Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



meinem Theil; und was dieses für ein Theil ist,
das kann ich aus meines Vetters Briefe sehen.

Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich
ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als
heute früh gesehen; denn ich habe einige Tage nicht
das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch
wollte nicht gern daß Lovelace ihn sehen sollte,
damit nicht der heftigste Kopf, und der braveste und
erfahrenste Soldat (dafür man meinen Vetter hält)
an einander gerathen, und noch mehreres Unglück
anrichten.

Der Brief war erbrochen, und wider in ein weis-
ses Blat ohne Aufschrift eingesiegelt. So sehr die
Meinigen mich verachten und verabscheuen, so wun-
dere ich mich dennoch, daß sie nicht eine Zeile dabey
geschrieben haben. Sie hätten mir die Absicht zum
wenigsten melden können, warum sie den Brief über-
schickten: die eben so edel wird gewesen seyn, als
bey der Uebersendung des Spira. Er war mit
schwartzem Siegellack versiegelt. Jch will nicht hof-
fen, daß eine Veränderung in der Familie vorgegan-
gen ist, die dieses erfodert: sonst würden sie es mir
gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld
beygemessen haben.

Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu schrei-
ben: weil ich aber nichts gewisses schreiben konnte,
und von Tage zu Tage hoffete, daß sich meine Um-
stände auf klären würden, so habe ich den Brief auf
die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit,
an ihn zu schreiben, und damahls fing ich den Brief
an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin,

muß
N n 2



meinem Theil; und was dieſes fuͤr ein Theil iſt,
das kann ich aus meines Vetters Briefe ſehen.

Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich
ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als
heute fruͤh geſehen; denn ich habe einige Tage nicht
das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch
wollte nicht gern daß Lovelace ihn ſehen ſollte,
damit nicht der heftigſte Kopf, und der braveſte und
erfahrenſte Soldat (dafuͤr man meinen Vetter haͤlt)
an einander gerathen, und noch mehreres Ungluͤck
anrichten.

Der Brief war erbrochen, und wider in ein weiſ-
ſes Blat ohne Aufſchrift eingeſiegelt. So ſehr die
Meinigen mich verachten und verabſcheuen, ſo wun-
dere ich mich dennoch, daß ſie nicht eine Zeile dabey
geſchrieben haben. Sie haͤtten mir die Abſicht zum
wenigſten melden koͤnnen, warum ſie den Brief uͤber-
ſchickten: die eben ſo edel wird geweſen ſeyn, als
bey der Ueberſendung des Spira. Er war mit
ſchwartzem Siegellack verſiegelt. Jch will nicht hof-
fen, daß eine Veraͤnderung in der Familie vorgegan-
gen iſt, die dieſes erfodert: ſonſt wuͤrden ſie es mir
gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld
beygemeſſen haben.

Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu ſchrei-
ben: weil ich aber nichts gewiſſes ſchreiben konnte,
und von Tage zu Tage hoffete, daß ſich meine Um-
ſtaͤnde auf klaͤren wuͤrden, ſo habe ich den Brief auf
die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit,
an ihn zu ſchreiben, und damahls fing ich den Brief
an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin,

muß
N n 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0577" n="563"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
meinem Theil; und was die&#x017F;es fu&#x0364;r ein Theil i&#x017F;t,<lb/>
das kann ich aus meines Vetters Briefe &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich<lb/>
ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als<lb/>
heute fru&#x0364;h ge&#x017F;ehen; denn ich habe einige Tage nicht<lb/>
das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch<lb/>
wollte nicht gern daß <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> ihn &#x017F;ehen &#x017F;ollte,<lb/>
damit nicht der heftig&#x017F;te Kopf, und der brave&#x017F;te und<lb/>
erfahren&#x017F;te Soldat (dafu&#x0364;r man meinen Vetter ha&#x0364;lt)<lb/>
an einander gerathen, und noch mehreres Unglu&#x0364;ck<lb/>
anrichten.</p><lb/>
          <p>Der Brief war erbrochen, und wider in ein wei&#x017F;-<lb/>
&#x017F;es Blat ohne Auf&#x017F;chrift einge&#x017F;iegelt. So &#x017F;ehr die<lb/>
Meinigen mich verachten und verab&#x017F;cheuen, &#x017F;o wun-<lb/>
dere ich mich dennoch, daß &#x017F;ie nicht eine Zeile dabey<lb/>
ge&#x017F;chrieben haben. Sie ha&#x0364;tten mir die Ab&#x017F;icht zum<lb/>
wenig&#x017F;ten melden ko&#x0364;nnen, warum &#x017F;ie den Brief u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;chickten: die eben &#x017F;o edel wird gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, als<lb/>
bey der Ueber&#x017F;endung des <hi rendition="#fr">Spira.</hi> Er war mit<lb/>
&#x017F;chwartzem Siegellack ver&#x017F;iegelt. Jch will nicht hof-<lb/>
fen, daß eine Vera&#x0364;nderung in der Familie vorgegan-<lb/>
gen i&#x017F;t, die die&#x017F;es erfodert: &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rden &#x017F;ie es mir<lb/>
gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld<lb/>
beygeme&#x017F;&#x017F;en haben.</p><lb/>
          <p>Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu &#x017F;chrei-<lb/>
ben: weil ich aber nichts gewi&#x017F;&#x017F;es &#x017F;chreiben konnte,<lb/>
und von Tage zu Tage hoffete, daß &#x017F;ich meine Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde auf kla&#x0364;ren wu&#x0364;rden, &#x017F;o habe ich den Brief auf<lb/>
die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit,<lb/>
an ihn zu &#x017F;chreiben, und damahls fing ich den Brief<lb/>
an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N n 2</fw><fw place="bottom" type="catch">muß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[563/0577] meinem Theil; und was dieſes fuͤr ein Theil iſt, das kann ich aus meines Vetters Briefe ſehen. Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als heute fruͤh geſehen; denn ich habe einige Tage nicht das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch wollte nicht gern daß Lovelace ihn ſehen ſollte, damit nicht der heftigſte Kopf, und der braveſte und erfahrenſte Soldat (dafuͤr man meinen Vetter haͤlt) an einander gerathen, und noch mehreres Ungluͤck anrichten. Der Brief war erbrochen, und wider in ein weiſ- ſes Blat ohne Aufſchrift eingeſiegelt. So ſehr die Meinigen mich verachten und verabſcheuen, ſo wun- dere ich mich dennoch, daß ſie nicht eine Zeile dabey geſchrieben haben. Sie haͤtten mir die Abſicht zum wenigſten melden koͤnnen, warum ſie den Brief uͤber- ſchickten: die eben ſo edel wird geweſen ſeyn, als bey der Ueberſendung des Spira. Er war mit ſchwartzem Siegellack verſiegelt. Jch will nicht hof- fen, daß eine Veraͤnderung in der Familie vorgegan- gen iſt, die dieſes erfodert: ſonſt wuͤrden ſie es mir gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld beygemeſſen haben. Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu ſchrei- ben: weil ich aber nichts gewiſſes ſchreiben konnte, und von Tage zu Tage hoffete, daß ſich meine Um- ſtaͤnde auf klaͤren wuͤrden, ſo habe ich den Brief auf die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit, an ihn zu ſchreiben, und damahls fing ich den Brief an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin, muß N n 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/577
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/577>, abgerufen am 23.11.2024.