[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.der Clarissa. der davon gehen will, keinen andern Weg, alsden sumpfigten Fußsteig, auf dem Jhr Bedien- ter den abgelegenen Holtzstall zu erreichen pflegt. Allein dieser ist voller Quellen, und man muß vorher an der ziemlich hohen Mauer des Hüner- Hofes herab klettern. Zu der Vorder-Thür hinaus zu flüchten ist nicht wohl möglich: denn Sie wissen, daß man erst durch das gantze Haus vor den Sälen und vor den Zimmern der Bedien- ten vorbey gehen muß; hernachmahls über den breiten Hof: und denn muß man noch, wenn man durch das eiserne Thor will eine halbe Viertheilstunde in dem Thier-Garten unbedeckt gehen, denn die junge Baum-Schule ist noch nicht im Stande, einen zu bedecken. Das vorhin erwähnte Sommer-Haus ist zu mei- Brieffe also: man sieht noch die Ueberbleibsel
und das alte Mauerwerck einer zerstörten Ca- pelle/ die jetzt mitten im Gebüsche liegt. Hin und wieder steht eine uhralte Eiche/ mit Epheu umgeben/ dadurch dieser Ort gleichsam gehei- liget wird. Vor mehreren Jahren hat sich je- mand hier erhenckt/ daher haben wir Kinder und die Dienstmägde uns immer gefürcht/ und die Gegend für eine Wohnung von Eulen/ Ra- ben und andern unglücklichen Vögeln/ ja wohl gar von Gespenstern gehalten. So geht es dem unwissenden Volcke auf dem Lande: und die Vorstellungen/ die uns in der leichtgläubigen Kindheit beygebracht werden/ wachsen mit uns auf/ und machen noch einen Eindruck bey uns/ wenn wir aufgehört haben/ leichtgläubig zu seyn. der Clariſſa. der davon gehen will, keinen andern Weg, alsden ſumpfigten Fußſteig, auf dem Jhr Bedien- ter den abgelegenen Holtzſtall zu erreichen pflegt. Allein dieſer iſt voller Quellen, und man muß vorher an der ziemlich hohen Mauer des Huͤner- Hofes herab klettern. Zu der Vorder-Thuͤr hinaus zu fluͤchten iſt nicht wohl moͤglich: denn Sie wiſſen, daß man erſt durch das gantze Haus vor den Saͤlen und vor den Zimmern der Bedien- ten vorbey gehen muß; hernachmahls uͤber den breiten Hof: und denn muß man noch, wenn man durch das eiſerne Thor will eine halbe Viertheilſtunde in dem Thier-Garten unbedeckt gehen, denn die junge Baum-Schule iſt noch nicht im Stande, einen zu bedecken. Das vorhin erwaͤhnte Sommer-Haus iſt zu mei- Brieffe alſo: man ſieht noch die Ueberbleibſel
und das alte Mauerwerck einer zerſtoͤrten Ca- pelle/ die jetzt mitten im Gebuͤſche liegt. Hin und wieder ſteht eine uhralte Eiche/ mit Epheu umgeben/ dadurch dieſer Ort gleichſam gehei- liget wird. Vor mehreren Jahren hat ſich je- mand hier erhenckt/ daher haben wir Kinder und die Dienſtmaͤgde uns immer gefuͤrcht/ und die Gegend fuͤr eine Wohnung von Eulen/ Ra- ben und andern ungluͤcklichen Voͤgeln/ ja wohl gar von Geſpenſtern gehalten. So geht es dem unwiſſenden Volcke auf dem Lande: und die Vorſtellungen/ die uns in der leichtglaͤubigen Kindheit beygebracht werden/ wachſen mit uns auf/ und machen noch einen Eindruck bey uns/ wenn wir aufgehoͤrt haben/ leichtglaͤubig zu ſeyn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0469" n="463"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/> der davon gehen will, keinen andern Weg, als<lb/> den ſumpfigten Fußſteig, auf dem Jhr Bedien-<lb/> ter den abgelegenen Holtzſtall zu erreichen pflegt.<lb/> Allein dieſer iſt voller Quellen, und man muß<lb/> vorher an der ziemlich hohen Mauer des Huͤner-<lb/> Hofes herab klettern. Zu der Vorder-Thuͤr<lb/> hinaus zu fluͤchten iſt nicht wohl moͤglich: denn Sie<lb/> wiſſen, daß man erſt durch das gantze Haus vor<lb/> den Saͤlen und vor den Zimmern der Bedien-<lb/> ten vorbey gehen muß; hernachmahls uͤber den<lb/> breiten Hof: und denn muß man noch, wenn<lb/> man durch das eiſerne Thor will eine halbe<lb/> Viertheilſtunde in dem Thier-Garten unbedeckt<lb/> gehen, denn die junge Baum-Schule iſt noch nicht<lb/> im Stande, einen zu bedecken.</p><lb/> <p>Das vorhin erwaͤhnte Sommer-Haus iſt zu<lb/> <fw place="bottom" type="catch">mei-</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_3_2" prev="#seg2pn_3_1" place="foot" n="**">Brieffe alſo: <hi rendition="#fr">man ſieht noch die Ueberbleibſel<lb/> und das alte Mauerwerck einer zerſtoͤrten Ca-<lb/> pelle/ die jetzt mitten im Gebuͤſche liegt. Hin<lb/> und wieder ſteht eine uhralte Eiche/ mit Epheu<lb/> umgeben/ dadurch dieſer Ort gleichſam gehei-<lb/> liget wird. Vor mehreren Jahren hat ſich je-<lb/> mand hier erhenckt/ daher haben wir Kinder<lb/> und die Dienſtmaͤgde uns immer gefuͤrcht/ und<lb/> die Gegend fuͤr eine Wohnung von Eulen/ Ra-<lb/> ben und andern ungluͤcklichen Voͤgeln/ ja wohl<lb/> gar von Geſpenſtern gehalten. So geht es dem<lb/> unwiſſenden Volcke auf dem Lande: und die<lb/> Vorſtellungen/ die uns in der leichtglaͤubigen<lb/> Kindheit beygebracht werden/ wachſen mit uns<lb/> auf/ und machen noch einen Eindruck bey uns/<lb/> wenn wir aufgehoͤrt haben/ leichtglaͤubig zu<lb/> ſeyn.</hi></note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [463/0469]
der Clariſſa.
der davon gehen will, keinen andern Weg, als
den ſumpfigten Fußſteig, auf dem Jhr Bedien-
ter den abgelegenen Holtzſtall zu erreichen pflegt.
Allein dieſer iſt voller Quellen, und man muß
vorher an der ziemlich hohen Mauer des Huͤner-
Hofes herab klettern. Zu der Vorder-Thuͤr
hinaus zu fluͤchten iſt nicht wohl moͤglich: denn Sie
wiſſen, daß man erſt durch das gantze Haus vor
den Saͤlen und vor den Zimmern der Bedien-
ten vorbey gehen muß; hernachmahls uͤber den
breiten Hof: und denn muß man noch, wenn
man durch das eiſerne Thor will eine halbe
Viertheilſtunde in dem Thier-Garten unbedeckt
gehen, denn die junge Baum-Schule iſt noch nicht
im Stande, einen zu bedecken.
Das vorhin erwaͤhnte Sommer-Haus iſt zu
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** Brieffe alſo: man ſieht noch die Ueberbleibſel
und das alte Mauerwerck einer zerſtoͤrten Ca-
pelle/ die jetzt mitten im Gebuͤſche liegt. Hin
und wieder ſteht eine uhralte Eiche/ mit Epheu
umgeben/ dadurch dieſer Ort gleichſam gehei-
liget wird. Vor mehreren Jahren hat ſich je-
mand hier erhenckt/ daher haben wir Kinder
und die Dienſtmaͤgde uns immer gefuͤrcht/ und
die Gegend fuͤr eine Wohnung von Eulen/ Ra-
ben und andern ungluͤcklichen Voͤgeln/ ja wohl
gar von Geſpenſtern gehalten. So geht es dem
unwiſſenden Volcke auf dem Lande: und die
Vorſtellungen/ die uns in der leichtglaͤubigen
Kindheit beygebracht werden/ wachſen mit uns
auf/ und machen noch einen Eindruck bey uns/
wenn wir aufgehoͤrt haben/ leichtglaͤubig zu
ſeyn.
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Zitationshilfe: | [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/469>, abgerufen am 16.02.2025. |