doch nicht unterlassen, in einigen Zeilen meine Ge- dancken von dem neuen Lichte, das in Jhrem Lo- velace aufgegangen ist, zu entdecken, und den Brief durch eine besondere Gelegenheit an Sie zu übersenden.
Jch weiß selbst nicht, was ich von ihm dencken soll. Seine Sprache ist gut: allein wenn Sie ihn nach dem Ausspruch des Rowe prüfen, so ist er ein Heuchler, ob er gleich saget, daß er keine Sünde mehr hasset, als Heucheley und Undanckbarkeit.
Würde er im Stande gewesen seyn, so viele Frau- enzimmer, als man von ihm saget, zu besiegen, wenn er ein Neuling in diesen Sünden wäre?
Sein offenhertziges Bekänntniß ist das eintzige, so mich zweifelhaft macht. Allein er ist schlau ge- nug, und weiß vielleicht, daß die Anklage der Wi- dersacher durch ein freywilliges Bekänntniß ihren Stachel verliert.
Das ist ohnstreitig, daß er Verstand hat: und deswegen kann man eine bessere Hoffnung von ihm fassen, als wenn er zum Aufrennen der Thüren er- schaffen wäre. Auch dieses ist wahr, daß die Bes- serung einen Anfang haben müsse. Alles dieses will ich ihm gern zugeben.
Allein dieses ist der Probier-Stein aller seiner Bekäntnisse und Anklagen wider sich selbst: gestehet er Jhnen etwas böses von sich, das Sie nicht schon vorhin gewußt haben oder leicht von andern erfah- ren können? Thut er dieses nicht, so frage ich, ob er etwas zu seinem Nachtheil gestehet? Von seinen Schlägereyen, von ihm als einem Verführer man-
cher
doch nicht unterlaſſen, in einigen Zeilen meine Ge- dancken von dem neuen Lichte, das in Jhrem Lo- velace aufgegangen iſt, zu entdecken, und den Brief durch eine beſondere Gelegenheit an Sie zu uͤberſenden.
Jch weiß ſelbſt nicht, was ich von ihm dencken ſoll. Seine Sprache iſt gut: allein wenn Sie ihn nach dem Ausſpruch des Rowe pruͤfen, ſo iſt er ein Heuchler, ob er gleich ſaget, daß er keine Suͤnde mehr haſſet, als Heucheley und Undanckbarkeit.
Wuͤrde er im Stande geweſen ſeyn, ſo viele Frau- enzimmer, als man von ihm ſaget, zu beſiegen, wenn er ein Neuling in dieſen Suͤnden waͤre?
Sein offenhertziges Bekaͤnntniß iſt das eintzige, ſo mich zweifelhaft macht. Allein er iſt ſchlau ge- nug, und weiß vielleicht, daß die Anklage der Wi- derſacher durch ein freywilliges Bekaͤnntniß ihren Stachel verliert.
Das iſt ohnſtreitig, daß er Verſtand hat: und deswegen kann man eine beſſere Hoffnung von ihm faſſen, als wenn er zum Aufrennen der Thuͤren er- ſchaffen waͤre. Auch dieſes iſt wahr, daß die Beſ- ſerung einen Anfang haben muͤſſe. Alles dieſes will ich ihm gern zugeben.
Allein dieſes iſt der Probier-Stein aller ſeiner Bekaͤntniſſe und Anklagen wider ſich ſelbſt: geſtehet er Jhnen etwas boͤſes von ſich, das Sie nicht ſchon vorhin gewußt haben oder leicht von andern erfah- ren koͤnnen? Thut er dieſes nicht, ſo frage ich, ob er etwas zu ſeinem Nachtheil geſtehet? Von ſeinen Schlaͤgereyen, von ihm als einem Verfuͤhrer man-
cher
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doch nicht unterlaſſen, in einigen Zeilen meine Ge-
dancken von dem neuen Lichte, das in Jhrem Lo-
velace aufgegangen iſt, zu entdecken, und den
Brief durch eine beſondere Gelegenheit an Sie zu
uͤberſenden.
Jch weiß ſelbſt nicht, was ich von ihm dencken
ſoll. Seine Sprache iſt gut: allein wenn Sie ihn
nach dem Ausſpruch des Rowe pruͤfen, ſo iſt er ein
Heuchler, ob er gleich ſaget, daß er keine Suͤnde
mehr haſſet, als Heucheley und Undanckbarkeit.
Wuͤrde er im Stande geweſen ſeyn, ſo viele Frau-
enzimmer, als man von ihm ſaget, zu beſiegen,
wenn er ein Neuling in dieſen Suͤnden waͤre?
Sein offenhertziges Bekaͤnntniß iſt das eintzige,
ſo mich zweifelhaft macht. Allein er iſt ſchlau ge-
nug, und weiß vielleicht, daß die Anklage der Wi-
derſacher durch ein freywilliges Bekaͤnntniß ihren
Stachel verliert.
Das iſt ohnſtreitig, daß er Verſtand hat: und
deswegen kann man eine beſſere Hoffnung von ihm
faſſen, als wenn er zum Aufrennen der Thuͤren er-
ſchaffen waͤre. Auch dieſes iſt wahr, daß die Beſ-
ſerung einen Anfang haben muͤſſe. Alles dieſes
will ich ihm gern zugeben.
Allein dieſes iſt der Probier-Stein aller ſeiner
Bekaͤntniſſe und Anklagen wider ſich ſelbſt: geſtehet
er Jhnen etwas boͤſes von ſich, das Sie nicht ſchon
vorhin gewußt haben oder leicht von andern erfah-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/251>, abgerufen am 24.11.2024.
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