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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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daß alle Tugend aller Frauenzimmer überwindlich
sey. Es ist dem gantzen Geschlechte daran gele-
gen, daß dieser Versuch angestellet wird. Wer
kennet aber meine Clarissa, und hat noch einiges
Bedencken, ihr die Ehre des gantzen Geschlechtes
anzuvertrauen? Wenn ein Frauenzimmer ist,
das eine Einwendung gegen sie machen will, so
wage es sich, und trete an ihre Stelle.

Jch versichere dir, daß ich mir ungemein hohe
Gedancken von der Tugend mache; wie ich sie
mir von allen den Vollkommenheiten mache, die
ich zu erlangen nicht im Stande gewesen bin.
Es würde nicht ein jeder Mensch, der frey gelebet
hat, so reden oder dencken: weil er sich selbst da-
durch verdammen würde. Allein die Freymü-
thigkeit in dem Bekennen meines Unrechts ist mir
angebohren, und eine unterscheidende Eigenschaft
von mir.

Der Satan, (dem du vielleicht Schuld geben
wirst, daß er mich jetzt anreitzet. Du kannst da-
von dencken, was du willst) der Satan sage ich
versuchte unsern frommen Stamm-Vater auf die
gefährlichste Weise. Die Ehre und die Beloh-
nung unsers ersten Vaters hing von seinem Ver-
halten bey dieser Versuchung ab. Wenn eine un-
schuldige Person noch einigem Verdachte unterwor-
fen ist, so muß sie wünschen, auf eine unpartheyi-
sche Probe gesetzt zu werden.

Es ist wahr, Rinaldo verbittet bey Ariosto
den Becher des Mantuanischen Ritters, durch

den



daß alle Tugend aller Frauenzimmer uͤberwindlich
ſey. Es iſt dem gantzen Geſchlechte daran gele-
gen, daß dieſer Verſuch angeſtellet wird. Wer
kennet aber meine Clariſſa, und hat noch einiges
Bedencken, ihr die Ehre des gantzen Geſchlechtes
anzuvertrauen? Wenn ein Frauenzimmer iſt,
das eine Einwendung gegen ſie machen will, ſo
wage es ſich, und trete an ihre Stelle.

Jch verſichere dir, daß ich mir ungemein hohe
Gedancken von der Tugend mache; wie ich ſie
mir von allen den Vollkommenheiten mache, die
ich zu erlangen nicht im Stande geweſen bin.
Es wuͤrde nicht ein jeder Menſch, der frey gelebet
hat, ſo reden oder dencken: weil er ſich ſelbſt da-
durch verdammen wuͤrde. Allein die Freymuͤ-
thigkeit in dem Bekennen meines Unrechts iſt mir
angebohren, und eine unterſcheidende Eigenſchaft
von mir.

Der Satan, (dem du vielleicht Schuld geben
wirſt, daß er mich jetzt anreitzet. Du kannſt da-
von dencken, was du willſt) der Satan ſage ich
verſuchte unſern frommen Stamm-Vater auf die
gefaͤhrlichſte Weiſe. Die Ehre und die Beloh-
nung unſers erſten Vaters hing von ſeinem Ver-
halten bey dieſer Verſuchung ab. Wenn eine un-
ſchuldige Perſon noch einigem Verdachte unterwor-
fen iſt, ſo muß ſie wuͤnſchen, auf eine unpartheyi-
ſche Probe geſetzt zu werden.

Es iſt wahr, Rinaldo verbittet bey Arioſto
den Becher des Mantuaniſchen Ritters, durch

den
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[176/0190] daß alle Tugend aller Frauenzimmer uͤberwindlich ſey. Es iſt dem gantzen Geſchlechte daran gele- gen, daß dieſer Verſuch angeſtellet wird. Wer kennet aber meine Clariſſa, und hat noch einiges Bedencken, ihr die Ehre des gantzen Geſchlechtes anzuvertrauen? Wenn ein Frauenzimmer iſt, das eine Einwendung gegen ſie machen will, ſo wage es ſich, und trete an ihre Stelle. Jch verſichere dir, daß ich mir ungemein hohe Gedancken von der Tugend mache; wie ich ſie mir von allen den Vollkommenheiten mache, die ich zu erlangen nicht im Stande geweſen bin. Es wuͤrde nicht ein jeder Menſch, der frey gelebet hat, ſo reden oder dencken: weil er ſich ſelbſt da- durch verdammen wuͤrde. Allein die Freymuͤ- thigkeit in dem Bekennen meines Unrechts iſt mir angebohren, und eine unterſcheidende Eigenſchaft von mir. Der Satan, (dem du vielleicht Schuld geben wirſt, daß er mich jetzt anreitzet. Du kannſt da- von dencken, was du willſt) der Satan ſage ich verſuchte unſern frommen Stamm-Vater auf die gefaͤhrlichſte Weiſe. Die Ehre und die Beloh- nung unſers erſten Vaters hing von ſeinem Ver- halten bey dieſer Verſuchung ab. Wenn eine un- ſchuldige Perſon noch einigem Verdachte unterwor- fen iſt, ſo muß ſie wuͤnſchen, auf eine unpartheyi- ſche Probe geſetzt zu werden. Es iſt wahr, Rinaldo verbittet bey Arioſto den Becher des Mantuaniſchen Ritters, durch den

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/190>, abgerufen am 24.11.2024.