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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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will einen Satz mit diesem alten boshaften Freunde
wagen: kann ich ihn denn nicht bekehren, so will
ich in meinem Leben nicht wieder daran gedencken.

Mein liebes Kind ist noch sehr betrübt und
kranck. Sie ist eine gar zu zarte Blüte. Die heftige
Winde der Leidenschaften kann sie noch nicht vertra-
gen. Bisher ist sie noch immer unter den Flügeln
ihrer nicht allein liebreichen, sondern auch bewun-
dernden Eltern gewesen. Der Schoos ihrer Mut-
ter war noch bisher der Boden, aus dem man sie
nicht verpflantzen durfte. Dieses waren die Ge-
dancken, die mir mit Mittleiden und mit neuer Liebe
aufstiegen, als mein liebes Kind sein unvergleichli-
ches Gesichte auf den Busen der Frau Sorlings
legte. Es hatte sich kaum von einer Ohnmacht er-
hohlt: und kaum hatte es den Brief seiner verfluch-
ten Schwester gelesen. Wie liebenswürdig war
meine Schöne als sie weinete! Jch trat in die Stu-
be; sie hob ihr Gesicht in die Höhe, und schien ohne
Worte meinen Schutz zu verlangen. Kann ich an
einem solchen Engel zum Schelme werden? Jch
hoffe es nicht. Allein warum bringst du Schelm
mir in die Gedancken, daß sie überwindlich sey?
Und warum hat sie so spät, und nur bey der äussersten
Noth sich entschlossen, daß sie sich auf meine Ehre
verlassen wollte.

Sie ist noch immer so niedergeschlagen, daß ich
mich fürchte, eine tieffsinnige Frau zu bekommen,
wenn ich sie heyrathe. Jch würde in dem Falle
doppelt unglücklich seyn. Jch habe zwar nicht den
Vorsatz, nach den ersten vierzehen Tagen mich lan-

ge
Dritter Theil. E e



will einen Satz mit dieſem alten boshaften Freunde
wagen: kann ich ihn denn nicht bekehren, ſo will
ich in meinem Leben nicht wieder daran gedencken.

Mein liebes Kind iſt noch ſehr betruͤbt und
kranck. Sie iſt eine gar zu zarte Bluͤte. Die heftige
Winde der Leidenſchaften kann ſie noch nicht vertra-
gen. Bisher iſt ſie noch immer unter den Fluͤgeln
ihrer nicht allein liebreichen, ſondern auch bewun-
dernden Eltern geweſen. Der Schoos ihrer Mut-
ter war noch bisher der Boden, aus dem man ſie
nicht verpflantzen durfte. Dieſes waren die Ge-
dancken, die mir mit Mittleiden und mit neuer Liebe
aufſtiegen, als mein liebes Kind ſein unvergleichli-
ches Geſichte auf den Buſen der Frau Sorlings
legte. Es hatte ſich kaum von einer Ohnmacht er-
hohlt: und kaum hatte es den Brief ſeiner verfluch-
ten Schweſter geleſen. Wie liebenswuͤrdig war
meine Schoͤne als ſie weinete! Jch trat in die Stu-
be; ſie hob ihr Geſicht in die Hoͤhe, und ſchien ohne
Worte meinen Schutz zu verlangen. Kann ich an
einem ſolchen Engel zum Schelme werden? Jch
hoffe es nicht. Allein warum bringſt du Schelm
mir in die Gedancken, daß ſie uͤberwindlich ſey?
Und warum hat ſie ſo ſpaͤt, und nur bey der aͤuſſerſten
Noth ſich entſchloſſen, daß ſie ſich auf meine Ehre
verlaſſen wollte.

Sie iſt noch immer ſo niedergeſchlagen, daß ich
mich fuͤrchte, eine tieffſinnige Frau zu bekommen,
wenn ich ſie heyrathe. Jch wuͤrde in dem Falle
doppelt ungluͤcklich ſeyn. Jch habe zwar nicht den
Vorſatz, nach den erſten vierzehen Tagen mich lan-

ge
Dritter Theil. E e
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[433/0447] will einen Satz mit dieſem alten boshaften Freunde wagen: kann ich ihn denn nicht bekehren, ſo will ich in meinem Leben nicht wieder daran gedencken. Mein liebes Kind iſt noch ſehr betruͤbt und kranck. Sie iſt eine gar zu zarte Bluͤte. Die heftige Winde der Leidenſchaften kann ſie noch nicht vertra- gen. Bisher iſt ſie noch immer unter den Fluͤgeln ihrer nicht allein liebreichen, ſondern auch bewun- dernden Eltern geweſen. Der Schoos ihrer Mut- ter war noch bisher der Boden, aus dem man ſie nicht verpflantzen durfte. Dieſes waren die Ge- dancken, die mir mit Mittleiden und mit neuer Liebe aufſtiegen, als mein liebes Kind ſein unvergleichli- ches Geſichte auf den Buſen der Frau Sorlings legte. Es hatte ſich kaum von einer Ohnmacht er- hohlt: und kaum hatte es den Brief ſeiner verfluch- ten Schweſter geleſen. Wie liebenswuͤrdig war meine Schoͤne als ſie weinete! Jch trat in die Stu- be; ſie hob ihr Geſicht in die Hoͤhe, und ſchien ohne Worte meinen Schutz zu verlangen. Kann ich an einem ſolchen Engel zum Schelme werden? Jch hoffe es nicht. Allein warum bringſt du Schelm mir in die Gedancken, daß ſie uͤberwindlich ſey? Und warum hat ſie ſo ſpaͤt, und nur bey der aͤuſſerſten Noth ſich entſchloſſen, daß ſie ſich auf meine Ehre verlaſſen wollte. Sie iſt noch immer ſo niedergeſchlagen, daß ich mich fuͤrchte, eine tieffſinnige Frau zu bekommen, wenn ich ſie heyrathe. Jch wuͤrde in dem Falle doppelt ungluͤcklich ſeyn. Jch habe zwar nicht den Vorſatz, nach den erſten vierzehen Tagen mich lan- ge Dritter Theil. E e

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/447>, abgerufen am 21.11.2024.