Meine Mutter ist wegen des Argwohns ausser Hause gewesen, daß ich vielleicht durch die Fräu- lein Knollys Briefe mit Jhnen wechseln möchte. Sie pflegt alles auf einmahl zu thun: sie hat dem- nach einen Besuch abgestattet, und das Verspre- chen erhalten, daß ohne ihr Vorwissen künftig kei- ne Briefe angenommen werden sollen. Herr Hick- man hat aber einen Nahmens Filmer, der ein Bauer ist, ausgemacht, der an dem so genannten Fincken-Steige wohnet. Dahin schicken Sie Jhre Briefe unter der Ausschrifft, Johann Soberton. Herr Hickman wird sie selbst abhohlen, und mei- ne Briefe eben daselbst bestellen. Es ist mein Vor- theil nicht, daß ich ihn in einer Sache gebrauchen muß, an der mir so viel gelegen ist. Er hat ein gantz anderes Gesicht darüber bekommen; und er wird sich bald anfangen vornehm gegen mich zu gebeer- den. Er thäte aber besser, wenn er bedächte, daß diese Gunst, die er so lange gewünscht und ge- sucht hat, ihn in kitzliche Umstände bringen kann. Wer die Gelegenheit hat, gefällig zu seyn, der kann auch leicht mißfällig werden; und mancher sollte sich wünschen, daß es nie in seiner Macht gestan- den hätte, es bey andern zu verderben.
Jch will, wenn es mir möglich ist, einige Zeit Geduld haben, und abwarten, ob sich die unruhi- ge Neugier meiner Mutter legen wird. Al- lein lange werde ich diese Begegnung nicht er- tragen.
Es
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Meine Mutter iſt wegen des Argwohns auſſer Hauſe geweſen, daß ich vielleicht durch die Fraͤu- lein Knollys Briefe mit Jhnen wechſeln moͤchte. Sie pflegt alles auf einmahl zu thun: ſie hat dem- nach einen Beſuch abgeſtattet, und das Verſpre- chen erhalten, daß ohne ihr Vorwiſſen kuͤnftig kei- ne Briefe angenommen werden ſollen. Herr Hick- man hat aber einen Nahmens Filmer, der ein Bauer iſt, ausgemacht, der an dem ſo genannten Fincken-Steige wohnet. Dahin ſchicken Sie Jhre Briefe unter der Auſſchrifft, Johann Soberton. Herr Hickman wird ſie ſelbſt abhohlen, und mei- ne Briefe eben daſelbſt beſtellen. Es iſt mein Vor- theil nicht, daß ich ihn in einer Sache gebrauchen muß, an der mir ſo viel gelegen iſt. Er hat ein gantz anderes Geſicht daruͤber bekommen; und er wird ſich bald anfangen vornehm gegen mich zu gebeer- den. Er thaͤte aber beſſer, wenn er bedaͤchte, daß dieſe Gunſt, die er ſo lange gewuͤnſcht und ge- ſucht hat, ihn in kitzliche Umſtaͤnde bringen kann. Wer die Gelegenheit hat, gefaͤllig zu ſeyn, der kann auch leicht mißfaͤllig werden; und mancher ſollte ſich wuͤnſchen, daß es nie in ſeiner Macht geſtan- den haͤtte, es bey andern zu verderben.
Jch will, wenn es mir moͤglich iſt, einige Zeit Geduld haben, und abwarten, ob ſich die unruhi- ge Neugier meiner Mutter legen wird. Al- lein lange werde ich dieſe Begegnung nicht er- tragen.
Es
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Meine Mutter iſt wegen des Argwohns auſſer
Hauſe geweſen, daß ich vielleicht durch die Fraͤu-
lein Knollys Briefe mit Jhnen wechſeln moͤchte.
Sie pflegt alles auf einmahl zu thun: ſie hat dem-
nach einen Beſuch abgeſtattet, und das Verſpre-
chen erhalten, daß ohne ihr Vorwiſſen kuͤnftig kei-
ne Briefe angenommen werden ſollen. Herr Hick-
man hat aber einen Nahmens Filmer, der ein
Bauer iſt, ausgemacht, der an dem ſo genannten
Fincken-Steige wohnet. Dahin ſchicken Sie Jhre
Briefe unter der Auſſchrifft, Johann Soberton.
Herr Hickman wird ſie ſelbſt abhohlen, und mei-
ne Briefe eben daſelbſt beſtellen. Es iſt mein Vor-
theil nicht, daß ich ihn in einer Sache gebrauchen
muß, an der mir ſo viel gelegen iſt. Er hat ein gantz
anderes Geſicht daruͤber bekommen; und er wird
ſich bald anfangen vornehm gegen mich zu gebeer-
den. Er thaͤte aber beſſer, wenn er bedaͤchte, daß
dieſe Gunſt, die er ſo lange gewuͤnſcht und ge-
ſucht hat, ihn in kitzliche Umſtaͤnde bringen kann.
Wer die Gelegenheit hat, gefaͤllig zu ſeyn, der kann
auch leicht mißfaͤllig werden; und mancher ſollte
ſich wuͤnſchen, daß es nie in ſeiner Macht geſtan-
den haͤtte, es bey andern zu verderben.
Jch will, wenn es mir moͤglich iſt, einige Zeit
Geduld haben, und abwarten, ob ſich die unruhi-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/119>, abgerufen am 27.11.2024.
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