Er antwortete: ich könnte in einem jeden könig- lichen Vorgemach ohnbeschämt erscheinen: und ich würde gewiß die liebenswürdigste (vielleicht die son- derbarste) Person darin seyn. Er verwunderte sich über meine ungekünstelte und dennoch zierliche Klei- dung. Er wisse nicht wie ich es anfinge; allein mei- ne Kleidung sehe jedesmahl so neu aus, als wenn ich sie alle Tage veränderte. Es würden aber über dieses die Fräuleins von Montague mir mit allen Arten von Kleidung, die ich brauchte, aufzuwarten suchen. Er wolle deshalb an Fräulein Lottgen schreiben, wenn ich es ihm erlaubete.
Meinen sie, (sagte ich) daß ich die Dohle des Aesopus bin? Soll ich fremde in den Kleidern, die ich von ihnen selbst geborgt habe, besuchen? Sie müssen mich entweder für sehr niederträchtig, oder für sehr zuversichtlich ansehen.
Er fragte: ob es mir denn gefällig wäre, auf einige Tage nach London zu reisen, um mich mit Kleidung zu versorgen?
Nicht auf seine Kosten: antwortete ich. Jch hätte noch nicht die Gemüths-Fassung, daß ich in seiner Liverey gehen könnte.
Gewiß, mein Schatz, er würde allen meinen Unwillen über seine Künste für Verstellung gehal- ten haben, wenn ich nicht bey Gelegenheit meinen Verdruß über die Unbequemlichkeiten, die ich ihm zu dancken habe, hätte mercken lassen. Wenn Leute im Zanck zusammen kommen, so ist nachher der fortdaurende Zanck nicht wohl zu vermeiden.
Er wünschte, daß er nur meine wahre Meinung
wüßte.
Er antwortete: ich koͤnnte in einem jeden koͤnig- lichen Vorgemach ohnbeſchaͤmt erſcheinen: und ich wuͤrde gewiß die liebenswuͤrdigſte (vielleicht die ſon- derbarſte) Perſon darin ſeyn. Er verwunderte ſich uͤber meine ungekuͤnſtelte und dennoch zierliche Klei- dung. Er wiſſe nicht wie ich es anfinge; allein mei- ne Kleidung ſehe jedesmahl ſo neu aus, als wenn ich ſie alle Tage veraͤnderte. Es wuͤrden aber uͤber dieſes die Fraͤuleins von Montague mir mit allen Arten von Kleidung, die ich brauchte, aufzuwarten ſuchen. Er wolle deshalb an Fraͤulein Lottgen ſchreiben, wenn ich es ihm erlaubete.
Meinen ſie, (ſagte ich) daß ich die Dohle des Aeſopus bin? Soll ich fremde in den Kleidern, die ich von ihnen ſelbſt geborgt habe, beſuchen? Sie muͤſſen mich entweder fuͤr ſehr niedertraͤchtig, oder fuͤr ſehr zuverſichtlich anſehen.
Er fragte: ob es mir denn gefaͤllig waͤre, auf einige Tage nach London zu reiſen, um mich mit Kleidung zu verſorgen?
Nicht auf ſeine Koſten: antwortete ich. Jch haͤtte noch nicht die Gemuͤths-Faſſung, daß ich in ſeiner Liverey gehen koͤnnte.
Gewiß, mein Schatz, er wuͤrde allen meinen Unwillen uͤber ſeine Kuͤnſte fuͤr Verſtellung gehal- ten haben, wenn ich nicht bey Gelegenheit meinen Verdruß uͤber die Unbequemlichkeiten, die ich ihm zu dancken habe, haͤtte mercken laſſen. Wenn Leute im Zanck zuſammen kommen, ſo iſt nachher der fortdaurende Zanck nicht wohl zu vermeiden.
Er wuͤnſchte, daß er nur meine wahre Meinung
wuͤßte.
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Er antwortete: ich koͤnnte in einem jeden koͤnig-
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wuͤrde gewiß die liebenswuͤrdigſte (vielleicht die ſon-
derbarſte) Perſon darin ſeyn. Er verwunderte ſich
uͤber meine ungekuͤnſtelte und dennoch zierliche Klei-
dung. Er wiſſe nicht wie ich es anfinge; allein mei-
ne Kleidung ſehe jedesmahl ſo neu aus, als wenn
ich ſie alle Tage veraͤnderte. Es wuͤrden aber uͤber
dieſes die Fraͤuleins von Montague mir mit allen
Arten von Kleidung, die ich brauchte, aufzuwarten
ſuchen. Er wolle deshalb an Fraͤulein Lottgen
ſchreiben, wenn ich es ihm erlaubete.
Meinen ſie, (ſagte ich) daß ich die Dohle des
Aeſopus bin? Soll ich fremde in den Kleidern, die
ich von ihnen ſelbſt geborgt habe, beſuchen? Sie
muͤſſen mich entweder fuͤr ſehr niedertraͤchtig, oder
fuͤr ſehr zuverſichtlich anſehen.
Er fragte: ob es mir denn gefaͤllig waͤre, auf
einige Tage nach London zu reiſen, um mich mit
Kleidung zu verſorgen?
Nicht auf ſeine Koſten: antwortete ich. Jch
haͤtte noch nicht die Gemuͤths-Faſſung, daß ich in
ſeiner Liverey gehen koͤnnte.
Gewiß, mein Schatz, er wuͤrde allen meinen
Unwillen uͤber ſeine Kuͤnſte fuͤr Verſtellung gehal-
ten haben, wenn ich nicht bey Gelegenheit meinen
Verdruß uͤber die Unbequemlichkeiten, die ich ihm
zu dancken habe, haͤtte mercken laſſen. Wenn Leute
im Zanck zuſammen kommen, ſo iſt nachher der
fortdaurende Zanck nicht wohl zu vermeiden.
Er wuͤnſchte, daß er nur meine wahre Meinung
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/267>, abgerufen am 21.11.2024.
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