vollem Halse rufen würde, und einen Vater, des- sen Gesicht fürchterlicher seyn würde, als der blan- cke Degen den ich sahe und zu sehen befürchtete. Jch lief vollkommen so geschwind als er, ohne zu wissen, daß ich lief: denn die Furcht benahm mir alle Gedancken, und machte meinen Füßen Flü- gel; eben die Furcht, die mir nicht so viel bewust- seyn übrig ließ, daß ich einen Weg würde haben wählen können, wenn er mich nicht mit fortgezo- gen hätte. Allein diese Furcht mehrete sich noch, als ich einen Kerl aus der Thür heraus kommen sahe, der uns mit den Augen wahrete und rück- wärts und vorwärts lief, und immer andere her- bey rief, von denen ich glaubete, daß er sie sehen müßte, ob ich sie gleich vor der Garten-Mauer nicht sehen konnte, und sie für meinen Vater, Bru- der oder ihre Bedienten hielte.
Unter diesem Schrecken verlohr ich in wenigen Minuten die Garten-Thür aus dem Gesichte: und ob mich gleich Furcht und Laufen fast außer Athem gebracht hatte, so mußte ich doch noch geschwin- der laufen, nachdem er meine Hand unter seinen Arm nahm, und den Degen in der andern Hand hielt. Worte und Handlungen waren einander sehr ungleich. Jch rief: nein! nein! und keh- rete mich immer um, zurückzusehen, so lange mir die Mauer von dem Lust- und Thier-Garten noch im Gesichte war. Er brachte mich zu dem Wa- gen seines Onckels, bey dem ich zwey von seinen und zwey von des Lord M. Bedienten gewaf- net und zu Pferde fand.
Hier
vollem Halſe rufen wuͤrde, und einen Vater, deſ- ſen Geſicht fuͤrchterlicher ſeyn wuͤrde, als der blan- cke Degen den ich ſahe und zu ſehen befuͤrchtete. Jch lief vollkommen ſo geſchwind als er, ohne zu wiſſen, daß ich lief: denn die Furcht benahm mir alle Gedancken, und machte meinen Fuͤßen Fluͤ- gel; eben die Furcht, die mir nicht ſo viel bewuſt- ſeyn uͤbrig ließ, daß ich einen Weg wuͤrde haben waͤhlen koͤnnen, wenn er mich nicht mit fortgezo- gen haͤtte. Allein dieſe Furcht mehrete ſich noch, als ich einen Kerl aus der Thuͤr heraus kommen ſahe, der uns mit den Augen wahrete und ruͤck- waͤrts und vorwaͤrts lief, und immer andere her- bey rief, von denen ich glaubete, daß er ſie ſehen muͤßte, ob ich ſie gleich vor der Garten-Mauer nicht ſehen konnte, und ſie fuͤr meinen Vater, Bru- der oder ihre Bedienten hielte.
Unter dieſem Schrecken verlohr ich in wenigen Minuten die Garten-Thuͤr aus dem Geſichte: und ob mich gleich Furcht und Laufen faſt außer Athem gebracht hatte, ſo mußte ich doch noch geſchwin- der laufen, nachdem er meine Hand unter ſeinen Arm nahm, und den Degen in der andern Hand hielt. Worte und Handlungen waren einander ſehr ungleich. Jch rief: nein! nein! und keh- rete mich immer um, zuruͤckzuſehen, ſo lange mir die Mauer von dem Luſt- und Thier-Garten noch im Geſichte war. Er brachte mich zu dem Wa- gen ſeines Onckels, bey dem ich zwey von ſeinen und zwey von des Lord M. Bedienten gewaf- net und zu Pferde fand.
Hier
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vollem Halſe rufen wuͤrde, und einen Vater, deſ-
ſen Geſicht fuͤrchterlicher ſeyn wuͤrde, als der blan-
cke Degen den ich ſahe und zu ſehen befuͤrchtete.
Jch lief vollkommen ſo geſchwind als er, ohne
zu wiſſen, daß ich lief: denn die Furcht benahm
mir alle Gedancken, und machte meinen Fuͤßen Fluͤ-
gel; eben die Furcht, die mir nicht ſo viel bewuſt-
ſeyn uͤbrig ließ, daß ich einen Weg wuͤrde haben
waͤhlen koͤnnen, wenn er mich nicht mit fortgezo-
gen haͤtte. Allein dieſe Furcht mehrete ſich noch,
als ich einen Kerl aus der Thuͤr heraus kommen
ſahe, der uns mit den Augen wahrete und ruͤck-
waͤrts und vorwaͤrts lief, und immer andere her-
bey rief, von denen ich glaubete, daß er ſie ſehen
muͤßte, ob ich ſie gleich vor der Garten-Mauer
nicht ſehen konnte, und ſie fuͤr meinen Vater, Bru-
der oder ihre Bedienten hielte.
Unter dieſem Schrecken verlohr ich in wenigen
Minuten die Garten-Thuͤr aus dem Geſichte: und
ob mich gleich Furcht und Laufen faſt außer Athem
gebracht hatte, ſo mußte ich doch noch geſchwin-
der laufen, nachdem er meine Hand unter ſeinen
Arm nahm, und den Degen in der andern Hand
hielt. Worte und Handlungen waren einander
ſehr ungleich. Jch rief: nein! nein! und keh-
rete mich immer um, zuruͤckzuſehen, ſo lange mir
die Mauer von dem Luſt- und Thier-Garten noch
im Geſichte war. Er brachte mich zu dem Wa-
gen ſeines Onckels, bey dem ich zwey von ſeinen
und zwey von des Lord M. Bedienten gewaf-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/40>, abgerufen am 28.03.2024.
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