Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



auf eine so zärtliche Art bezeuget hat: daß er sich
so weit zu mir herablassen wollen: daß er - - - Wie
zärtlich ist das, was folget! und wie empfindlich
kräncket mich diese Zärtlichkeit! Meine Base
brauchte kein Geheimniß daraus zu machen, daß sie
einen solchen Brief an mich geschrieben hat. Der
Vater will seiner Tochter zu Fusse fallen, und auf
den Knieen bitten! Der Anblick würde mir uner-
träglich gewesen seyn: ich weiß gewiß nicht, was ich
in dem Falle gethan haben möchte. Der Tod würde
mir angenehmer gewesen seyn, als eine solche Vor-
bitte meines Vaters für den Freyer, der mir der
eckelhafteste in der Welt war. Allein ich hätte
verdienet, in mein altes Nichts verwandelt zu wer-
den, wenn ich meinen Vater auf den Knieen hätte
eine vergebliche Bitte thun lassen.

Wenn ich nichts hätte zu verleugnen gehabt, als
die Zuneigung gegen einen andern, und das äussere
Ansehen, so würde es keines Knieens bedurft haben,
sondern der Gehorsam sollte meine Neigung leicht
besieget haben. Allein ein so natürlicher und unü-
berwindlicher Abscheu: das Hohngelächter meines
grausamen und unerträglichen Bruders und mei-
ner neidischen Schwester: die so heilig versproche-
nen Pflichten des Ehestandes, und die allerinnigste
Vertraulichkeit; (nehmen Sie mir nicht übel, daß
ich an eine Folge der Verheyrathung dencken mußte,
die sich das reineste Gemüth vorstellen muß) meine
Vorstellung von der Unverbrüchlichkeit aller Ver-
sprechungen, sonderlich derer in die wir gewilliget
haben: waren allzu starcke Hindernisse. Würde

es
B b 5



auf eine ſo zaͤrtliche Art bezeuget hat: daß er ſich
ſo weit zu mir herablaſſen wollen: daß er ‒ ‒ ‒ Wie
zaͤrtlich iſt das, was folget! und wie empfindlich
kraͤncket mich dieſe Zaͤrtlichkeit! Meine Baſe
brauchte kein Geheimniß daraus zu machen, daß ſie
einen ſolchen Brief an mich geſchrieben hat. Der
Vater will ſeiner Tochter zu Fuſſe fallen, und auf
den Knieen bitten! Der Anblick wuͤrde mir uner-
traͤglich geweſen ſeyn: ich weiß gewiß nicht, was ich
in dem Falle gethan haben moͤchte. Der Tod wuͤrde
mir angenehmer geweſen ſeyn, als eine ſolche Vor-
bitte meines Vaters fuͤr den Freyer, der mir der
eckelhafteſte in der Welt war. Allein ich haͤtte
verdienet, in mein altes Nichts verwandelt zu wer-
den, wenn ich meinen Vater auf den Knieen haͤtte
eine vergebliche Bitte thun laſſen.

Wenn ich nichts haͤtte zu verleugnen gehabt, als
die Zuneigung gegen einen andern, und das aͤuſſere
Anſehen, ſo wuͤrde es keines Knieens bedurft haben,
ſondern der Gehorſam ſollte meine Neigung leicht
beſieget haben. Allein ein ſo natuͤrlicher und unuͤ-
berwindlicher Abſcheu: das Hohngelaͤchter meines
grauſamen und unertraͤglichen Bruders und mei-
ner neidiſchen Schweſter: die ſo heilig verſproche-
nen Pflichten des Eheſtandes, und die allerinnigſte
Vertraulichkeit; (nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß
ich an eine Folge der Verheyrathung dencken mußte,
die ſich das reineſte Gemuͤth vorſtellen muß) meine
Vorſtellung von der Unverbruͤchlichkeit aller Ver-
ſprechungen, ſonderlich derer in die wir gewilliget
haben: waren allzu ſtarcke Hinderniſſe. Wuͤrde

es
B b 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <p><pb facs="#f0407" n="393"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
auf eine &#x017F;o za&#x0364;rtliche Art bezeuget hat: daß er &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o weit zu mir herabla&#x017F;&#x017F;en wollen: daß er &#x2012; &#x2012; &#x2012; Wie<lb/>
za&#x0364;rtlich i&#x017F;t das, was folget! und wie empfindlich<lb/>
kra&#x0364;ncket mich die&#x017F;e Za&#x0364;rtlichkeit! Meine Ba&#x017F;e<lb/>
brauchte kein Geheimniß daraus zu machen, daß &#x017F;ie<lb/>
einen &#x017F;olchen Brief an mich ge&#x017F;chrieben hat. Der<lb/>
Vater will &#x017F;einer Tochter zu Fu&#x017F;&#x017F;e fallen, und auf<lb/>
den Knieen bitten! Der Anblick wu&#x0364;rde mir uner-<lb/>
tra&#x0364;glich gewe&#x017F;en &#x017F;eyn: ich weiß gewiß nicht, was ich<lb/>
in dem Falle gethan haben mo&#x0364;chte. Der Tod wu&#x0364;rde<lb/>
mir angenehmer gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, als eine &#x017F;olche Vor-<lb/>
bitte meines Vaters fu&#x0364;r den Freyer, der mir der<lb/>
eckelhafte&#x017F;te in der Welt war. Allein ich ha&#x0364;tte<lb/>
verdienet, in mein altes Nichts verwandelt zu wer-<lb/>
den, wenn ich meinen Vater auf den Knieen ha&#x0364;tte<lb/>
eine vergebliche Bitte thun la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p>Wenn ich nichts ha&#x0364;tte zu verleugnen gehabt, als<lb/>
die Zuneigung gegen einen andern, und das a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
An&#x017F;ehen, &#x017F;o wu&#x0364;rde es keines Knieens bedurft haben,<lb/>
&#x017F;ondern der Gehor&#x017F;am &#x017F;ollte meine Neigung leicht<lb/>
be&#x017F;ieget haben. Allein ein &#x017F;o natu&#x0364;rlicher und unu&#x0364;-<lb/>
berwindlicher Ab&#x017F;cheu: das Hohngela&#x0364;chter meines<lb/>
grau&#x017F;amen und unertra&#x0364;glichen Bruders und mei-<lb/>
ner neidi&#x017F;chen Schwe&#x017F;ter: die &#x017F;o heilig ver&#x017F;proche-<lb/>
nen Pflichten des Ehe&#x017F;tandes, und die allerinnig&#x017F;te<lb/>
Vertraulichkeit; (nehmen Sie mir nicht u&#x0364;bel, daß<lb/>
ich an eine Folge der Verheyrathung dencken mußte,<lb/>
die &#x017F;ich das reine&#x017F;te Gemu&#x0364;th vor&#x017F;tellen muß) meine<lb/>
Vor&#x017F;tellung von der Unverbru&#x0364;chlichkeit aller Ver-<lb/>
&#x017F;prechungen, &#x017F;onderlich derer in die wir gewilliget<lb/>
haben: waren allzu &#x017F;tarcke Hinderni&#x017F;&#x017F;e. Wu&#x0364;rde<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 5</fw><fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0407] auf eine ſo zaͤrtliche Art bezeuget hat: daß er ſich ſo weit zu mir herablaſſen wollen: daß er ‒ ‒ ‒ Wie zaͤrtlich iſt das, was folget! und wie empfindlich kraͤncket mich dieſe Zaͤrtlichkeit! Meine Baſe brauchte kein Geheimniß daraus zu machen, daß ſie einen ſolchen Brief an mich geſchrieben hat. Der Vater will ſeiner Tochter zu Fuſſe fallen, und auf den Knieen bitten! Der Anblick wuͤrde mir uner- traͤglich geweſen ſeyn: ich weiß gewiß nicht, was ich in dem Falle gethan haben moͤchte. Der Tod wuͤrde mir angenehmer geweſen ſeyn, als eine ſolche Vor- bitte meines Vaters fuͤr den Freyer, der mir der eckelhafteſte in der Welt war. Allein ich haͤtte verdienet, in mein altes Nichts verwandelt zu wer- den, wenn ich meinen Vater auf den Knieen haͤtte eine vergebliche Bitte thun laſſen. Wenn ich nichts haͤtte zu verleugnen gehabt, als die Zuneigung gegen einen andern, und das aͤuſſere Anſehen, ſo wuͤrde es keines Knieens bedurft haben, ſondern der Gehorſam ſollte meine Neigung leicht beſieget haben. Allein ein ſo natuͤrlicher und unuͤ- berwindlicher Abſcheu: das Hohngelaͤchter meines grauſamen und unertraͤglichen Bruders und mei- ner neidiſchen Schweſter: die ſo heilig verſproche- nen Pflichten des Eheſtandes, und die allerinnigſte Vertraulichkeit; (nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß ich an eine Folge der Verheyrathung dencken mußte, die ſich das reineſte Gemuͤth vorſtellen muß) meine Vorſtellung von der Unverbruͤchlichkeit aller Ver- ſprechungen, ſonderlich derer in die wir gewilliget haben: waren allzu ſtarcke Hinderniſſe. Wuͤrde es B b 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/407
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/407>, abgerufen am 14.06.2024.