Sie hat abermahls an Frau Hervey geschrie- ben, oder sie will es noch thun: und hoffet auf eine Antwort.
Jch glaube zwar, der Widerstand würde nicht so starck geblieben seyn, wenn ich Muth gehabt hät- te. Allein ich bin allzu gehorsam: ich scheue mich allzu sehr, sie zu beleydigen. Jst es nicht ein wun- derlich Ding. Die Manns-Person ist so blöde: das Frauenzimmer will sich so sehr nöthigen lassen. Kann ein solches Paar jemahls verbunden werden, wenn keine gute Mittels-Person dazwischen trit?
Jch muß mit meinem Schicksaal zufrieden seyn! Selten pflegt eine so zärtliche Liebe mit so vieler Ge- lassenheit verbunden zu seyn. Doch ich lerne alle Tage mehr: die wahre Liebe untersteht sich blos zu wünschen! und hat keinen andern Willen, als den Willen der Geliebten.
Wie war es möglich, daß das unvergleichliche Kind abermahls London nannte, und sich nach London sehnete? Wenn ich Singletons Vor- haben veranstaltet hätte, so hätte es für mich nicht glücklicher gerathen können, sie nach London zu treiben, nachdem sie ihre Reise aufgeschoben hatte, ohne daß ich die Ursache des Aufschubes errathen kann.
Jch lege den Brief von Joseph Lehmann bey, dessen ich am Montage Erwähnung that: wie auch meine Antwort. Meine Einbildung, der ich nicht widerstehen kann, macht, daß ich dir alles ausplaudere. Sonst wäre es vielleicht besser für mich, daß ich dir weiß machte, das Glück habe sich
blos
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Sie hat abermahls an Frau Hervey geſchrie- ben, oder ſie will es noch thun: und hoffet auf eine Antwort.
Jch glaube zwar, der Widerſtand wuͤrde nicht ſo ſtarck geblieben ſeyn, wenn ich Muth gehabt haͤt- te. Allein ich bin allzu gehorſam: ich ſcheue mich allzu ſehr, ſie zu beleydigen. Jſt es nicht ein wun- derlich Ding. Die Manns-Perſon iſt ſo bloͤde: das Frauenzimmer will ſich ſo ſehr noͤthigen laſſen. Kann ein ſolches Paar jemahls verbunden werden, wenn keine gute Mittels-Perſon dazwiſchen trit?
Jch muß mit meinem Schickſaal zufrieden ſeyn! Selten pflegt eine ſo zaͤrtliche Liebe mit ſo vieler Ge- laſſenheit verbunden zu ſeyn. Doch ich lerne alle Tage mehr: die wahre Liebe unterſteht ſich blos zu wuͤnſchen! und hat keinen andern Willen, als den Willen der Geliebten.
Wie war es moͤglich, daß das unvergleichliche Kind abermahls London nannte, und ſich nach London ſehnete? Wenn ich Singletons Vor- haben veranſtaltet haͤtte, ſo haͤtte es fuͤr mich nicht gluͤcklicher gerathen koͤnnen, ſie nach London zu treiben, nachdem ſie ihre Reiſe aufgeſchoben hatte, ohne daß ich die Urſache des Aufſchubes errathen kann.
Jch lege den Brief von Joſeph Lehmann bey, deſſen ich am Montage Erwaͤhnung that: wie auch meine Antwort. Meine Einbildung, der ich nicht widerſtehen kann, macht, daß ich dir alles ausplaudere. Sonſt waͤre es vielleicht beſſer fuͤr mich, daß ich dir weiß machte, das Gluͤck habe ſich
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Sie hat abermahls an Frau Hervey geſchrie-
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Jch glaube zwar, der Widerſtand wuͤrde nicht
ſo ſtarck geblieben ſeyn, wenn ich Muth gehabt haͤt-
te. Allein ich bin allzu gehorſam: ich ſcheue mich
allzu ſehr, ſie zu beleydigen. Jſt es nicht ein wun-
derlich Ding. Die Manns-Perſon iſt ſo bloͤde:
das Frauenzimmer will ſich ſo ſehr noͤthigen laſſen.
Kann ein ſolches Paar jemahls verbunden werden,
wenn keine gute Mittels-Perſon dazwiſchen trit?
Jch muß mit meinem Schickſaal zufrieden ſeyn!
Selten pflegt eine ſo zaͤrtliche Liebe mit ſo vieler Ge-
laſſenheit verbunden zu ſeyn. Doch ich lerne alle
Tage mehr: die wahre Liebe unterſteht ſich blos zu
wuͤnſchen! und hat keinen andern Willen, als den
Willen der Geliebten.
Wie war es moͤglich, daß das unvergleichliche
Kind abermahls London nannte, und ſich nach
London ſehnete? Wenn ich Singletons Vor-
haben veranſtaltet haͤtte, ſo haͤtte es fuͤr mich nicht
gluͤcklicher gerathen koͤnnen, ſie nach London zu
treiben, nachdem ſie ihre Reiſe aufgeſchoben hatte,
ohne daß ich die Urſache des Aufſchubes errathen
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Jch lege den Brief von Joſeph Lehmann
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/369>, abgerufen am 21.11.2024.
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