤr grosmuͤ-
„thig halten, machen ſich eine Ehre daraus, daß
„ſie ein Frauenzimmer nicht in ſolche Noth ſetzen.
„Unverſtaͤndig genug ſind ſie: ſonſt wuͤrden ſie ſich
„nicht eines ſo groſſen Vergnuͤgens berauben, und
„zugleich dem Frauenzimmer die Gelegenheit ent-
„ziehen, ſich durch eine gantze Welt von neuen
„Schoͤnheiten zu ſchmuͤcken. Wer eine freye Le-
„bens-Art fuͤhren will, dem iſt ein hartes und fuͤhl-
„loſes Hertz unentbehrlich. Er iſt der Noth ſchon
„gantz gewohnt, die er verurſachet, und laͤßt ſich
„ſelten durch eine Schwaͤche hinreiſſen, die ſich fuͤr
„ihn nicht ſchicket. Wie oft habe ich einem lie-
„ben Kinde gegen uͤber geſeſſen, und mich uͤber
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„ren konnte, meine Schuh-Schnallen mit tiefer Ver-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/107>, abgerufen am 22.07.2024.
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