Die Ursachen, um welcher willen ich die Trauung aufschob, sind nicht blosse Kleinigkeiten des Wohl- standes. Jch befand mich in der That sehr übel; ich konnte mein Haupt vor Kummer und Kranckheit nicht aufgerichtet halten, weil mich der Brief mei- ner Schwester tödtlich verwundet hatte. Was sa- gen Sie selbst: sollte ich seinen ersten Antrag, so wie man von der Gelegenheit saget, so gleich bey den Haaren ergreiffen, und ihm den Begriff von mir beybringen, als fürchtete ich, ich werde seine Bitte nicht zum zweyten mahl anbringen?
Auf den zweyten Brief schreibt sie folgendes:
Es scheint, Sie glauben, daß mein Versehen eine Wohlthat der göttlichen Vorsehung sey. Diese Auslegung verräth sich sogleich, daß sie die Spra- che einer aufrichtigen und alles genau überlegenden Freundin ist. Jch wünschte indessen, daß jeder- mann meinen Vater oder zum wenigsten meine Mutter entschuldigen möchte: denn diese ist von al- len bewundert worden, ehe unser betrübter Haus- Krieg seinen Anfang nahm: Verhüten Sie, daß niemand sagen, und am meisten, daß niemand Jhnen nachsagen könne, daß meine Mutter ihr unglückli- ches Kind hätte retten können, wenn sie sich früher als Frau im Hause bewiesen hätte. Sie sehen selbst, daß sie alles ihr Vermögen zu meinen Be- sten hat anwenden wollen, so bald ihre Zeit gekom- men war, und sie sahe, daß meines Bruders Ver- folgungen sich nicht auf eine andere Weise endigen würden. Allein die allzu kluge Tochter kam ihr zuvor, und machte durch die verwünschte Unterre-
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D d 4
Die Urſachen, um welcher willen ich die Trauung aufſchob, ſind nicht bloſſe Kleinigkeiten des Wohl- ſtandes. Jch befand mich in der That ſehr uͤbel; ich konnte mein Haupt vor Kummer und Kranckheit nicht aufgerichtet halten, weil mich der Brief mei- ner Schweſter toͤdtlich verwundet hatte. Was ſa- gen Sie ſelbſt: ſollte ich ſeinen erſten Antrag, ſo wie man von der Gelegenheit ſaget, ſo gleich bey den Haaren ergreiffen, und ihm den Begriff von mir beybringen, als fuͤrchtete ich, ich werde ſeine Bitte nicht zum zweyten mahl anbringen?
Auf den zweyten Brief ſchreibt ſie folgendes:
Es ſcheint, Sie glauben, daß mein Verſehen eine Wohlthat der goͤttlichen Vorſehung ſey. Dieſe Auslegung verraͤth ſich ſogleich, daß ſie die Spra- che einer aufrichtigen und alles genau uͤberlegenden Freundin iſt. Jch wuͤnſchte indeſſen, daß jeder- mann meinen Vater oder zum wenigſten meine Mutter entſchuldigen moͤchte: denn dieſe iſt von al- len bewundert worden, ehe unſer betruͤbter Haus- Krieg ſeinen Anfang nahm: Verhuͤten Sie, daß niemand ſagen, und am meiſten, daß niemand Jhnen nachſagen koͤnne, daß meine Mutter ihr ungluͤckli- ches Kind haͤtte retten koͤnnen, wenn ſie ſich fruͤher als Frau im Hauſe bewieſen haͤtte. Sie ſehen ſelbſt, daß ſie alles ihr Vermoͤgen zu meinen Be- ſten hat anwenden wollen, ſo bald ihre Zeit gekom- men war, und ſie ſahe, daß meines Bruders Ver- folgungen ſich nicht auf eine andere Weiſe endigen wuͤrden. Allein die allzu kluge Tochter kam ihr zuvor, und machte durch die verwuͤnſchte Unterre-
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Die Urſachen, um welcher willen ich die Trauung
aufſchob, ſind nicht bloſſe Kleinigkeiten des Wohl-
ſtandes. Jch befand mich in der That ſehr uͤbel;
ich konnte mein Haupt vor Kummer und Kranckheit
nicht aufgerichtet halten, weil mich der Brief mei-
ner Schweſter toͤdtlich verwundet hatte. Was ſa-
gen Sie ſelbſt: ſollte ich ſeinen erſten Antrag, ſo
wie man von der Gelegenheit ſaget, ſo gleich bey
den Haaren ergreiffen, und ihm den Begriff von
mir beybringen, als fuͤrchtete ich, ich werde ſeine
Bitte nicht zum zweyten mahl anbringen?
Auf den zweyten Brief ſchreibt ſie folgendes:
Es ſcheint, Sie glauben, daß mein Verſehen
eine Wohlthat der goͤttlichen Vorſehung ſey. Dieſe
Auslegung verraͤth ſich ſogleich, daß ſie die Spra-
che einer aufrichtigen und alles genau uͤberlegenden
Freundin iſt. Jch wuͤnſchte indeſſen, daß jeder-
mann meinen Vater oder zum wenigſten meine
Mutter entſchuldigen moͤchte: denn dieſe iſt von al-
len bewundert worden, ehe unſer betruͤbter Haus-
Krieg ſeinen Anfang nahm: Verhuͤten Sie, daß
niemand ſagen, und am meiſten, daß niemand Jhnen
nachſagen koͤnne, daß meine Mutter ihr ungluͤckli-
ches Kind haͤtte retten koͤnnen, wenn ſie ſich fruͤher
als Frau im Hauſe bewieſen haͤtte. Sie ſehen
ſelbſt, daß ſie alles ihr Vermoͤgen zu meinen Be-
ſten hat anwenden wollen, ſo bald ihre Zeit gekom-
men war, und ſie ſahe, daß meines Bruders Ver-
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wuͤrden. Allein die allzu kluge Tochter kam ihr
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/437>, abgerufen am 21.11.2024.
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