Herr Lovelace sagte: er müßte ihnen meine gan- tze Geschichte erzählen, alsdenn würden sie sich bes- ser in mein Betragen finden können. Allein wenn ich glauben soll, daß sie mich lieb haben, (sagte der dreiste Mensch) so hängen sie den traurigen Gedan- cken, so wenig als möglich ist, nach. Jch weiß, daß bloß ihr liebenswürdiges Hertz, und die heilige Beobachtung ihrer Pflicht gegen Leute, die es nicht verdienen, die Ursache ihrer Unruhe ist. Werden sie nicht ungehalten auf mich, mein Hertz, daß ich dieses sage. (Vielleicht sahe er, daß ich anfing die Geduld zu verlieren) Er ergriff hierauf meine Hand und küssete sie. Jch verlies ihn und seine Gesell- schaft, und suchte mein Closet und Schreib-Zeug wider.
Jch schreibe noch, und eben werde ich schon ge- stört: er läßt mir sagen, er sey im Begriff zu ver- reisen, und wollte sich vorher mir empfehlen. Jch muß also abbrechen, um in das Speise-Zimmer zu ihm hinunter zu gehen.
Es gereichte zu meinem Vergnügen, daß ich ihn in seinem Reit-Kleide sahe. Er war sehr begierig zu wissen, wie mir das Frauenzimmer gefiele. Jch sagte ihm, ich hätte zwar nichts wichtiges an ihnen auszusetzen, allein da ich in meinen gegenwärtigen Umständen keine neue Bekanntschaft brauchte, so hät- te ich auch eben nicht Lust mich mit ihnen in vertraute Freundschaft einzulassen. Jnsonderheit müßte er mir dazu behülflich seyn, daß ich bey dem Thee und Abend-Essen allein seyn könnte.
Er
Herr Lovelace ſagte: er muͤßte ihnen meine gan- tze Geſchichte erzaͤhlen, alsdenn wuͤrden ſie ſich beſ- ſer in mein Betragen finden koͤnnen. Allein wenn ich glauben ſoll, daß ſie mich lieb haben, (ſagte der dreiſte Menſch) ſo haͤngen ſie den traurigen Gedan- cken, ſo wenig als moͤglich iſt, nach. Jch weiß, daß bloß ihr liebenswuͤrdiges Hertz, und die heilige Beobachtung ihrer Pflicht gegen Leute, die es nicht verdienen, die Urſache ihrer Unruhe iſt. Werden ſie nicht ungehalten auf mich, mein Hertz, daß ich dieſes ſage. (Vielleicht ſahe er, daß ich anfing die Geduld zu verlieren) Er ergriff hierauf meine Hand und kuͤſſete ſie. Jch verlies ihn und ſeine Geſell- ſchaft, und ſuchte mein Cloſet und Schreib-Zeug wider.
Jch ſchreibe noch, und eben werde ich ſchon ge- ſtoͤrt: er laͤßt mir ſagen, er ſey im Begriff zu ver- reiſen, und wollte ſich vorher mir empfehlen. Jch muß alſo abbrechen, um in das Speiſe-Zimmer zu ihm hinunter zu gehen.
Es gereichte zu meinem Vergnuͤgen, daß ich ihn in ſeinem Reit-Kleide ſahe. Er war ſehr begierig zu wiſſen, wie mir das Frauenzimmer gefiele. Jch ſagte ihm, ich haͤtte zwar nichts wichtiges an ihnen auszuſetzen, allein da ich in meinen gegenwaͤrtigen Umſtaͤnden keine neue Bekanntſchaft brauchte, ſo haͤt- te ich auch eben nicht Luſt mich mit ihnen in vertraute Freundſchaft einzulaſſen. Jnſonderheit muͤßte er mir dazu behuͤlflich ſeyn, daß ich bey dem Thee und Abend-Eſſen allein ſeyn koͤnnte.
Er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0482"n="468"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi>ſagte: er muͤßte ihnen meine gan-<lb/>
tze Geſchichte erzaͤhlen, alsdenn wuͤrden ſie ſich beſ-<lb/>ſer in mein Betragen finden koͤnnen. Allein wenn<lb/>
ich glauben ſoll, daß ſie mich lieb haben, (ſagte der<lb/>
dreiſte Menſch) ſo haͤngen ſie den traurigen Gedan-<lb/>
cken, ſo wenig als moͤglich iſt, nach. Jch weiß,<lb/>
daß bloß ihr liebenswuͤrdiges Hertz, und die heilige<lb/>
Beobachtung ihrer Pflicht gegen Leute, die es nicht<lb/>
verdienen, die Urſache ihrer Unruhe iſt. Werden<lb/>ſie nicht ungehalten auf mich, mein Hertz, daß ich<lb/>
dieſes ſage. (Vielleicht ſahe er, daß ich anfing die<lb/>
Geduld zu verlieren) Er ergriff hierauf meine Hand<lb/>
und kuͤſſete ſie. Jch verlies ihn und ſeine Geſell-<lb/>ſchaft, und ſuchte mein Cloſet und Schreib-Zeug<lb/>
wider.</p><lb/><p>Jch ſchreibe noch, und eben werde ich ſchon ge-<lb/>ſtoͤrt: er laͤßt mir ſagen, er ſey im Begriff zu ver-<lb/>
reiſen, und wollte ſich vorher mir empfehlen. Jch<lb/>
muß alſo abbrechen, um in das Speiſe-Zimmer zu<lb/>
ihm hinunter zu gehen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Es gereichte zu meinem Vergnuͤgen, daß ich ihn<lb/>
in ſeinem Reit-Kleide ſahe. Er war ſehr begierig<lb/>
zu wiſſen, wie mir das Frauenzimmer gefiele. Jch<lb/>ſagte ihm, ich haͤtte zwar nichts wichtiges an ihnen<lb/>
auszuſetzen, allein da ich in meinen gegenwaͤrtigen<lb/>
Umſtaͤnden keine neue Bekanntſchaft brauchte, ſo haͤt-<lb/>
te ich auch eben nicht Luſt mich mit ihnen in vertraute<lb/>
Freundſchaft einzulaſſen. Jnſonderheit muͤßte er<lb/>
mir dazu behuͤlflich ſeyn, daß ich bey dem Thee und<lb/>
Abend-Eſſen allein ſeyn koͤnnte.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Er</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[468/0482]
Herr Lovelace ſagte: er muͤßte ihnen meine gan-
tze Geſchichte erzaͤhlen, alsdenn wuͤrden ſie ſich beſ-
ſer in mein Betragen finden koͤnnen. Allein wenn
ich glauben ſoll, daß ſie mich lieb haben, (ſagte der
dreiſte Menſch) ſo haͤngen ſie den traurigen Gedan-
cken, ſo wenig als moͤglich iſt, nach. Jch weiß,
daß bloß ihr liebenswuͤrdiges Hertz, und die heilige
Beobachtung ihrer Pflicht gegen Leute, die es nicht
verdienen, die Urſache ihrer Unruhe iſt. Werden
ſie nicht ungehalten auf mich, mein Hertz, daß ich
dieſes ſage. (Vielleicht ſahe er, daß ich anfing die
Geduld zu verlieren) Er ergriff hierauf meine Hand
und kuͤſſete ſie. Jch verlies ihn und ſeine Geſell-
ſchaft, und ſuchte mein Cloſet und Schreib-Zeug
wider.
Jch ſchreibe noch, und eben werde ich ſchon ge-
ſtoͤrt: er laͤßt mir ſagen, er ſey im Begriff zu ver-
reiſen, und wollte ſich vorher mir empfehlen. Jch
muß alſo abbrechen, um in das Speiſe-Zimmer zu
ihm hinunter zu gehen.
Es gereichte zu meinem Vergnuͤgen, daß ich ihn
in ſeinem Reit-Kleide ſahe. Er war ſehr begierig
zu wiſſen, wie mir das Frauenzimmer gefiele. Jch
ſagte ihm, ich haͤtte zwar nichts wichtiges an ihnen
auszuſetzen, allein da ich in meinen gegenwaͤrtigen
Umſtaͤnden keine neue Bekanntſchaft brauchte, ſo haͤt-
te ich auch eben nicht Luſt mich mit ihnen in vertraute
Freundſchaft einzulaſſen. Jnſonderheit muͤßte er
mir dazu behuͤlflich ſeyn, daß ich bey dem Thee und
Abend-Eſſen allein ſeyn koͤnnte.
Er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/482>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.