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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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ren, ist die erste, die er übertrit, und zwar dieses
täglich: je öfterer er von dieser Regul abweichet, je
mehr zählt er vermeynte Siege. Er hat eine Ver-
achtung gegen Jhr gantzes Geschlecht, er hält kein
Frauenzimmer für ehrlich, weil er liederlich ist; und
ein jedes Frauenzimmer, welches ihn liebet, bestärckt
ihn in diesem Unglauben. Er denckt immer auf neue
Anschläge, noch mehrere zu seinem Vergnügen in
das Unglück zu stürtzen. Wenn ein Frauenzimmer
einen solchen Menschen liebet, so möchte ich wissen,
wie es mit ruhigem Gemüth das Hertz seines Gelieb-
ten mit der halben Stadt, und zwar mit dem Aus-
kehrig der Stadt theilen kann? Dergleichen Leute
sind bloß sinnlich! Wie werden Sie, da Sie eine
so vernünftige Seele haben, mit einem bloß sinnli-
chen Menschen auskommen können? mit einem
Menschen, der mit seinen Eydschwüren an statt des
Balles spielet, und der durch die ungeziemendesten
Beleidigungen Sie vielleicht zu demüthigen suchen
wird. Wenn man ein solches freyes Leben anfangen
will, so muß man zum voraus alles Gewissen und
alle Menschlichkeit bey sich ertödtet haben: und wenn
man dasselbe fortsetzet, so muß man alles fortsetzen,
was niederträchtig und unmenschlich ist. Bitten,
Thränen, Demüthigungen sind bloß eine Nahrung
für den Hochmuth eines solchen Mannes: er stellet
wol mit seinen liederlichen Freunden, oder wol gar
mit dem liederlichsten Frauens-Volck Wetten darü-
ber an, wie demüthig Sie sind, und wie viel Sie
leiden können; und bringet sie mit sich nach Hause,
daß sie Zeugen davon seyn sollen: Jch schreibe nichts
als was ich erlebet habe.


Jch



ren, iſt die erſte, die er uͤbertrit, und zwar dieſes
taͤglich: je oͤfterer er von dieſer Regul abweichet, je
mehr zaͤhlt er vermeynte Siege. Er hat eine Ver-
achtung gegen Jhr gantzes Geſchlecht, er haͤlt kein
Frauenzimmer fuͤr ehrlich, weil er liederlich iſt; und
ein jedes Frauenzimmer, welches ihn liebet, beſtaͤrckt
ihn in dieſem Unglauben. Er denckt immer auf neue
Anſchlaͤge, noch mehrere zu ſeinem Vergnuͤgen in
das Ungluͤck zu ſtuͤrtzen. Wenn ein Frauenzimmer
einen ſolchen Menſchen liebet, ſo moͤchte ich wiſſen,
wie es mit ruhigem Gemuͤth das Hertz ſeines Gelieb-
ten mit der halben Stadt, und zwar mit dem Aus-
kehrig der Stadt theilen kann? Dergleichen Leute
ſind bloß ſinnlich! Wie werden Sie, da Sie eine
ſo vernuͤnftige Seele haben, mit einem bloß ſinnli-
chen Menſchen auskommen koͤnnen? mit einem
Menſchen, der mit ſeinen Eydſchwuͤren an ſtatt des
Balles ſpielet, und der durch die ungeziemendeſten
Beleidigungen Sie vielleicht zu demuͤthigen ſuchen
wird. Wenn man ein ſolches freyes Leben anfangen
will, ſo muß man zum voraus alles Gewiſſen und
alle Menſchlichkeit bey ſich ertoͤdtet haben: und wenn
man daſſelbe fortſetzet, ſo muß man alles fortſetzen,
was niedertraͤchtig und unmenſchlich iſt. Bitten,
Thraͤnen, Demuͤthigungen ſind bloß eine Nahrung
fuͤr den Hochmuth eines ſolchen Mannes: er ſtellet
wol mit ſeinen liederlichen Freunden, oder wol gar
mit dem liederlichſten Frauens-Volck Wetten daruͤ-
ber an, wie demuͤthig Sie ſind, und wie viel Sie
leiden koͤnnen; und bringet ſie mit ſich nach Hauſe,
daß ſie Zeugen davon ſeyn ſollen: Jch ſchreibe nichts
als was ich erlebet habe.


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[558/0572] ren, iſt die erſte, die er uͤbertrit, und zwar dieſes taͤglich: je oͤfterer er von dieſer Regul abweichet, je mehr zaͤhlt er vermeynte Siege. Er hat eine Ver- achtung gegen Jhr gantzes Geſchlecht, er haͤlt kein Frauenzimmer fuͤr ehrlich, weil er liederlich iſt; und ein jedes Frauenzimmer, welches ihn liebet, beſtaͤrckt ihn in dieſem Unglauben. Er denckt immer auf neue Anſchlaͤge, noch mehrere zu ſeinem Vergnuͤgen in das Ungluͤck zu ſtuͤrtzen. Wenn ein Frauenzimmer einen ſolchen Menſchen liebet, ſo moͤchte ich wiſſen, wie es mit ruhigem Gemuͤth das Hertz ſeines Gelieb- ten mit der halben Stadt, und zwar mit dem Aus- kehrig der Stadt theilen kann? Dergleichen Leute ſind bloß ſinnlich! Wie werden Sie, da Sie eine ſo vernuͤnftige Seele haben, mit einem bloß ſinnli- chen Menſchen auskommen koͤnnen? mit einem Menſchen, der mit ſeinen Eydſchwuͤren an ſtatt des Balles ſpielet, und der durch die ungeziemendeſten Beleidigungen Sie vielleicht zu demuͤthigen ſuchen wird. Wenn man ein ſolches freyes Leben anfangen will, ſo muß man zum voraus alles Gewiſſen und alle Menſchlichkeit bey ſich ertoͤdtet haben: und wenn man daſſelbe fortſetzet, ſo muß man alles fortſetzen, was niedertraͤchtig und unmenſchlich iſt. Bitten, Thraͤnen, Demuͤthigungen ſind bloß eine Nahrung fuͤr den Hochmuth eines ſolchen Mannes: er ſtellet wol mit ſeinen liederlichen Freunden, oder wol gar mit dem liederlichſten Frauens-Volck Wetten daruͤ- ber an, wie demuͤthig Sie ſind, und wie viel Sie leiden koͤnnen; und bringet ſie mit ſich nach Hauſe, daß ſie Zeugen davon ſeyn ſollen: Jch ſchreibe nichts als was ich erlebet habe. Jch

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/572>, abgerufen am 23.11.2024.