Urtheil sprechen wollen, bis Sie meine gantze Ge- schichte wissen. Jch habe deswegen so bald an Sie geschrieben, damit Sie keinen Brief an mich nach Harlowe-Burg schicken, oder die schon hingeschickten wieder abholen lassen möchten.
Leben Sie wohl, liebste Freundin! und lieben Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre Frau Mutter sagen? Was meine Mutter? Was meine übrigen Verwanten? Was meine liebe Frau Norton? Wie wird mein Bruder und meine Schwester frohlocken?
Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie Jhre Brieffe schicken sollen: denn ich werde die- sen Ort bald verlassen, ob ich gleich bis auf den Tod müde bin. Wenn ich nichts anders thun kan, so macht doch die lange Gewohnheit, daß ich noch im Stande bin zu schreiben. Dieses ist lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver- gnügen gewesen: es würde aber nicht zu meinem Vergnügen gereicht haben, wenn ich nicht an ei- ne so liebe Freundin hätte schreiben können. Nochmahls A dieu! Haben Sie Mitleiden, und vereinigen Sie Jhr Gebet, mit
Jhrer Cl. Harlowe.
Der
Die Geſchichte
Urtheil ſprechen wollen, bis Sie meine gantze Ge- ſchichte wiſſen. Jch habe deswegen ſo bald an Sie geſchrieben, damit Sie keinen Brief an mich nach Harlowe-Burg ſchicken, oder die ſchon hingeſchickten wieder abholen laſſen moͤchten.
Leben Sie wohl, liebſte Freundin! und lieben Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre Frau Mutter ſagen? Was meine Mutter? Was meine uͤbrigen Verwanten? Was meine liebe Frau Norton? Wie wird mein Bruder und meine Schweſter frohlocken?
Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie Jhre Brieffe ſchicken ſollen: denn ich werde die- ſen Ort bald verlaſſen, ob ich gleich bis auf den Tod muͤde bin. Wenn ich nichts anders thun kan, ſo macht doch die lange Gewohnheit, daß ich noch im Stande bin zu ſchreiben. Dieſes iſt lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver- gnuͤgen geweſen: es wuͤrde aber nicht zu meinem Vergnuͤgen gereicht haben, wenn ich nicht an ei- ne ſo liebe Freundin haͤtte ſchreiben koͤnnen. Nochmahls A dieu! Haben Sie Mitleiden, und vereinigen Sie Jhr Gebet, mit
Jhrer Cl. Harlowe.
Der
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Die Geſchichte
Urtheil ſprechen wollen, bis Sie meine gantze Ge-
ſchichte wiſſen. Jch habe deswegen ſo bald an
Sie geſchrieben, damit Sie keinen Brief an mich
nach Harlowe-Burg ſchicken, oder die ſchon
hingeſchickten wieder abholen laſſen moͤchten.
Leben Sie wohl, liebſte Freundin! und lieben
Sie mich noch ferner. Was wird aber Jhre
Frau Mutter ſagen? Was meine Mutter?
Was meine uͤbrigen Verwanten? Was meine
liebe Frau Norton? Wie wird mein Bruder
und meine Schweſter frohlocken?
Jch kan Jhnen noch nicht melden, wohin Sie
Jhre Brieffe ſchicken ſollen: denn ich werde die-
ſen Ort bald verlaſſen, ob ich gleich bis auf den
Tod muͤde bin. Wenn ich nichts anders thun
kan, ſo macht doch die lange Gewohnheit, daß
ich noch im Stande bin zu ſchreiben. Dieſes
iſt lange Zeit mein Zeitvertreib und mein Ver-
gnuͤgen geweſen: es wuͤrde aber nicht zu meinem
Vergnuͤgen gereicht haben, wenn ich nicht an ei-
ne ſo liebe Freundin haͤtte ſchreiben koͤnnen.
Nochmahls A dieu! Haben Sie Mitleiden,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/530>, abgerufen am 21.11.2024.
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