mein Hertz gegen sie ehrlich! da ist einmahl ein Seufzer, Bruder! wenn er nicht erhört würde, so wäre das unvergleichliche Mädchen zu bedauren. Doch, da ich dem Himmel nicht so oft mit einem Gebet beschwerlich falle, so ist Hoffnung, daß die- ser Seufzer erhört werden wird.
Jch sehe aber bey ihr so angenehme, so reitzende Hindernisse vor mir; ein solches Feld, auf dem ich alle List, die ich besitze, anwenden kann; so viel Gelegenheit etwas mißliches zu wagen. Was für ein Unglück, daß alle meine Neigungen und Gaben gerade auf diese Seite gehen! da ich doch weiß, was Ehre und Gerechtigkeit ist, und da ich in großer Versuchung bin, aufrichtig zu wünschen, daß ich ein ehrliches Hertz haben möchte. Jn großer Versuchung bin ich: denn völlig kann ich den Wunsch nicht thun, dazu bin ich zu schelmisch. Dencke, was für ein Sieg über das gantze Ge- schlecht, wenn ich sie besiegen könnte! dencke an mein Kloster-Gelübde, wie ich es nennen mag. Haben nicht die Frauenzimmer den Anfang ge- macht, mich zu beleidigen? und schont dieses Kind meiner? Glaubst du, Bruder, daß ich mein Ro- senknöspgen geschont haben würde, wenn es mir so getrotzt hätte? die Grosmutter bat mich, es zu schonen: und wenn ein Mädchen einmahl in unsere Gewalt übergeben wird, oder sich selbst darein ü- bergibt, so kann man nichts weiter zu erlangen wünschen: hingegen Widerstand und Wachsam- keit habe ich immer für eine Versuchung angesehen, es ärger zu machen.
Warum,
mein Hertz gegen ſie ehrlich! da iſt einmahl ein Seufzer, Bruder! wenn er nicht erhoͤrt wuͤrde, ſo waͤre das unvergleichliche Maͤdchen zu bedauren. Doch, da ich dem Himmel nicht ſo oft mit einem Gebet beſchwerlich falle, ſo iſt Hoffnung, daß die- ſer Seufzer erhoͤrt werden wird.
Jch ſehe aber bey ihr ſo angenehme, ſo reitzende Hinderniſſe vor mir; ein ſolches Feld, auf dem ich alle Liſt, die ich beſitze, anwenden kann; ſo viel Gelegenheit etwas mißliches zu wagen. Was fuͤr ein Ungluͤck, daß alle meine Neigungen und Gaben gerade auf dieſe Seite gehen! da ich doch weiß, was Ehre und Gerechtigkeit iſt, und da ich in großer Verſuchung bin, aufrichtig zu wuͤnſchen, daß ich ein ehrliches Hertz haben moͤchte. Jn großer Verſuchung bin ich: denn voͤllig kann ich den Wunſch nicht thun, dazu bin ich zu ſchelmiſch. Dencke, was fuͤr ein Sieg uͤber das gantze Ge- ſchlecht, wenn ich ſie beſiegen koͤnnte! dencke an mein Kloſter-Geluͤbde, wie ich es nennen mag. Haben nicht die Frauenzimmer den Anfang ge- macht, mich zu beleidigen? und ſchont dieſes Kind meiner? Glaubſt du, Bruder, daß ich mein Ro- ſenknoͤſpgen geſchont haben wuͤrde, wenn es mir ſo getrotzt haͤtte? die Grosmutter bat mich, es zu ſchonen: und wenn ein Maͤdchen einmahl in unſere Gewalt uͤbergeben wird, oder ſich ſelbſt darein uͤ- bergibt, ſo kann man nichts weiter zu erlangen wuͤnſchen: hingegen Widerſtand und Wachſam- keit habe ich immer fuͤr eine Verſuchung angeſehen, es aͤrger zu machen.
Warum,
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mein Hertz gegen ſie ehrlich! da iſt einmahl ein
Seufzer, Bruder! wenn er nicht erhoͤrt wuͤrde, ſo
waͤre das unvergleichliche Maͤdchen zu bedauren.
Doch, da ich dem Himmel nicht ſo oft mit einem
Gebet beſchwerlich falle, ſo iſt Hoffnung, daß die-
ſer Seufzer erhoͤrt werden wird.
Jch ſehe aber bey ihr ſo angenehme, ſo reitzende
Hinderniſſe vor mir; ein ſolches Feld, auf dem
ich alle Liſt, die ich beſitze, anwenden kann; ſo viel
Gelegenheit etwas mißliches zu wagen. Was
fuͤr ein Ungluͤck, daß alle meine Neigungen und
Gaben gerade auf dieſe Seite gehen! da ich doch
weiß, was Ehre und Gerechtigkeit iſt, und da ich
in großer Verſuchung bin, aufrichtig zu wuͤnſchen,
daß ich ein ehrliches Hertz haben moͤchte. Jn
großer Verſuchung bin ich: denn voͤllig kann
ich den Wunſch nicht thun, dazu bin ich zu ſchelmiſch.
Dencke, was fuͤr ein Sieg uͤber das gantze Ge-
ſchlecht, wenn ich ſie beſiegen koͤnnte! dencke an
mein Kloſter-Geluͤbde, wie ich es nennen mag.
Haben nicht die Frauenzimmer den Anfang ge-
macht, mich zu beleidigen? und ſchont dieſes Kind
meiner? Glaubſt du, Bruder, daß ich mein Ro-
ſenknoͤſpgen geſchont haben wuͤrde, wenn es mir
ſo getrotzt haͤtte? die Grosmutter bat mich, es zu
ſchonen: und wenn ein Maͤdchen einmahl in unſere
Gewalt uͤbergeben wird, oder ſich ſelbſt darein uͤ-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/139>, abgerufen am 28.11.2024.
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