Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



men, wenn sie mit uns unsinnigen Kerls, die wir
über die Gesetze sind, und uns nicht unter der
Larve der Tugend verstecken wollen, in einen offen-
baren Krieg gerathen.

Du weißest, daß ich mich nie gescheut habe, mich
unter eine Menge von Feinden zu wagen. Je
mehr ihrer waren, desto sicherer bin ich gewesen.
Einer oder ein paar werden gewiß die Parthey des
eintzelnen irrenden Ritters nehmen: sie dencken es
selbst nicht, und nehmen sie doch in der That. Sie
halten ihn ab, nichts zu unternehmen; und unter-
dessen halten andere seinen vornehmsten Widersa-
cher auch ab. Beyden wächst unterdessen der Muth,
bis sie sich beyde überreden lassen sich zu vertragen,
oder einer auf Bitte der übrigen weggehet. Der,
welcher die Gesetze bricht, hat ordentlich eben die
Vortheile als der Beobachter der Gesetze: das wäh-
ret wenigstens eine Zeit lang, bis er seinen Lauf
vollendet hat. Bedencke noch über dieses, daß
die gantze Harlowische Familie weiß, daß sie mich
angegriffen und beleidiget hat. Krochen sie nicht
in ihrer eigenen Kirche zusammen, wie die Bie-
nen, als sie mich hinein kommen sahen? Keiner
wollte der erste seyn, der sich wagete heraus zu ge-
hen, als der Gottes-Dienst vorüber war.

Jacob Harlowe war zwar damahls nicht mit
in der Kirche. Der würde sich vielleicht gezwun-
gen haben, bravauszusehen. Allein es giebt eine
Dreistigkeit des Gesichts, die allzu wild ist, und
eben dadurch eine geheime Furcht verräth. Das
würde Jacob Harlowes Gesicht gewesen seyn,

wenn



men, wenn ſie mit uns unſinnigen Kerls, die wir
uͤber die Geſetze ſind, und uns nicht unter der
Larve der Tugend verſtecken wollen, in einen offen-
baren Krieg gerathen.

Du weißeſt, daß ich mich nie geſcheut habe, mich
unter eine Menge von Feinden zu wagen. Je
mehr ihrer waren, deſto ſicherer bin ich geweſen.
Einer oder ein paar werden gewiß die Parthey des
eintzelnen irrenden Ritters nehmen: ſie dencken es
ſelbſt nicht, und nehmen ſie doch in der That. Sie
halten ihn ab, nichts zu unternehmen; und unter-
deſſen halten andere ſeinen vornehmſten Widerſa-
cher auch ab. Beyden waͤchſt unterdeſſen der Muth,
bis ſie ſich beyde uͤberreden laſſen ſich zu vertragen,
oder einer auf Bitte der uͤbrigen weggehet. Der,
welcher die Geſetze bricht, hat ordentlich eben die
Vortheile als der Beobachter der Geſetze: das waͤh-
ret wenigſtens eine Zeit lang, bis er ſeinen Lauf
vollendet hat. Bedencke noch uͤber dieſes, daß
die gantze Harlowiſche Familie weiß, daß ſie mich
angegriffen und beleidiget hat. Krochen ſie nicht
in ihrer eigenen Kirche zuſammen, wie die Bie-
nen, als ſie mich hinein kommen ſahen? Keiner
wollte der erſte ſeyn, der ſich wagete heraus zu ge-
hen, als der Gottes-Dienſt voruͤber war.

Jacob Harlowe war zwar damahls nicht mit
in der Kirche. Der wuͤrde ſich vielleicht gezwun-
gen haben, bravauszuſehen. Allein es giebt eine
Dreiſtigkeit des Geſichts, die allzu wild iſt, und
eben dadurch eine geheime Furcht verraͤth. Das
wuͤrde Jacob Harlowes Geſicht geweſen ſeyn,

wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0157" n="143"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
men, wenn &#x017F;ie mit uns un&#x017F;innigen Kerls, die wir<lb/>
u&#x0364;ber die Ge&#x017F;etze &#x017F;ind, und uns nicht unter der<lb/>
Larve der Tugend ver&#x017F;tecken wollen, in einen offen-<lb/>
baren Krieg gerathen.</p><lb/>
          <p>Du weiße&#x017F;t, daß ich mich nie ge&#x017F;cheut habe, mich<lb/>
unter eine Menge von Feinden zu wagen. Je<lb/>
mehr ihrer waren, de&#x017F;to &#x017F;icherer bin ich gewe&#x017F;en.<lb/>
Einer oder ein paar werden gewiß die Parthey des<lb/>
eintzelnen irrenden Ritters nehmen: &#x017F;ie dencken es<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht, und nehmen &#x017F;ie doch in der That. Sie<lb/>
halten ihn ab, nichts zu unternehmen; und unter-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en halten andere &#x017F;einen vornehm&#x017F;ten Wider&#x017F;a-<lb/>
cher auch ab. Beyden wa&#x0364;ch&#x017F;t unterde&#x017F;&#x017F;en der Muth,<lb/>
bis &#x017F;ie &#x017F;ich beyde u&#x0364;berreden la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich zu vertragen,<lb/>
oder einer auf Bitte der u&#x0364;brigen weggehet. Der,<lb/>
welcher die Ge&#x017F;etze bricht, hat ordentlich eben die<lb/>
Vortheile als der Beobachter der Ge&#x017F;etze: das wa&#x0364;h-<lb/>
ret wenig&#x017F;tens eine Zeit lang, bis er &#x017F;einen Lauf<lb/>
vollendet hat. Bedencke noch u&#x0364;ber die&#x017F;es, daß<lb/>
die gantze Harlowi&#x017F;che Familie weiß, daß &#x017F;ie mich<lb/>
angegriffen und beleidiget hat. Krochen &#x017F;ie nicht<lb/>
in ihrer eigenen Kirche zu&#x017F;ammen, wie die Bie-<lb/>
nen, als &#x017F;ie mich hinein kommen &#x017F;ahen? Keiner<lb/>
wollte der er&#x017F;te &#x017F;eyn, der &#x017F;ich wagete heraus zu ge-<lb/>
hen, als der Gottes-Dien&#x017F;t voru&#x0364;ber war.</p><lb/>
          <p>Jacob Harlowe war zwar damahls nicht mit<lb/>
in der Kirche. Der wu&#x0364;rde &#x017F;ich vielleicht gezwun-<lb/>
gen haben, bravauszu&#x017F;ehen. Allein es giebt eine<lb/>
Drei&#x017F;tigkeit des Ge&#x017F;ichts, die allzu wild i&#x017F;t, und<lb/>
eben dadurch eine geheime Furcht verra&#x0364;th. Das<lb/>
wu&#x0364;rde Jacob Harlowes Ge&#x017F;icht gewe&#x017F;en &#x017F;eyn,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wenn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0157] men, wenn ſie mit uns unſinnigen Kerls, die wir uͤber die Geſetze ſind, und uns nicht unter der Larve der Tugend verſtecken wollen, in einen offen- baren Krieg gerathen. Du weißeſt, daß ich mich nie geſcheut habe, mich unter eine Menge von Feinden zu wagen. Je mehr ihrer waren, deſto ſicherer bin ich geweſen. Einer oder ein paar werden gewiß die Parthey des eintzelnen irrenden Ritters nehmen: ſie dencken es ſelbſt nicht, und nehmen ſie doch in der That. Sie halten ihn ab, nichts zu unternehmen; und unter- deſſen halten andere ſeinen vornehmſten Widerſa- cher auch ab. Beyden waͤchſt unterdeſſen der Muth, bis ſie ſich beyde uͤberreden laſſen ſich zu vertragen, oder einer auf Bitte der uͤbrigen weggehet. Der, welcher die Geſetze bricht, hat ordentlich eben die Vortheile als der Beobachter der Geſetze: das waͤh- ret wenigſtens eine Zeit lang, bis er ſeinen Lauf vollendet hat. Bedencke noch uͤber dieſes, daß die gantze Harlowiſche Familie weiß, daß ſie mich angegriffen und beleidiget hat. Krochen ſie nicht in ihrer eigenen Kirche zuſammen, wie die Bie- nen, als ſie mich hinein kommen ſahen? Keiner wollte der erſte ſeyn, der ſich wagete heraus zu ge- hen, als der Gottes-Dienſt voruͤber war. Jacob Harlowe war zwar damahls nicht mit in der Kirche. Der wuͤrde ſich vielleicht gezwun- gen haben, bravauszuſehen. Allein es giebt eine Dreiſtigkeit des Geſichts, die allzu wild iſt, und eben dadurch eine geheime Furcht verraͤth. Das wuͤrde Jacob Harlowes Geſicht geweſen ſeyn, wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/157
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/157>, abgerufen am 04.05.2024.