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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Zeitvertreib hat ihn verdorbrn. Er ist ohngefähr
dreyßig Jahre alt. Sein Gesicht ist feuer-roth, und
dabey etwas zu starck, und voller Finnen. Seine
unordentliche Lebens-Art wird die Dauer seines sinn-
lichen Traumes von Vergnügen sehr abkürtzen: denn
er hat einen kurtzen und schwindsüchtigen Husten.
Allein durch allerhand Spaß über diesen gefährli-
chen Vorboten, der ihn ernsthafter machen
sollte, pflegt er sich und seine Freunde aufzu-
muntern.

Herr Mowbray ist viel auf Reisen gewesen,
und redet eben so viele Sprachen als Herr Lovelace,
allein nicht so flüchtig. Er ist von sehr guter Fami-
lie, und scheint drey bis vier und dreyßig Jahr alt
zu seyn. Er ist groß von Person, und hat eine an-
ständige Leibes-Bildung: er hat starcke Knochen:
ein dreistes und wagendes Gesichte: eine grosse Nar-
be über den Vor-Kopf, und ein solches Merckmahl
als wenn die Hirn-Schale verletzt wäre, nebst noch
einer Narbe über den rechten Backen. Er pflegt
sich ebenfalls kostbar zu kleiden: seine Bedienten
müssen unaufhörlich um ihn stehen; er ruft sie alle
Augenblicke, ob er ihnen gleich nichts als Kleinig-
keiten zu befehlen hat. Jn der kurtzen Zeit, da ich
ihn habe kennen lernen, habe ich dieses mehrmahls
bemercket. Sie gaben ihm beständig auf seine feu-
rigen Augen Achtung, und wandten schon mit Furcht
und Zittern den Rücken, seine Befehle auszurichten,
wenn er kaum halb ausgeredet hatte. Gegen seines
gleichen scheint er eine erträgliche Aufführung zu ha-
ben: er kann von den öffentlichen Lustbarkeiten,

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Dritter Theil. J i



Zeitvertreib hat ihn verdorbrn. Er iſt ohngefaͤhr
dreyßig Jahre alt. Sein Geſicht iſt feuer-roth, und
dabey etwas zu ſtarck, und voller Finnen. Seine
unordentliche Lebens-Art wird die Dauer ſeines ſinn-
lichen Traumes von Vergnuͤgen ſehr abkuͤrtzen: denn
er hat einen kurtzen und ſchwindſuͤchtigen Huſten.
Allein durch allerhand Spaß uͤber dieſen gefaͤhrli-
chen Vorboten, der ihn ernſthafter machen
ſollte, pflegt er ſich und ſeine Freunde aufzu-
muntern.

Herr Mowbray iſt viel auf Reiſen geweſen,
und redet eben ſo viele Sprachen als Herr Lovelace,
allein nicht ſo fluͤchtig. Er iſt von ſehr guter Fami-
lie, und ſcheint drey bis vier und dreyßig Jahr alt
zu ſeyn. Er iſt groß von Perſon, und hat eine an-
ſtaͤndige Leibes-Bildung: er hat ſtarcke Knochen:
ein dreiſtes und wagendes Geſichte: eine groſſe Nar-
be uͤber den Vor-Kopf, und ein ſolches Merckmahl
als wenn die Hirn-Schale verletzt waͤre, nebſt noch
einer Narbe uͤber den rechten Backen. Er pflegt
ſich ebenfalls koſtbar zu kleiden: ſeine Bedienten
muͤſſen unaufhoͤrlich um ihn ſtehen; er ruft ſie alle
Augenblicke, ob er ihnen gleich nichts als Kleinig-
keiten zu befehlen hat. Jn der kurtzen Zeit, da ich
ihn habe kennen lernen, habe ich dieſes mehrmahls
bemercket. Sie gaben ihm beſtaͤndig auf ſeine feu-
rigen Augen Achtung, und wandten ſchon mit Furcht
und Zittern den Ruͤcken, ſeine Befehle auszurichten,
wenn er kaum halb ausgeredet hatte. Gegen ſeines
gleichen ſcheint er eine ertraͤgliche Auffuͤhrung zu ha-
ben: er kann von den oͤffentlichen Luſtbarkeiten,

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Dritter Theil. J i
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[497/0511] Zeitvertreib hat ihn verdorbrn. Er iſt ohngefaͤhr dreyßig Jahre alt. Sein Geſicht iſt feuer-roth, und dabey etwas zu ſtarck, und voller Finnen. Seine unordentliche Lebens-Art wird die Dauer ſeines ſinn- lichen Traumes von Vergnuͤgen ſehr abkuͤrtzen: denn er hat einen kurtzen und ſchwindſuͤchtigen Huſten. Allein durch allerhand Spaß uͤber dieſen gefaͤhrli- chen Vorboten, der ihn ernſthafter machen ſollte, pflegt er ſich und ſeine Freunde aufzu- muntern. Herr Mowbray iſt viel auf Reiſen geweſen, und redet eben ſo viele Sprachen als Herr Lovelace, allein nicht ſo fluͤchtig. Er iſt von ſehr guter Fami- lie, und ſcheint drey bis vier und dreyßig Jahr alt zu ſeyn. Er iſt groß von Perſon, und hat eine an- ſtaͤndige Leibes-Bildung: er hat ſtarcke Knochen: ein dreiſtes und wagendes Geſichte: eine groſſe Nar- be uͤber den Vor-Kopf, und ein ſolches Merckmahl als wenn die Hirn-Schale verletzt waͤre, nebſt noch einer Narbe uͤber den rechten Backen. Er pflegt ſich ebenfalls koſtbar zu kleiden: ſeine Bedienten muͤſſen unaufhoͤrlich um ihn ſtehen; er ruft ſie alle Augenblicke, ob er ihnen gleich nichts als Kleinig- keiten zu befehlen hat. Jn der kurtzen Zeit, da ich ihn habe kennen lernen, habe ich dieſes mehrmahls bemercket. Sie gaben ihm beſtaͤndig auf ſeine feu- rigen Augen Achtung, und wandten ſchon mit Furcht und Zittern den Ruͤcken, ſeine Befehle auszurichten, wenn er kaum halb ausgeredet hatte. Gegen ſeines gleichen ſcheint er eine ertraͤgliche Auffuͤhrung zu ha- ben: er kann von den oͤffentlichen Luſtbarkeiten, ſon- Dritter Theil. J i

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/511>, abgerufen am 24.11.2024.