Als ich den Brief zum erstenmahl lase, so hatte ich Lust, meinen vorigen Anschlag auszufüh- ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn Lo- velacen abschrieb, nicht zu seinen Händen gekom- men war, und mir das Hertz wehe thut, so oft ich an den Krieg gedencke, der sich erregen wird, wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre- chen muß ich ihn, solte es auch nur auf wenige Augenblicke seyn, sonst möchte er einen allzudrei- sten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte liegen mir immer im Gemüth: so bald ich den Fuß aus meiner Eltern Hauß gesetzt habe/ fällt alle Pünctlichkeit in gewissen Dingen weg. Es kommen noch stärckere Gegen-Grün- de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom- men sind, und die mich vorhin überzeugten, daß ich meiner Eltern Haus nicht verlassen müßte. Es müste wunderlich seyn, daß ich nicht eine Frist von einem Monath, oder vierzehen Tagen oder einer Woche erhalten solte, wenn mir gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn- macht, keine erwünschte Verwirrung des Ge- hirns, zu Hülffe kommt. Jch habe desto mehr gute Hoffnung, weil ich aus der Dorthgen ihrem Brieffe sehe, daß der rechtschaffene D. Lewin nichts mit der Sache zu thun haben will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und glaubet, daß mir zu hart begegnet sey. Denn ohne mich etwas hievon mercken zu lassen, kan
ich
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der Clariſſa.
Als ich den Brief zum erſtenmahl laſe, ſo hatte ich Luſt, meinen vorigen Anſchlag auszufuͤh- ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn Lo- velacen abſchrieb, nicht zu ſeinen Haͤnden gekom- men war, und mir das Hertz wehe thut, ſo oft ich an den Krieg gedencke, der ſich erregen wird, wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre- chen muß ich ihn, ſolte es auch nur auf wenige Augenblicke ſeyn, ſonſt moͤchte er einen allzudrei- ſten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte liegen mir immer im Gemuͤth: ſo bald ich den Fuß aus meiner Eltern Hauß geſetzt habe/ faͤllt alle Puͤnctlichkeit in gewiſſen Dingen weg. Es kommen noch ſtaͤrckere Gegen-Gruͤn- de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom- men ſind, und die mich vorhin uͤberzeugten, daß ich meiner Eltern Haus nicht verlaſſen muͤßte. Es muͤſte wunderlich ſeyn, daß ich nicht eine Friſt von einem Monath, oder vierzehen Tagen oder einer Woche erhalten ſolte, wenn mir gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn- macht, keine erwuͤnſchte Verwirrung des Ge- hirns, zu Huͤlffe kommt. Jch habe deſto mehr gute Hoffnung, weil ich aus der Dorthgen ihrem Brieffe ſehe, daß der rechtſchaffene D. Lewin nichts mit der Sache zu thun haben will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und glaubet, daß mir zu hart begegnet ſey. Denn ohne mich etwas hievon mercken zu laſſen, kan
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der Clariſſa.
Als ich den Brief zum erſtenmahl laſe, ſo hatte
ich Luſt, meinen vorigen Anſchlag auszufuͤh-
ren, zumahl da mein Brief, indem ich ihn Lo-
velacen abſchrieb, nicht zu ſeinen Haͤnden gekom-
men war, und mir das Hertz wehe thut, ſo oft
ich an den Krieg gedencke, der ſich erregen wird,
wenn ich mich weigere mit ihm zu gehen. Spre-
chen muß ich ihn, ſolte es auch nur auf wenige
Augenblicke ſeyn, ſonſt moͤchte er einen allzudrei-
ſten Gang wagen: denn ich habe ihm einmahl
Hoffnung dazu gemacht. Allein Jhre Worte
liegen mir immer im Gemuͤth: ſo bald ich den
Fuß aus meiner Eltern Hauß geſetzt habe/
faͤllt alle Puͤnctlichkeit in gewiſſen Dingen
weg. Es kommen noch ſtaͤrckere Gegen-Gruͤn-
de dazu, die von den Pflichten eines Kindes und
von meiner Ehre und guten Nahmen hergenom-
men ſind, und die mich vorhin uͤberzeugten, daß
ich meiner Eltern Haus nicht verlaſſen muͤßte.
Es muͤſte wunderlich ſeyn, daß ich nicht eine
Friſt von einem Monath, oder vierzehen Tagen
oder einer Woche erhalten ſolte, wenn mir
gleich keine zur rechten Stunde kommende Ohn-
macht, keine erwuͤnſchte Verwirrung des Ge-
hirns, zu Huͤlffe kommt. Jch habe deſto mehr
gute Hoffnung, weil ich aus der Dorthgen
ihrem Brieffe ſehe, daß der rechtſchaffene D.
Lewin nichts mit der Sache zu thun haben
will, wenn ich mein Ja nicht willig gebe; und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/511>, abgerufen am 24.11.2024.
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