Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Sonntags früh.

Wie sehr wird meine Unruhe und Misvergnü-
gen dadurch vermehret, daß Herr Lovelace
ein Feind aller meiner Verwanten ist! Er giebt ih-
nen Schuld, daß sie unversöhnlich sind: ich befürch-
te aber, daß dieses Laster eben so tief in seinem Her-
tzen eingewurtzelt ist.

Jch konnte nicht unterlassen, mein aufrichtiges
Verlangen nach einer Versöhnung mit ihnen sehr
nachdrücklich zu bezeugen, und von neuen auf seine
baldige Entfernung von mir zu dringen, damit ich
mir den Weg zu der Aussöhnung, die ich so sehn-
lich wünschte, bahnen könnte. Er fing hierauf an,
aus einem gantz anderen Ton zu reden: er beklagte
sich, daß er gewiß das Versöhn Opfer werden wür-
de; und hielt sich in sehr freyen Ausdrücken über
meinen Bruder, ja so gar über meinen Vater auf.

So wenige Gefälligkeit hat er gegen mich! Al-
lein es ist stets (wie ich ihm sagte) seine höfliche
Art gewesen, meiner gantzen Familie verächtlich zu
begegnen. Wie gottlos war es von mir gehandelt,
daß ich mit ihm Briefe wechselte, da ich dieses
wußte.

Jch setzte hinzu: allein erlauben Sie mir, ihnen
frey zu sagen: ihre Heftigkeit und Verachtung gegen
mich mag sie verführen noch so viel Böses von mei-
nem Bruder zu sagen; so werde ich doch nicht zu-
geben, daß von meinem Vater übel geredet wird.
Es ist genug, daß ich sein väterliches Hertz durch
meinen Ungehorsam betrübet habe, und daß seine
ehemahls so geliebte Tochter ihm durch allerhand

Künste


Sonntags fruͤh.

Wie ſehr wird meine Unruhe und Misvergnuͤ-
gen dadurch vermehret, daß Herr Lovelace
ein Feind aller meiner Verwanten iſt! Er giebt ih-
nen Schuld, daß ſie unverſoͤhnlich ſind: ich befuͤrch-
te aber, daß dieſes Laſter eben ſo tief in ſeinem Her-
tzen eingewurtzelt iſt.

Jch konnte nicht unterlaſſen, mein aufrichtiges
Verlangen nach einer Verſoͤhnung mit ihnen ſehr
nachdruͤcklich zu bezeugen, und von neuen auf ſeine
baldige Entfernung von mir zu dringen, damit ich
mir den Weg zu der Ausſoͤhnung, die ich ſo ſehn-
lich wuͤnſchte, bahnen koͤnnte. Er fing hierauf an,
aus einem gantz anderen Ton zu reden: er beklagte
ſich, daß er gewiß das Verſoͤhn Opfer werden wuͤr-
de; und hielt ſich in ſehr freyen Ausdruͤcken uͤber
meinen Bruder, ja ſo gar uͤber meinen Vater auf.

So wenige Gefaͤlligkeit hat er gegen mich! Al-
lein es iſt ſtets (wie ich ihm ſagte) ſeine hoͤfliche
Art geweſen, meiner gantzen Familie veraͤchtlich zu
begegnen. Wie gottlos war es von mir gehandelt,
daß ich mit ihm Briefe wechſelte, da ich dieſes
wußte.

Jch ſetzte hinzu: allein erlauben Sie mir, ihnen
frey zu ſagen: ihre Heftigkeit und Verachtung gegen
mich mag ſie verfuͤhren noch ſo viel Boͤſes von mei-
nem Bruder zu ſagen; ſo werde ich doch nicht zu-
geben, daß von meinem Vater uͤbel geredet wird.
Es iſt genug, daß ich ſein vaͤterliches Hertz durch
meinen Ungehorſam betruͤbet habe, und daß ſeine
ehemahls ſo geliebte Tochter ihm durch allerhand

Kuͤnſte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0262" n="248"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Sonntags fru&#x0364;h.</hi> </p><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>ie &#x017F;ehr wird meine Unruhe und Misvergnu&#x0364;-<lb/>
gen dadurch vermehret, daß Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi><lb/>
ein Feind aller meiner Verwanten i&#x017F;t! Er giebt ih-<lb/>
nen Schuld, daß &#x017F;ie unver&#x017F;o&#x0364;hnlich &#x017F;ind: ich befu&#x0364;rch-<lb/>
te aber, daß die&#x017F;es La&#x017F;ter eben &#x017F;o tief in &#x017F;einem Her-<lb/>
tzen eingewurtzelt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Jch konnte nicht unterla&#x017F;&#x017F;en, mein aufrichtiges<lb/>
Verlangen nach einer Ver&#x017F;o&#x0364;hnung mit ihnen &#x017F;ehr<lb/>
nachdru&#x0364;cklich zu bezeugen, und von neuen auf &#x017F;eine<lb/>
baldige Entfernung von mir zu dringen, damit ich<lb/>
mir den Weg zu der Aus&#x017F;o&#x0364;hnung, die ich &#x017F;o &#x017F;ehn-<lb/>
lich wu&#x0364;n&#x017F;chte, bahnen ko&#x0364;nnte. Er fing hierauf an,<lb/>
aus einem gantz anderen Ton zu reden: er beklagte<lb/>
&#x017F;ich, daß er gewiß das Ver&#x017F;o&#x0364;hn Opfer werden wu&#x0364;r-<lb/>
de; und hielt &#x017F;ich in &#x017F;ehr freyen Ausdru&#x0364;cken u&#x0364;ber<lb/>
meinen Bruder, ja &#x017F;o gar u&#x0364;ber meinen Vater auf.</p><lb/>
          <p>So wenige Gefa&#x0364;lligkeit hat er gegen mich! Al-<lb/>
lein es i&#x017F;t &#x017F;tets (wie ich ihm &#x017F;agte) &#x017F;eine ho&#x0364;fliche<lb/>
Art gewe&#x017F;en, meiner gantzen Familie vera&#x0364;chtlich zu<lb/>
begegnen. Wie gottlos war es von mir gehandelt,<lb/>
daß ich mit ihm Briefe wech&#x017F;elte, da ich die&#x017F;es<lb/>
wußte.</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;etzte hinzu: allein erlauben Sie mir, ihnen<lb/>
frey zu &#x017F;agen: ihre Heftigkeit und Verachtung gegen<lb/>
mich mag &#x017F;ie verfu&#x0364;hren noch &#x017F;o viel Bo&#x0364;&#x017F;es von mei-<lb/>
nem Bruder zu &#x017F;agen; &#x017F;o werde ich doch nicht zu-<lb/>
geben, daß von meinem Vater u&#x0364;bel geredet wird.<lb/>
Es i&#x017F;t genug, daß ich &#x017F;ein va&#x0364;terliches Hertz durch<lb/>
meinen Ungehor&#x017F;am betru&#x0364;bet habe, und daß &#x017F;eine<lb/>
ehemahls &#x017F;o geliebte Tochter ihm durch allerhand<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ku&#x0364;n&#x017F;te</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0262] Sonntags fruͤh. Wie ſehr wird meine Unruhe und Misvergnuͤ- gen dadurch vermehret, daß Herr Lovelace ein Feind aller meiner Verwanten iſt! Er giebt ih- nen Schuld, daß ſie unverſoͤhnlich ſind: ich befuͤrch- te aber, daß dieſes Laſter eben ſo tief in ſeinem Her- tzen eingewurtzelt iſt. Jch konnte nicht unterlaſſen, mein aufrichtiges Verlangen nach einer Verſoͤhnung mit ihnen ſehr nachdruͤcklich zu bezeugen, und von neuen auf ſeine baldige Entfernung von mir zu dringen, damit ich mir den Weg zu der Ausſoͤhnung, die ich ſo ſehn- lich wuͤnſchte, bahnen koͤnnte. Er fing hierauf an, aus einem gantz anderen Ton zu reden: er beklagte ſich, daß er gewiß das Verſoͤhn Opfer werden wuͤr- de; und hielt ſich in ſehr freyen Ausdruͤcken uͤber meinen Bruder, ja ſo gar uͤber meinen Vater auf. So wenige Gefaͤlligkeit hat er gegen mich! Al- lein es iſt ſtets (wie ich ihm ſagte) ſeine hoͤfliche Art geweſen, meiner gantzen Familie veraͤchtlich zu begegnen. Wie gottlos war es von mir gehandelt, daß ich mit ihm Briefe wechſelte, da ich dieſes wußte. Jch ſetzte hinzu: allein erlauben Sie mir, ihnen frey zu ſagen: ihre Heftigkeit und Verachtung gegen mich mag ſie verfuͤhren noch ſo viel Boͤſes von mei- nem Bruder zu ſagen; ſo werde ich doch nicht zu- geben, daß von meinem Vater uͤbel geredet wird. Es iſt genug, daß ich ſein vaͤterliches Hertz durch meinen Ungehorſam betruͤbet habe, und daß ſeine ehemahls ſo geliebte Tochter ihm durch allerhand Kuͤnſte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/262
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/262>, abgerufen am 21.05.2024.