Die Witwe Sinclair! - - Sagtest du nicht so, Lovelace!
Ja Bruder: Sinclair! Behalte den Nah- men. Sinclair: so soll sie heissen. Sie hat keinen andern Nahmen. Weil ihre Bildung männ- lich und starck ist, so will ich sie für eine aus dem Hochlande ausgeben. Jhr Mann, der seelige O- briste (behalte das auch) war ein Schotte: ein ehrlicher Mann und ein tapferer Soldat.
Jch vergesse die Kleinigkeiten niemahls. Wenn man bey Unwahrheiten, an denen der andere Zwei- fel bekommen könnte, zum voraus die Kleinigkeiten wohl durchgedacht hat, und bey einerley Rede blei- bet; so hilft das mehr als tausend Schwüre oder Gelübde, dadurch der Unachtsame seine Fehler erse- tzen will, und die nichts helfen, wenn einmahl der Verdacht erreget ist.
Wenn du die Hälfte von dem wüßtest, was mei- ne Vorsicht beschlossen hat, so würdest du dich wundern. Höre nur eins. Jch habe schon ein Ver- zeichniß von Büchern nach London geschickt, welche meistentheils alt gekauft werden sollen. Du weißt, daß alles Frauenzimmer in dem Hause belesen ist. Doch ich will nichts vorher sagen. Es läßt auch, als wollte ich meinem alten Freunde, dem Zufall, der mir so oft beygestanden hat, keine Arbeit über- lassen: er hat dieses nicht um mich verdient, um mich am wenigsten, der ich alle Zufälle zu gebrau- chen weiß.
Der
Die Witwe Sinclair! ‒ ‒ Sagteſt du nicht ſo, Lovelace!
Ja Bruder: Sinclair! Behalte den Nah- men. Sinclair: ſo ſoll ſie heiſſen. Sie hat keinen andern Nahmen. Weil ihre Bildung maͤnn- lich und ſtarck iſt, ſo will ich ſie fuͤr eine aus dem Hochlande ausgeben. Jhr Mann, der ſeelige O- briſte (behalte das auch) war ein Schotte: ein ehrlicher Mann und ein tapferer Soldat.
Jch vergeſſe die Kleinigkeiten niemahls. Wenn man bey Unwahrheiten, an denen der andere Zwei- fel bekommen koͤnnte, zum voraus die Kleinigkeiten wohl durchgedacht hat, und bey einerley Rede blei- bet; ſo hilft das mehr als tauſend Schwuͤre oder Geluͤbde, dadurch der Unachtſame ſeine Fehler erſe- tzen will, und die nichts helfen, wenn einmahl der Verdacht erreget iſt.
Wenn du die Haͤlfte von dem wuͤßteſt, was mei- ne Vorſicht beſchloſſen hat, ſo wuͤrdeſt du dich wundern. Hoͤre nur eins. Jch habe ſchon ein Ver- zeichniß von Buͤchern nach London geſchickt, welche meiſtentheils alt gekauft werden ſollen. Du weißt, daß alles Frauenzimmer in dem Hauſe beleſen iſt. Doch ich will nichts vorher ſagen. Es laͤßt auch, als wollte ich meinem alten Freunde, dem Zufall, der mir ſo oft beygeſtanden hat, keine Arbeit uͤber- laſſen: er hat dieſes nicht um mich verdient, um mich am wenigſten, der ich alle Zufaͤlle zu gebrau- chen weiß.
Der
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Die Witwe Sinclair! ‒ ‒ Sagteſt du nicht
ſo, Lovelace!
Ja Bruder: Sinclair! Behalte den Nah-
men. Sinclair: ſo ſoll ſie heiſſen. Sie hat
keinen andern Nahmen. Weil ihre Bildung maͤnn-
lich und ſtarck iſt, ſo will ich ſie fuͤr eine aus dem
Hochlande ausgeben. Jhr Mann, der ſeelige O-
briſte (behalte das auch) war ein Schotte: ein
ehrlicher Mann und ein tapferer Soldat.
Jch vergeſſe die Kleinigkeiten niemahls. Wenn
man bey Unwahrheiten, an denen der andere Zwei-
fel bekommen koͤnnte, zum voraus die Kleinigkeiten
wohl durchgedacht hat, und bey einerley Rede blei-
bet; ſo hilft das mehr als tauſend Schwuͤre oder
Geluͤbde, dadurch der Unachtſame ſeine Fehler erſe-
tzen will, und die nichts helfen, wenn einmahl der
Verdacht erreget iſt.
Wenn du die Haͤlfte von dem wuͤßteſt, was mei-
ne Vorſicht beſchloſſen hat, ſo wuͤrdeſt du dich
wundern. Hoͤre nur eins. Jch habe ſchon ein Ver-
zeichniß von Buͤchern nach London geſchickt, welche
meiſtentheils alt gekauft werden ſollen. Du weißt,
daß alles Frauenzimmer in dem Hauſe beleſen iſt.
Doch ich will nichts vorher ſagen. Es laͤßt auch,
als wollte ich meinem alten Freunde, dem Zufall,
der mir ſo oft beygeſtanden hat, keine Arbeit uͤber-
laſſen: er hat dieſes nicht um mich verdient, um
mich am wenigſten, der ich alle Zufaͤlle zu gebrau-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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