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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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und Jhrer uneingeschränckten Menschen-Liebe.
Doch ich soll den Lehr-Stuhl verlassen, und von dem
etwas melden, was in unserm Hause vorgefallen ist.

Jch schloß mich den gantzen Tag ein: und was
ich von Speise kostete, das mußte auf meine Stube
gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter
mir durch Kitty sagen, ich sollte zum Abend-essen
hinunter kommen, oder sie würde es für einen unge-
horsam ansehen. Jch ging hinunter, und suchte
alle meine Ehre darin, daß ich mürrisch war. Jch
redete schon viel, wenn mir Ja und Nein en[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]fiel.

Sie sagte: mit einer solchen Aufführung würde
ich wenig bey ihr ausrichten.

Jch: und sie wenig bey mir mit Schläger.

Sie sagte: meine dreiste Widersetzung häte sie
so verdrossen, daß sie mich auf die Hand geschagen
hätte. Es thäte ihr leid, daß ich sie dazu ge-
zwungen hätte. Sie drang von neuen darauf, ich
sollte entweder gar nicht an Sie schreiben, oder ich
sollte ihr alle Briefe zeigen.

Keins von beyden! (antwortete ich.) Eswür-
de wider meine Ehre und Neigung seyn, auf An-
stiften niederträchtiger Leute meiner besten Freundin
in ihrem Unglück die Freundschaft aufzukündigen.

Was eine Mutter von Gehorsam, Pflicht,
Kindern, Müttern, predigen kann, das kam alles
zum Vorschein.

Jch antwortete: wenn ich Sie unglücklich nen-
nen sollen, so sey die eintzige Ursache Jhres Unglücks,
daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedäh-
net hätte. Wenn ich so fern erwachsen wäre, daß

sie



und Jhrer uneingeſchraͤnckten Menſchen-Liebe.
Doch ich ſoll den Lehr-Stuhl verlaſſen, und von dem
etwas melden, was in unſerm Hauſe vorgefallen iſt.

Jch ſchloß mich den gantzen Tag ein: und was
ich von Speiſe koſtete, das mußte auf meine Stube
gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter
mir durch Kitty ſagen, ich ſollte zum Abend-eſſen
hinunter kommen, oder ſie wuͤrde es fuͤr einen unge-
horſam anſehen. Jch ging hinunter, und ſuchte
alle meine Ehre darin, daß ich muͤrriſch war. Jch
redete ſchon viel, wenn mir Ja und Nein en[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]fiel.

Sie ſagte: mit einer ſolchen Auffuͤhrung wuͤrde
ich wenig bey ihr ausrichten.

Jch: und ſie wenig bey mir mit Schlaͤger.

Sie ſagte: meine dreiſte Widerſetzung haͤte ſie
ſo verdroſſen, daß ſie mich auf die Hand geſchagen
haͤtte. Es thaͤte ihr leid, daß ich ſie dazu ge-
zwungen haͤtte. Sie drang von neuen darauf, ich
ſollte entweder gar nicht an Sie ſchreiben, oder ich
ſollte ihr alle Briefe zeigen.

Keins von beyden! (antwortete ich.) Eſwuͤr-
de wider meine Ehre und Neigung ſeyn, auf An-
ſtiften niedertraͤchtiger Leute meiner beſten Freundin
in ihrem Ungluͤck die Freundſchaft aufzukuͤndigen.

Was eine Mutter von Gehorſam, Pflicht,
Kindern, Muͤttern, predigen kann, das kam alles
zum Vorſchein.

Jch antwortete: wenn ich Sie ungluͤcklich nen-
nen ſollen, ſo ſey die eintzige Urſache Jhres Ungluͤcks,
daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedaͤh-
net haͤtte. Wenn ich ſo fern erwachſen waͤre, daß

ſie
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[310/0324] und Jhrer uneingeſchraͤnckten Menſchen-Liebe. Doch ich ſoll den Lehr-Stuhl verlaſſen, und von dem etwas melden, was in unſerm Hauſe vorgefallen iſt. Jch ſchloß mich den gantzen Tag ein: und was ich von Speiſe koſtete, das mußte auf meine Stube gebracht werden. Des Abends ließ meine Mutter mir durch Kitty ſagen, ich ſollte zum Abend-eſſen hinunter kommen, oder ſie wuͤrde es fuͤr einen unge- horſam anſehen. Jch ging hinunter, und ſuchte alle meine Ehre darin, daß ich muͤrriſch war. Jch redete ſchon viel, wenn mir Ja und Nein en_fiel. Sie ſagte: mit einer ſolchen Auffuͤhrung wuͤrde ich wenig bey ihr ausrichten. Jch: und ſie wenig bey mir mit Schlaͤger. Sie ſagte: meine dreiſte Widerſetzung haͤte ſie ſo verdroſſen, daß ſie mich auf die Hand geſchagen haͤtte. Es thaͤte ihr leid, daß ich ſie dazu ge- zwungen haͤtte. Sie drang von neuen darauf, ich ſollte entweder gar nicht an Sie ſchreiben, oder ich ſollte ihr alle Briefe zeigen. Keins von beyden! (antwortete ich.) Eſwuͤr- de wider meine Ehre und Neigung ſeyn, auf An- ſtiften niedertraͤchtiger Leute meiner beſten Freundin in ihrem Ungluͤck die Freundſchaft aufzukuͤndigen. Was eine Mutter von Gehorſam, Pflicht, Kindern, Muͤttern, predigen kann, das kam alles zum Vorſchein. Jch antwortete: wenn ich Sie ungluͤcklich nen- nen ſollen, ſo ſey die eintzige Urſache Jhres Ungluͤcks, daß man die kindliche Pflicht allzu weit ausgedaͤh- net haͤtte. Wenn ich ſo fern erwachſen waͤre, daß ſie

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/324>, abgerufen am 25.11.2024.