gute Meinung von sich hätte erwecken wollen, daß ihm von neuen mit aller Beystimmung erlaubt seyn würde, unser Haus zu besuchen, und mir seine Aufwartung zu machen.
Er fuhr fort: er müsse so frey seyn, mir zu ge- stehen, daß er in Begleitung einiger Freunde, auf die er sich verlassen könnte, einen solchen Besuch abgelegt haben würde, wenn ich ihn nicht gespro- chen hätte. Eben dieser Nachmittag sey dazu ausgesetzt gewesen: denn er hätte den fürchterlichen Mittewochen nicht anbrechen lassen können, ohne den letzten Versuch zu thun, ob er die Meinigen auf andere Gedancken bringen könnte.
(Was konnte ich mit einem solchen Mann an- fangen? Wie sollte ich mich gegen ihn verhalten?)
Um meinet und um seinetwillen hätte er gewünscht, daß eine so schwere und verzwei- felte Kranckheit durch eine verzweifelte Artzeney ge- hoben werden möchte. Jedermann wisse, daß ein wichtiger Endzweck oft durch die Mittel erreichet würde, die andere als Hindernisse in den Weg ge- leget hätten.
Jch dachte bey mir selbst: wie ein trauriger Beweiß dieser Wahrheit sind meine jetzigen Um- stände? Jch schwieg indessen stille, so lange er re- dete, und verdammete mich nur in der Stille und in meinem Hertzen. Bisweilen jagte mir seine Dreistigkeit eine Furcht ein: und ein andermahl fand ich mich allzu matt, und allzu betrübt, ihm in die Rede zu fallen. Denn aller Muth verging mir, wenn ich überlegte, wie schlecht auch meine
be-
gute Meinung von ſich haͤtte erwecken wollen, daß ihm von neuen mit aller Beyſtimmung erlaubt ſeyn wuͤrde, unſer Haus zu beſuchen, und mir ſeine Aufwartung zu machen.
Er fuhr fort: er muͤſſe ſo frey ſeyn, mir zu ge- ſtehen, daß er in Begleitung einiger Freunde, auf die er ſich verlaſſen koͤnnte, einen ſolchen Beſuch abgelegt haben wuͤrde, wenn ich ihn nicht geſpro- chen haͤtte. Eben dieſer Nachmittag ſey dazu ausgeſetzt geweſen: denn er haͤtte den fuͤrchterlichen Mittewochen nicht anbrechen laſſen koͤnnen, ohne den letzten Verſuch zu thun, ob er die Meinigen auf andere Gedancken bringen koͤnnte.
(Was konnte ich mit einem ſolchen Mann an- fangen? Wie ſollte ich mich gegen ihn verhalten?)
Um meinet und um ſeinetwillen haͤtte er gewuͤnſcht, daß eine ſo ſchwere und verzwei- felte Kranckheit durch eine verzweifelte Artzeney ge- hoben werden moͤchte. Jedermann wiſſe, daß ein wichtiger Endzweck oft durch die Mittel erreichet wuͤrde, die andere als Hinderniſſe in den Weg ge- leget haͤtten.
Jch dachte bey mir ſelbſt: wie ein trauriger Beweiß dieſer Wahrheit ſind meine jetzigen Um- ſtaͤnde? Jch ſchwieg indeſſen ſtille, ſo lange er re- dete, und verdammete mich nur in der Stille und in meinem Hertzen. Bisweilen jagte mir ſeine Dreiſtigkeit eine Furcht ein: und ein andermahl fand ich mich allzu matt, und allzu betruͤbt, ihm in die Rede zu fallen. Denn aller Muth verging mir, wenn ich uͤberlegte, wie ſchlecht auch meine
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gute Meinung von ſich haͤtte erwecken wollen, daß
ihm von neuen mit aller Beyſtimmung erlaubt ſeyn
wuͤrde, unſer Haus zu beſuchen, und mir ſeine
Aufwartung zu machen.
Er fuhr fort: er muͤſſe ſo frey ſeyn, mir zu ge-
ſtehen, daß er in Begleitung einiger Freunde, auf
die er ſich verlaſſen koͤnnte, einen ſolchen Beſuch
abgelegt haben wuͤrde, wenn ich ihn nicht geſpro-
chen haͤtte. Eben dieſer Nachmittag ſey dazu
ausgeſetzt geweſen: denn er haͤtte den fuͤrchterlichen
Mittewochen nicht anbrechen laſſen koͤnnen, ohne
den letzten Verſuch zu thun, ob er die Meinigen
auf andere Gedancken bringen koͤnnte.
(Was konnte ich mit einem ſolchen Mann an-
fangen? Wie ſollte ich mich gegen ihn verhalten?)
Um meinet und um ſeinetwillen haͤtte er
gewuͤnſcht, daß eine ſo ſchwere und verzwei-
felte Kranckheit durch eine verzweifelte Artzeney ge-
hoben werden moͤchte. Jedermann wiſſe, daß ein
wichtiger Endzweck oft durch die Mittel erreichet
wuͤrde, die andere als Hinderniſſe in den Weg ge-
leget haͤtten.
Jch dachte bey mir ſelbſt: wie ein trauriger
Beweiß dieſer Wahrheit ſind meine jetzigen Um-
ſtaͤnde? Jch ſchwieg indeſſen ſtille, ſo lange er re-
dete, und verdammete mich nur in der Stille und
in meinem Hertzen. Bisweilen jagte mir ſeine
Dreiſtigkeit eine Furcht ein: und ein andermahl
fand ich mich allzu matt, und allzu betruͤbt, ihm
in die Rede zu fallen. Denn aller Muth verging
mir, wenn ich uͤberlegte, wie ſchlecht auch meine
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/74>, abgerufen am 26.11.2024.
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