Pflichten von dem andern fodern will, der ist ihm hinwiederum Pflichten schuldig. Aber wieder auf Frau Greme zu kommen: die arme Frau! so oft mein Onckle das Podagra auf seinem Gute hat, und der Prediger nicht zu finden ist, so betet sie ihm vor, oder lieset etwas aus der Bibel und andern guten Büchern.
War es nicht wohl gethan, daß ich eine so fromme Frau mit meiner Geliebten bekant zu machen suchte, und daß ich sie so frey mit einander reden ließ, als sie selbst es wünscheten? Jch sahe, daß sie in ihrem Gespräch sehr geschäftig in der Kut- sche waren. Jch konnte es fühlen, daß sie von mir redeten: denn beyde Backen fingen mir an zu glüen.
Jch sage es noch einmahl, ich hoffe, daß ich ehrlich gegen das liebe Kind seyn werde. Allein da wir schwachen Menschen nicht immer Herren über uns selbst sind, so muß ich vorbeugen, daß mein unvergleichlicher Schatz keinen Argwohn gegen mich schöpfe, bis ich ihn zu einem unserer Bekann- ten in London oder sonst an einen sichern Ort brin- gen kann. Wenn ich mich vorher in Verdacht bey ihr setzte, oder ihr nicht völlig ihren eigenen Willen ließe; so könnte sie Fremde, und das gantze Land zu Hülfe ruffen, oder auch sich an die Jhri- gen wenden, und sich auf selbst-gewählte Bedin- gungen mit ihnen vergleichen. Sollte ich sie aber jetzt verlieren, so wäre ich unwürdig, das Haupt und der Fürst einer solchen Brüderschaft zu seyn. Wie würde ich unter Männern das Haupt empor
heben,
J 3
Pflichten von dem andern fodern will, der iſt ihm hinwiederum Pflichten ſchuldig. Aber wieder auf Frau Greme zu kommen: die arme Frau! ſo oft mein Onckle das Podagra auf ſeinem Gute hat, und der Prediger nicht zu finden iſt, ſo betet ſie ihm vor, oder lieſet etwas aus der Bibel und andern guten Buͤchern.
War es nicht wohl gethan, daß ich eine ſo fromme Frau mit meiner Geliebten bekant zu machen ſuchte, und daß ich ſie ſo frey mit einander reden ließ, als ſie ſelbſt es wuͤnſcheten? Jch ſahe, daß ſie in ihrem Geſpraͤch ſehr geſchaͤftig in der Kut- ſche waren. Jch konnte es fuͤhlen, daß ſie von mir redeten: denn beyde Backen fingen mir an zu gluͤen.
Jch ſage es noch einmahl, ich hoffe, daß ich ehrlich gegen das liebe Kind ſeyn werde. Allein da wir ſchwachen Menſchen nicht immer Herren uͤber uns ſelbſt ſind, ſo muß ich vorbeugen, daß mein unvergleichlicher Schatz keinen Argwohn gegen mich ſchoͤpfe, bis ich ihn zu einem unſerer Bekann- ten in London oder ſonſt an einen ſichern Ort brin- gen kann. Wenn ich mich vorher in Verdacht bey ihr ſetzte, oder ihr nicht voͤllig ihren eigenen Willen ließe; ſo koͤnnte ſie Fremde, und das gantze Land zu Huͤlfe ruffen, oder auch ſich an die Jhri- gen wenden, und ſich auf ſelbſt-gewaͤhlte Bedin- gungen mit ihnen vergleichen. Sollte ich ſie aber jetzt verlieren, ſo waͤre ich unwuͤrdig, das Haupt und der Fuͤrſt einer ſolchen Bruͤderſchaft zu ſeyn. Wie wuͤrde ich unter Maͤnnern das Haupt empor
heben,
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Pflichten von dem andern fodern will, der iſt ihm
hinwiederum Pflichten ſchuldig. Aber wieder auf
Frau Greme zu kommen: die arme Frau! ſo oft
mein Onckle das Podagra auf ſeinem Gute hat,
und der Prediger nicht zu finden iſt, ſo betet ſie ihm
vor, oder lieſet etwas aus der Bibel und andern
guten Buͤchern.
War es nicht wohl gethan, daß ich eine
ſo fromme Frau mit meiner Geliebten bekant zu
machen ſuchte, und daß ich ſie ſo frey mit einander
reden ließ, als ſie ſelbſt es wuͤnſcheten? Jch ſahe,
daß ſie in ihrem Geſpraͤch ſehr geſchaͤftig in der Kut-
ſche waren. Jch konnte es fuͤhlen, daß ſie von
mir redeten: denn beyde Backen fingen mir an
zu gluͤen.
Jch ſage es noch einmahl, ich hoffe, daß ich
ehrlich gegen das liebe Kind ſeyn werde. Allein da
wir ſchwachen Menſchen nicht immer Herren uͤber
uns ſelbſt ſind, ſo muß ich vorbeugen, daß mein
unvergleichlicher Schatz keinen Argwohn gegen
mich ſchoͤpfe, bis ich ihn zu einem unſerer Bekann-
ten in London oder ſonſt an einen ſichern Ort brin-
gen kann. Wenn ich mich vorher in Verdacht
bey ihr ſetzte, oder ihr nicht voͤllig ihren eigenen
Willen ließe; ſo koͤnnte ſie Fremde, und das gantze
Land zu Huͤlfe ruffen, oder auch ſich an die Jhri-
gen wenden, und ſich auf ſelbſt-gewaͤhlte Bedin-
gungen mit ihnen vergleichen. Sollte ich ſie aber
jetzt verlieren, ſo waͤre ich unwuͤrdig, das Haupt
und der Fuͤrſt einer ſolchen Bruͤderſchaft zu ſeyn.
Wie wuͤrde ich unter Maͤnnern das Haupt empor
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/147>, abgerufen am 21.11.2024.
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