Soll ich Sie nicht schelten, daß Sie ein so über- eiltes Gelübde gethan haben, Herrn Hickmann nicht glücklich zu machen, so lange mein Glück noch zweifelhaft ist? Jch hoffe, Sie werden sich selbst des Gelübdes erlassen können. Denn was würde mir die Erfüllung ihres Gelübdes helfen, wenn ich in Unglück geriethe? Der Ehestand ist der rech- te Stand der Freundschaft: wenn die Ehe glück- lich ist, so vermindert sie unsern Kummer, weil wir ihn theilen können, und verdoppelt unser Vergnü- gen, weil der andere Theil eben so vieles Vergnügen über unsere angenehmen Umstände empfindet, als wir. Wenn Sie mich aufrichtig lieben, so sollten Sie vielmehr suchen, mir noch einen aufrichtigen und zuverläßigen Freund zu verschaffen, da ich mich noch nicht mit Gewißheit rühmen kann, daß ich zwey Freunde in der Welt habe. Wenn der letzte Ge- burts-Tag Jhrer Frau Mutter, nach deren Absicht, auch Herrn Hickmans Freuden-Tag gewesen wä- re, so würde ich eine Zuflucht gehabt haben, und manchem Verdruß entgangen seyn.
Herr Lovelace störete mich in Fortsetzung mei- nes Briefes. Er meldete die Witwe bey mir, und diese brachte mir eine Base, und bat, daß die mir aufwarten dürfte, bis daß Hannichen kommen könn- te, oder bis ich auf andere Art versorget wäre. Die Witwe gab ihr ein gutes Zeugniß, allein sie sagte, sie hätte einen Haupt-Mangel: sie könnte weder
schrei-
Soll ich Sie nicht ſchelten, daß Sie ein ſo uͤber- eiltes Geluͤbde gethan haben, Herrn Hickmann nicht gluͤcklich zu machen, ſo lange mein Gluͤck noch zweifelhaft iſt? Jch hoffe, Sie werden ſich ſelbſt des Geluͤbdes erlaſſen koͤnnen. Denn was wuͤrde mir die Erfuͤllung ihres Geluͤbdes helfen, wenn ich in Ungluͤck geriethe? Der Eheſtand iſt der rech- te Stand der Freundſchaft: wenn die Ehe gluͤck- lich iſt, ſo vermindert ſie unſern Kummer, weil wir ihn theilen koͤnnen, und verdoppelt unſer Vergnuͤ- gen, weil der andere Theil eben ſo vieles Vergnuͤgen uͤber unſere angenehmen Umſtaͤnde empfindet, als wir. Wenn Sie mich aufrichtig lieben, ſo ſollten Sie vielmehr ſuchen, mir noch einen aufrichtigen und zuverlaͤßigen Freund zu verſchaffen, da ich mich noch nicht mit Gewißheit ruͤhmen kann, daß ich zwey Freunde in der Welt habe. Wenn der letzte Ge- burts-Tag Jhrer Frau Mutter, nach deren Abſicht, auch Herrn Hickmans Freuden-Tag geweſen waͤ- re, ſo wuͤrde ich eine Zuflucht gehabt haben, und manchem Verdruß entgangen ſeyn.
Herr Lovelace ſtoͤrete mich in Fortſetzung mei- nes Briefes. Er meldete die Witwe bey mir, und dieſe brachte mir eine Baſe, und bat, daß die mir aufwarten duͤrfte, bis daß Hannichen kommen koͤnn- te, oder bis ich auf andere Art verſorget waͤre. Die Witwe gab ihr ein gutes Zeugniß, allein ſie ſagte, ſie haͤtte einen Haupt-Mangel: ſie koͤnnte weder
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Soll ich Sie nicht ſchelten, daß Sie ein ſo uͤber-
eiltes Geluͤbde gethan haben, Herrn Hickmann
nicht gluͤcklich zu machen, ſo lange mein Gluͤck noch
zweifelhaft iſt? Jch hoffe, Sie werden ſich ſelbſt
des Geluͤbdes erlaſſen koͤnnen. Denn was wuͤrde
mir die Erfuͤllung ihres Geluͤbdes helfen, wenn
ich in Ungluͤck geriethe? Der Eheſtand iſt der rech-
te Stand der Freundſchaft: wenn die Ehe gluͤck-
lich iſt, ſo vermindert ſie unſern Kummer, weil wir
ihn theilen koͤnnen, und verdoppelt unſer Vergnuͤ-
gen, weil der andere Theil eben ſo vieles Vergnuͤgen
uͤber unſere angenehmen Umſtaͤnde empfindet, als
wir. Wenn Sie mich aufrichtig lieben, ſo ſollten
Sie vielmehr ſuchen, mir noch einen aufrichtigen
und zuverlaͤßigen Freund zu verſchaffen, da ich mich
noch nicht mit Gewißheit ruͤhmen kann, daß ich zwey
Freunde in der Welt habe. Wenn der letzte Ge-
burts-Tag Jhrer Frau Mutter, nach deren Abſicht,
auch Herrn Hickmans Freuden-Tag geweſen waͤ-
re, ſo wuͤrde ich eine Zuflucht gehabt haben, und
manchem Verdruß entgangen ſeyn.
Herr Lovelace ſtoͤrete mich in Fortſetzung mei-
nes Briefes. Er meldete die Witwe bey mir, und
dieſe brachte mir eine Baſe, und bat, daß die mir
aufwarten duͤrfte, bis daß Hannichen kommen koͤnn-
te, oder bis ich auf andere Art verſorget waͤre. Die
Witwe gab ihr ein gutes Zeugniß, allein ſie ſagte,
ſie haͤtte einen Haupt-Mangel: ſie koͤnnte weder
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/458>, abgerufen am 24.11.2024.
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