Ehrerbietung, ein furchtsames Auge, eine abge- brochene und unvollkommene Rede, sind bessere Zeugnisse davon, als (nach Schakespears Aus- druck.)
Des dreisten Redners flüchtge Zunge.
Bisweilen ist der Mensch nach seiner eigenen Redens-Art gantz entzückt und außer sich: allein eben dieses dienet zu meiner Beschämung, weil ich die Ursachen gar zu wohl weiß, denen sei- ne Entzückung größesten-Theils zuzuschreiben ist. Sein Sieg über mich macht ihn so vergnügt: ich brauche nicht mehr zu sagen, das eine Wort drückt meinen Hochmuth und meine Thorheit vollstän- dig aus.
Wir sind durch Nachrichten von seinem Spion verunruhiget worden, als verfolgete man uns.
Wie viel tragen doch die veränderten Umstände in denen wir uns befinden zu unserem Urtheil über das was recht oder unrecht seyn soll bey? Wie sehr müssen wir uns hüten, den ewigen Unterscheid des Nechts und Unrechts nicht aufzuheben, wenn die Sache uns selbst betrifft. Ehemahls sahe ich es für niederträchtig an, daß er einen Bedienten mei- nes Vaters bestochen hatte. Allein nun billige ich bey nahe diese Niederträchtigkeit, indem ich mich öfters bey ihm erkundige, ob er gar nicht erfah- ren könne, was die Meinigen zu meiner Flucht sagen. Sie müssen es ohne Zweiffel für eine vor- sätzliche, angestellete und wohl überlegte Flucht hal- ten. Dieses ist für mich ein Unglück. Wie kann
ich
Ehrerbietung, ein furchtſames Auge, eine abge- brochene und unvollkommene Rede, ſind beſſere Zeugniſſe davon, als (nach Schakeſpears Aus- druck.)
Des dreiſten Redners fluͤchtge Zunge.
Bisweilen iſt der Menſch nach ſeiner eigenen Redens-Art gantz entzuͤckt und außer ſich: allein eben dieſes dienet zu meiner Beſchaͤmung, weil ich die Urſachen gar zu wohl weiß, denen ſei- ne Entzuͤckung groͤßeſten-Theils zuzuſchreiben iſt. Sein Sieg uͤber mich macht ihn ſo vergnuͤgt: ich brauche nicht mehr zu ſagen, das eine Wort druͤckt meinen Hochmuth und meine Thorheit vollſtaͤn- dig aus.
Wir ſind durch Nachrichten von ſeinem Spion verunruhiget worden, als verfolgete man uns.
Wie viel tragen doch die veraͤnderten Umſtaͤnde in denen wir uns befinden zu unſerem Urtheil uͤber das was recht oder unrecht ſeyn ſoll bey? Wie ſehr muͤſſen wir uns huͤten, den ewigen Unterſcheid des Nechts und Unrechts nicht aufzuheben, wenn die Sache uns ſelbſt betrifft. Ehemahls ſahe ich es fuͤr niedertraͤchtig an, daß er einen Bedienten mei- nes Vaters beſtochen hatte. Allein nun billige ich bey nahe dieſe Niedertraͤchtigkeit, indem ich mich oͤfters bey ihm erkundige, ob er gar nicht erfah- ren koͤnne, was die Meinigen zu meiner Flucht ſagen. Sie muͤſſen es ohne Zweiffel fuͤr eine vor- ſaͤtzliche, angeſtellete und wohl uͤberlegte Flucht hal- ten. Dieſes iſt fuͤr mich ein Ungluͤck. Wie kann
ich
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Ehrerbietung, ein furchtſames Auge, eine abge-
brochene und unvollkommene Rede, ſind beſſere
Zeugniſſe davon, als (nach Schakeſpears Aus-
druck.)
Des dreiſten Redners fluͤchtge Zunge.
Bisweilen iſt der Menſch nach ſeiner eigenen
Redens-Art gantz entzuͤckt und außer ſich:
allein eben dieſes dienet zu meiner Beſchaͤmung,
weil ich die Urſachen gar zu wohl weiß, denen ſei-
ne Entzuͤckung groͤßeſten-Theils zuzuſchreiben iſt.
Sein Sieg uͤber mich macht ihn ſo vergnuͤgt: ich
brauche nicht mehr zu ſagen, das eine Wort druͤckt
meinen Hochmuth und meine Thorheit vollſtaͤn-
dig aus.
Wir ſind durch Nachrichten von ſeinem Spion
verunruhiget worden, als verfolgete man uns.
Wie viel tragen doch die veraͤnderten Umſtaͤnde
in denen wir uns befinden zu unſerem Urtheil uͤber
das was recht oder unrecht ſeyn ſoll bey? Wie ſehr
muͤſſen wir uns huͤten, den ewigen Unterſcheid des
Nechts und Unrechts nicht aufzuheben, wenn die
Sache uns ſelbſt betrifft. Ehemahls ſahe ich es
fuͤr niedertraͤchtig an, daß er einen Bedienten mei-
nes Vaters beſtochen hatte. Allein nun billige ich
bey nahe dieſe Niedertraͤchtigkeit, indem ich mich
oͤfters bey ihm erkundige, ob er gar nicht erfah-
ren koͤnne, was die Meinigen zu meiner Flucht
ſagen. Sie muͤſſen es ohne Zweiffel fuͤr eine vor-
ſaͤtzliche, angeſtellete und wohl uͤberlegte Flucht hal-
ten. Dieſes iſt fuͤr mich ein Ungluͤck. Wie kann
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/93>, abgerufen am 11.12.2024.
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