Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Als ich den Brief zum erstenmahl lase, so hatte
ich Lust, meinen vorigen Anschlag auszufüh-
ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn Lo-
velacen
abschrieb, nicht zu seinen Händen gekom-
men war, und mir das Hertz wehe thut, so oft
ich an den Krieg gedencke, der sich erregen wird,
wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre-
chen muß ich ihn, solte es auch nur auf wenige
Augenblicke seyn, sonst möchte er einen allzudrei-
sten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl
Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte
liegen mir immer im Gemüth: so bald ich den
Fuß aus meiner Eltern Hauß gesetzt habe/
fällt alle Pünctlichkeit in gewissen Dingen
weg.
Es kommen noch stärckere Gegen-Grün-
de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und
von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom-
men sind, und die mich vorhin überzeugten, daß
ich meiner Eltern Haus nicht verlassen müßte.
Es müste wunderlich seyn, daß ich nicht eine
Frist von einem Monath, oder vierzehen Tagen
oder einer Woche erhalten solte, wenn mir
gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn-
macht, keine erwünschte Verwirrung des Ge-
hirns, zu Hülffe kommt. Jch habe desto mehr
gute Hoffnung, weil ich aus der Dorthgen
ihrem Brieffe sehe, daß der rechtschaffene D.
Lewin nichts mit der Sache zu thun haben
will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und
glaubet, daß mir zu hart begegnet sey. Denn
ohne mich etwas hievon mercken zu lassen, kan

ich
J i 5
der Clariſſa.

Als ich den Brief zum erſtenmahl laſe, ſo hatte
ich Luſt, meinen vorigen Anſchlag auszufuͤh-
ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn Lo-
velacen
abſchrieb, nicht zu ſeinen Haͤnden gekom-
men war, und mir das Hertz wehe thut, ſo oft
ich an den Krieg gedencke, der ſich erregen wird,
wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre-
chen muß ich ihn, ſolte es auch nur auf wenige
Augenblicke ſeyn, ſonſt moͤchte er einen allzudrei-
ſten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl
Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte
liegen mir immer im Gemuͤth: ſo bald ich den
Fuß aus meiner Eltern Hauß geſetzt habe/
faͤllt alle Puͤnctlichkeit in gewiſſen Dingen
weg.
Es kommen noch ſtaͤrckere Gegen-Gruͤn-
de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und
von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom-
men ſind, und die mich vorhin uͤberzeugten, daß
ich meiner Eltern Haus nicht verlaſſen muͤßte.
Es muͤſte wunderlich ſeyn, daß ich nicht eine
Friſt von einem Monath, oder vierzehen Tagen
oder einer Woche erhalten ſolte, wenn mir
gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn-
macht, keine erwuͤnſchte Verwirrung des Ge-
hirns, zu Huͤlffe kommt. Jch habe deſto mehr
gute Hoffnung, weil ich aus der Dorthgen
ihrem Brieffe ſehe, daß der rechtſchaffene D.
Lewin nichts mit der Sache zu thun haben
will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und
glaubet, daß mir zu hart begegnet ſey. Denn
ohne mich etwas hievon mercken zu laſſen, kan

ich
J i 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0511" n="505"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi> </fw><lb/>
          <p>Als ich den Brief zum er&#x017F;tenmahl la&#x017F;e, &#x017F;o hatte<lb/>
ich Lu&#x017F;t, meinen vorigen An&#x017F;chlag auszufu&#x0364;h-<lb/>
ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn <hi rendition="#fr">Lo-<lb/>
velacen</hi> ab&#x017F;chrieb, nicht zu &#x017F;einen Ha&#x0364;nden gekom-<lb/>
men war, und mir das Hertz wehe thut, &#x017F;o oft<lb/>
ich an den Krieg gedencke, der &#x017F;ich erregen wird,<lb/>
wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre-<lb/>
chen muß ich ihn, &#x017F;olte es auch nur auf wenige<lb/>
Augenblicke &#x017F;eyn, &#x017F;on&#x017F;t mo&#x0364;chte er einen allzudrei-<lb/>
&#x017F;ten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl<lb/>
Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte<lb/>
liegen mir immer im Gemu&#x0364;th: <hi rendition="#fr">&#x017F;o bald ich den<lb/>
Fuß aus meiner Eltern Hauß ge&#x017F;etzt habe/<lb/>
fa&#x0364;llt alle Pu&#x0364;nctlichkeit in gewi&#x017F;&#x017F;en Dingen<lb/>
weg.</hi> Es kommen noch &#x017F;ta&#x0364;rckere Gegen-Gru&#x0364;n-<lb/>
de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und<lb/>
von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom-<lb/>
men &#x017F;ind, und die mich vorhin u&#x0364;berzeugten, daß<lb/>
ich meiner Eltern Haus nicht verla&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;ßte.<lb/>
Es mu&#x0364;&#x017F;te wunderlich &#x017F;eyn, daß ich nicht eine<lb/>
Fri&#x017F;t von einem Monath, oder vierzehen Tagen<lb/>
oder einer Woche erhalten &#x017F;olte, wenn mir<lb/>
gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn-<lb/>
macht, keine erwu&#x0364;n&#x017F;chte Verwirrung des Ge-<lb/>
hirns, zu Hu&#x0364;lffe kommt. Jch habe de&#x017F;to mehr<lb/>
gute Hoffnung, weil ich aus der <hi rendition="#fr">Dorthgen</hi><lb/>
ihrem Brieffe &#x017F;ehe, daß der recht&#x017F;chaffene D.<lb/><hi rendition="#fr">Lewin</hi> nichts mit der Sache zu thun haben<lb/>
will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und<lb/>
glaubet, daß mir zu hart begegnet &#x017F;ey. Denn<lb/>
ohne mich etwas hievon mercken zu la&#x017F;&#x017F;en, kan<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J i 5</fw><fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[505/0511] der Clariſſa. Als ich den Brief zum erſtenmahl laſe, ſo hatte ich Luſt, meinen vorigen Anſchlag auszufuͤh- ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn Lo- velacen abſchrieb, nicht zu ſeinen Haͤnden gekom- men war, und mir das Hertz wehe thut, ſo oft ich an den Krieg gedencke, der ſich erregen wird, wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre- chen muß ich ihn, ſolte es auch nur auf wenige Augenblicke ſeyn, ſonſt moͤchte er einen allzudrei- ſten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte liegen mir immer im Gemuͤth: ſo bald ich den Fuß aus meiner Eltern Hauß geſetzt habe/ faͤllt alle Puͤnctlichkeit in gewiſſen Dingen weg. Es kommen noch ſtaͤrckere Gegen-Gruͤn- de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom- men ſind, und die mich vorhin uͤberzeugten, daß ich meiner Eltern Haus nicht verlaſſen muͤßte. Es muͤſte wunderlich ſeyn, daß ich nicht eine Friſt von einem Monath, oder vierzehen Tagen oder einer Woche erhalten ſolte, wenn mir gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn- macht, keine erwuͤnſchte Verwirrung des Ge- hirns, zu Huͤlffe kommt. Jch habe deſto mehr gute Hoffnung, weil ich aus der Dorthgen ihrem Brieffe ſehe, daß der rechtſchaffene D. Lewin nichts mit der Sache zu thun haben will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und glaubet, daß mir zu hart begegnet ſey. Denn ohne mich etwas hievon mercken zu laſſen, kan ich J i 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/511
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/511>, abgerufen am 04.05.2024.