Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



so geringe gehalten, und irgend einem andern Be-
wegungs-Grunde in der Welt nachgesetzet werde.

Die Jungfer Martin billigte meine Anmer-
ckung, und setzte dazu: es sey nichts in der Welt,
dadurch man einen gebrochenen Eyd entschuldigen
könne, wenn man auch zu dem Eyde durch unrichti-
ge Gründe bewogen sey.

Jch erkundigte mich nach der nächsten Kirche,
weil ich schon lange Zeit dem Gottesdienste nicht bey-
gewohnet. Sie nannten mir S. James, S.
Annen,
und noch eine Kirche bey Bloomsbury-
Squäre.
Die beyden Jungfern sagten, sie pfleg-
ten gemeiniglich nach S James zu gehen, weil sie
dort gute Gesellschaft und einen unvergleichlichen
Prediger hätten. Herr Lovelace kam auch an das
Wort: er gehet am meisten in die Capelle zu S. Ja-
mes,
wenn er sich in London aufhält. Der arme
Mensch! ich dachte gar nicht daran, daß er den
Gottesdienst besuchte. Jch fragte ihn: ob die Ge-
genwart des irdischen Königes, dessen Gebiet sich
beynahe nur über einen Punct erstreckte, wenn man
es mit dem Gebiete Gottes vergliche, die Zuhörer
nicht öfters in der Andacht störte, die sie dem Schö-
pfer von mehr als tausend Welten schuldig wären?

Er sagte: Es könnte vielleicht manchen so gehen,
die bloß mit dem Zweck in die Kirche kämen, daß sie
die königliche Familie sehen möchten. Allein er
habe in der Capelle eben so viel andächtige und buß-
fertige Gesichter gesehen, als irgends in einer an-
dern Kirche: Es wäre dieses nicht zu verwundern:

denn
Dritter Theil. G g



ſo geringe gehalten, und irgend einem andern Be-
wegungs-Grunde in der Welt nachgeſetzet werde.

Die Jungfer Martin billigte meine Anmer-
ckung, und ſetzte dazu: es ſey nichts in der Welt,
dadurch man einen gebrochenen Eyd entſchuldigen
koͤnne, wenn man auch zu dem Eyde durch unrichti-
ge Gruͤnde bewogen ſey.

Jch erkundigte mich nach der naͤchſten Kirche,
weil ich ſchon lange Zeit dem Gottesdienſte nicht bey-
gewohnet. Sie nannten mir S. James, S.
Annen,
und noch eine Kirche bey Bloomsbury-
Squaͤre.
Die beyden Jungfern ſagten, ſie pfleg-
ten gemeiniglich nach S James zu gehen, weil ſie
dort gute Geſellſchaft und einen unvergleichlichen
Prediger haͤtten. Herr Lovelace kam auch an das
Wort: er gehet am meiſten in die Capelle zu S. Ja-
mes,
wenn er ſich in London aufhaͤlt. Der arme
Menſch! ich dachte gar nicht daran, daß er den
Gottesdienſt beſuchte. Jch fragte ihn: ob die Ge-
genwart des irdiſchen Koͤniges, deſſen Gebiet ſich
beynahe nur uͤber einen Punct erſtreckte, wenn man
es mit dem Gebiete Gottes vergliche, die Zuhoͤrer
nicht oͤfters in der Andacht ſtoͤrte, die ſie dem Schoͤ-
pfer von mehr als tauſend Welten ſchuldig waͤren?

Er ſagte: Es koͤnnte vielleicht manchen ſo gehen,
die bloß mit dem Zweck in die Kirche kaͤmen, daß ſie
die koͤnigliche Familie ſehen moͤchten. Allein er
habe in der Capelle eben ſo viel andaͤchtige und buß-
fertige Geſichter geſehen, als irgends in einer an-
dern Kirche: Es waͤre dieſes nicht zu verwundern:

denn
Dritter Theil. G g
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0479" n="465"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;o geringe gehalten, und irgend einem andern Be-<lb/>
wegungs-Grunde in der Welt nachge&#x017F;etzet werde.</p><lb/>
          <p>Die Jungfer <hi rendition="#fr">Martin</hi> billigte meine Anmer-<lb/>
ckung, und &#x017F;etzte dazu: es &#x017F;ey nichts in der Welt,<lb/>
dadurch man einen gebrochenen Eyd ent&#x017F;chuldigen<lb/>
ko&#x0364;nne, wenn man auch zu dem Eyde durch unrichti-<lb/>
ge Gru&#x0364;nde bewogen &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Jch erkundigte mich nach der na&#x0364;ch&#x017F;ten Kirche,<lb/>
weil ich &#x017F;chon lange Zeit dem Gottesdien&#x017F;te nicht bey-<lb/>
gewohnet. Sie nannten mir <hi rendition="#fr">S. James, S.<lb/>
Annen,</hi> und noch eine Kirche bey <hi rendition="#fr">Bloomsbury-<lb/>
Squa&#x0364;re.</hi> Die beyden Jungfern &#x017F;agten, &#x017F;ie pfleg-<lb/>
ten gemeiniglich nach <hi rendition="#fr">S James</hi> zu gehen, weil &#x017F;ie<lb/>
dort gute Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und einen unvergleichlichen<lb/>
Prediger ha&#x0364;tten. Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> kam auch an das<lb/>
Wort: er gehet am mei&#x017F;ten in die Capelle zu <hi rendition="#fr">S. Ja-<lb/>
mes,</hi> wenn er &#x017F;ich in London aufha&#x0364;lt. Der arme<lb/>
Men&#x017F;ch! ich dachte gar nicht daran, daß er den<lb/>
Gottesdien&#x017F;t be&#x017F;uchte. Jch fragte ihn: ob die Ge-<lb/>
genwart des irdi&#x017F;chen Ko&#x0364;niges, de&#x017F;&#x017F;en Gebiet &#x017F;ich<lb/>
beynahe nur u&#x0364;ber einen Punct er&#x017F;treckte, wenn man<lb/>
es mit dem Gebiete Gottes vergliche, die Zuho&#x0364;rer<lb/>
nicht o&#x0364;fters in der Andacht &#x017F;to&#x0364;rte, die &#x017F;ie dem Scho&#x0364;-<lb/>
pfer von mehr als tau&#x017F;end Welten &#x017F;chuldig wa&#x0364;ren?</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;agte: Es ko&#x0364;nnte vielleicht manchen &#x017F;o gehen,<lb/>
die bloß mit dem Zweck in die Kirche ka&#x0364;men, daß &#x017F;ie<lb/>
die ko&#x0364;nigliche Familie &#x017F;ehen mo&#x0364;chten. Allein er<lb/>
habe in der Capelle eben &#x017F;o viel anda&#x0364;chtige und buß-<lb/>
fertige Ge&#x017F;ichter ge&#x017F;ehen, als irgends in einer an-<lb/>
dern Kirche: Es wa&#x0364;re die&#x017F;es nicht zu verwundern:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">denn</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Dritter Theil.</hi> G g</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0479] ſo geringe gehalten, und irgend einem andern Be- wegungs-Grunde in der Welt nachgeſetzet werde. Die Jungfer Martin billigte meine Anmer- ckung, und ſetzte dazu: es ſey nichts in der Welt, dadurch man einen gebrochenen Eyd entſchuldigen koͤnne, wenn man auch zu dem Eyde durch unrichti- ge Gruͤnde bewogen ſey. Jch erkundigte mich nach der naͤchſten Kirche, weil ich ſchon lange Zeit dem Gottesdienſte nicht bey- gewohnet. Sie nannten mir S. James, S. Annen, und noch eine Kirche bey Bloomsbury- Squaͤre. Die beyden Jungfern ſagten, ſie pfleg- ten gemeiniglich nach S James zu gehen, weil ſie dort gute Geſellſchaft und einen unvergleichlichen Prediger haͤtten. Herr Lovelace kam auch an das Wort: er gehet am meiſten in die Capelle zu S. Ja- mes, wenn er ſich in London aufhaͤlt. Der arme Menſch! ich dachte gar nicht daran, daß er den Gottesdienſt beſuchte. Jch fragte ihn: ob die Ge- genwart des irdiſchen Koͤniges, deſſen Gebiet ſich beynahe nur uͤber einen Punct erſtreckte, wenn man es mit dem Gebiete Gottes vergliche, die Zuhoͤrer nicht oͤfters in der Andacht ſtoͤrte, die ſie dem Schoͤ- pfer von mehr als tauſend Welten ſchuldig waͤren? Er ſagte: Es koͤnnte vielleicht manchen ſo gehen, die bloß mit dem Zweck in die Kirche kaͤmen, daß ſie die koͤnigliche Familie ſehen moͤchten. Allein er habe in der Capelle eben ſo viel andaͤchtige und buß- fertige Geſichter geſehen, als irgends in einer an- dern Kirche: Es waͤre dieſes nicht zu verwundern: denn Dritter Theil. G g

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/479
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/479>, abgerufen am 22.11.2024.