unvermutheten Antrage deutlichere Zeichen geben, daß mein Ja-Wort erfolgen sollte? insonderheit, nachdem er mich eben gezwungen hatte, ihm so derbe Warheiten in das Gesicht zu sagen? Wenn mein Leben darauf gestanden hätte, so hätte ich es nicht thun können.
Er sahe mir sehr zuversichtiglich in das Gesichte, nicht anders als wenn er mich, ungeachtet aller angenommenen Schüchternheit, bis auf den inner- sten Grund des Hertzens ausforschen wollte. Jch konnte ihn aus wahrer Schüchternheit kaum von der Seite ansehen. Mit vieler Unterthänigkeit bat er mich um Vergebung; es schien fast, als wenn ihm sein Gewissen sagte, daß er keine andere Ant- wort verdiente, als eine stillschweigende Verach- tung. Die wahre Liebe (sagte er) fürchtete sich im- mer, daß sie die Geliebte beleidigen möchte. (Er mag sich hüten, daß ich seine Liebe nicht nach dieser Regel untersuche!) So heilig wollte er (der al- berne Mensch!) alle meine Befehle beobachten, die ich ihm gegeben hätte, ehe ich ihm die Ehre erzeigte - -
Jch konnte ihn nicht länger anhören, sondern verließ ihn, (wiewohl in einer allzumercklichen Verwirrung,) damit er sich in der Stille an seinen herrlichen Redens-Arten erquicken möchte.
Wenn es ihm ein wahrer Ernst wäre, daß ich ihm bald meine Hand geben sollte, so war dieses die glücklichste Zeit für ihn weiter in mich zu drin- gen. Allein er hat diese Gelegenheit aus den Hän-
den
unvermutheten Antrage deutlichere Zeichen geben, daß mein Ja-Wort erfolgen ſollte? inſonderheit, nachdem er mich eben gezwungen hatte, ihm ſo derbe Warheiten in das Geſicht zu ſagen? Wenn mein Leben darauf geſtanden haͤtte, ſo haͤtte ich es nicht thun koͤnnen.
Er ſahe mir ſehr zuverſichtiglich in das Geſichte, nicht anders als wenn er mich, ungeachtet aller angenommenen Schuͤchternheit, bis auf den inner- ſten Grund des Hertzens ausforſchen wollte. Jch konnte ihn aus wahrer Schuͤchternheit kaum von der Seite anſehen. Mit vieler Unterthaͤnigkeit bat er mich um Vergebung; es ſchien faſt, als wenn ihm ſein Gewiſſen ſagte, daß er keine andere Ant- wort verdiente, als eine ſtillſchweigende Verach- tung. Die wahre Liebe (ſagte er) fuͤrchtete ſich im- mer, daß ſie die Geliebte beleidigen moͤchte. (Er mag ſich huͤten, daß ich ſeine Liebe nicht nach dieſer Regel unterſuche!) So heilig wollte er (der al- berne Menſch!) alle meine Befehle beobachten, die ich ihm gegeben haͤtte, ehe ich ihm die Ehre erzeigte ‒ ‒
Jch konnte ihn nicht laͤnger anhoͤren, ſondern verließ ihn, (wiewohl in einer allzumercklichen Verwirrung,) damit er ſich in der Stille an ſeinen herrlichen Redens-Arten erquicken moͤchte.
Wenn es ihm ein wahrer Ernſt waͤre, daß ich ihm bald meine Hand geben ſollte, ſo war dieſes die gluͤcklichſte Zeit fuͤr ihn weiter in mich zu drin- gen. Allein er hat dieſe Gelegenheit aus den Haͤn-
den
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unvermutheten Antrage deutlichere Zeichen geben,
daß mein Ja-Wort erfolgen ſollte? inſonderheit,
nachdem er mich eben gezwungen hatte, ihm ſo
derbe Warheiten in das Geſicht zu ſagen? Wenn
mein Leben darauf geſtanden haͤtte, ſo haͤtte ich es
nicht thun koͤnnen.
Er ſahe mir ſehr zuverſichtiglich in das Geſichte,
nicht anders als wenn er mich, ungeachtet aller
angenommenen Schuͤchternheit, bis auf den inner-
ſten Grund des Hertzens ausforſchen wollte. Jch
konnte ihn aus wahrer Schuͤchternheit kaum von
der Seite anſehen. Mit vieler Unterthaͤnigkeit bat
er mich um Vergebung; es ſchien faſt, als wenn
ihm ſein Gewiſſen ſagte, daß er keine andere Ant-
wort verdiente, als eine ſtillſchweigende Verach-
tung. Die wahre Liebe (ſagte er) fuͤrchtete ſich im-
mer, daß ſie die Geliebte beleidigen moͤchte. (Er
mag ſich huͤten, daß ich ſeine Liebe nicht nach dieſer
Regel unterſuche!) So heilig wollte er (der al-
berne Menſch!) alle meine Befehle beobachten,
die ich ihm gegeben haͤtte, ehe ich ihm die Ehre
erzeigte ‒ ‒
Jch konnte ihn nicht laͤnger anhoͤren, ſondern
verließ ihn, (wiewohl in einer allzumercklichen
Verwirrung,) damit er ſich in der Stille an ſeinen
herrlichen Redens-Arten erquicken moͤchte.
Wenn es ihm ein wahrer Ernſt waͤre, daß ich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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