wenn ich die Lehre meiner aufrichtigen Frau Norton/ daß die Schule der Trübsaal die beste Schule ist/ unwahr machen, und in die- ser Schule an statt der Geduld Ungeduld lernen solte: oder wenn ich anfinge, nur so viel Hoch- achtung für andere zu haben, als sie mir Wohl- thaten erzeigen. Denn was ist dieses anders, als glauben, daß wir beständig Recht haben, und die, so verschiedener Meinung sind und nicht nach unserm Sinne handeln, beständig Unrecht? Jst es nicht eben so viel, als wenn man seine und GOttes Sache für Eins ansähe, wie Herr Sol- mes/ wenn er um Gottes willen bittet.
Wie oft haben wir uns bemühet, diese Par- theylichkeit an andern zu entdecken? und wie scharf ist unser Tadel darüber gewesen?
Allein ich weiß, daß Sie nicht damit zufrie- den sind, alles zu sagen, was Jhrer Meinung nach mit Recht kan gesagt werden: sondern daß Sie bisweilen blos die Schärffe Jhres Verstandes zeigen wollen, der bis auf den Grund und Boden der Sachen dringet, und sich des- wegen ein Vergnügen daraus machen, alles zu sagen und zu schreiben, was man nur sagen, oder schreiben, oder dencken kan, weil Sie andern ei- ne Probe Jhres göttlichen Verstandes geben wollen (vergeben Sie mir meine Unart in Ma- chung dieser Anmerckung) der alle mögliche künf- tige Zufälle vorher gesehen hat. Doch wer
wird
Die Geſchichte
wenn ich die Lehre meiner aufrichtigen Frau Norton/ daß die Schule der Truͤbſaal die beſte Schule iſt/ unwahr machen, und in die- ſer Schule an ſtatt der Geduld Ungeduld lernen ſolte: oder wenn ich anfinge, nur ſo viel Hoch- achtung fuͤr andere zu haben, als ſie mir Wohl- thaten erzeigen. Denn was iſt dieſes anders, als glauben, daß wir beſtaͤndig Recht haben, und die, ſo verſchiedener Meinung ſind und nicht nach unſerm Sinne handeln, beſtaͤndig Unrecht? Jſt es nicht eben ſo viel, als wenn man ſeine und GOttes Sache fuͤr Eins anſaͤhe, wie Herr Sol- mes/ wenn er um Gottes willen bittet.
Wie oft haben wir uns bemuͤhet, dieſe Par- theylichkeit an andern zu entdecken? und wie ſcharf iſt unſer Tadel daruͤber geweſen?
Allein ich weiß, daß Sie nicht damit zufrie- den ſind, alles zu ſagen, was Jhrer Meinung nach mit Recht kan geſagt werden: ſondern daß Sie bisweilen blos die Schaͤrffe Jhres Verſtandes zeigen wollen, der bis auf den Grund und Boden der Sachen dringet, und ſich des- wegen ein Vergnuͤgen daraus machen, alles zu ſagen und zu ſchreiben, was man nur ſagen, oder ſchreiben, oder dencken kan, weil Sie andern ei- ne Probe Jhres goͤttlichen Verſtandes geben wollen (vergeben Sie mir meine Unart in Ma- chung dieſer Anmerckung) der alle moͤgliche kuͤnf- tige Zufaͤlle vorher geſehen hat. Doch wer
wird
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Die Geſchichte
wenn ich die Lehre meiner aufrichtigen Frau
Norton/ daß die Schule der Truͤbſaal die
beſte Schule iſt/ unwahr machen, und in die-
ſer Schule an ſtatt der Geduld Ungeduld lernen
ſolte: oder wenn ich anfinge, nur ſo viel Hoch-
achtung fuͤr andere zu haben, als ſie mir Wohl-
thaten erzeigen. Denn was iſt dieſes anders,
als glauben, daß wir beſtaͤndig Recht haben, und
die, ſo verſchiedener Meinung ſind und nicht nach
unſerm Sinne handeln, beſtaͤndig Unrecht? Jſt
es nicht eben ſo viel, als wenn man ſeine und
GOttes Sache fuͤr Eins anſaͤhe, wie Herr Sol-
mes/ wenn er um Gottes willen bittet.
Wie oft haben wir uns bemuͤhet, dieſe Par-
theylichkeit an andern zu entdecken? und wie
ſcharf iſt unſer Tadel daruͤber geweſen?
Allein ich weiß, daß Sie nicht damit zufrie-
den ſind, alles zu ſagen, was Jhrer Meinung
nach mit Recht kan geſagt werden: ſondern
daß Sie bisweilen blos die Schaͤrffe Jhres
Verſtandes zeigen wollen, der bis auf den Grund
und Boden der Sachen dringet, und ſich des-
wegen ein Vergnuͤgen daraus machen, alles zu
ſagen und zu ſchreiben, was man nur ſagen, oder
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/492>, abgerufen am 22.11.2024.
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