kan. Weil er weiß, daß die Sache zum Ende eilet, so wird er den Brief gewiß nicht lange un- abgehohlet lassen.
Freytags um 4. Uhr.
Mir ist sehr schlimm: ich muß mich aber kräncker machen, als ich bin, um desto eher einen Aufschub des Uebels, damit mir der Mittewo- chen drohet, zu erhalten. Wenn ich dieses er- halte, so will ich mein an Lovelacen gegebe- nes Versprechen zurück nehmen.
Elisabeth hat unten erzählet, daß ich mich sehr schlimm befände. Allein niemand hat Mit- leiden mit mir. Jch glaube, daß ich nunmehr der Abscheu aller der Meinigen geworden bin, und sie würden froh seyn, wenn ich todt wäre. Das glaube ich in der That! Was fehlt dem verkehrten Mädchen: rufft der eine: ist es etwan die Liebes-Kranckheit? der andere.
Jch bin in dem Sommer-Hause gewesen, und kam mit einer fiebrischen Kälte wieder zu- rück, davon ich schauderte. Elisabeth sahe es, und sagte es wieder: es hieß aber; es ist nicht viel daran gelegen/ laßt sie nur schaudern/ von Frost wird sie nicht sterben. Der Ei- gensinn wird sie schon wieder warm ma- chen. Für ein verliebtes Mädchen ist der Eigensinn so gut wie ein kaltes Bad/ es munter und hart zu machen/ wenn es gleich von Natur noch so zärtlich ist.
Ein grausamer Bruder sagt dergleichen, und
andere
der Clariſſa.
kan. Weil er weiß, daß die Sache zum Ende eilet, ſo wird er den Brief gewiß nicht lange un- abgehohlet laſſen.
Freytags um 4. Uhr.
Mir iſt ſehr ſchlimm: ich muß mich aber kraͤncker machen, als ich bin, um deſto eher einen Aufſchub des Uebels, damit mir der Mittewo- chen drohet, zu erhalten. Wenn ich dieſes er- halte, ſo will ich mein an Lovelacen gegebe- nes Verſprechen zuruͤck nehmen.
Eliſabeth hat unten erzaͤhlet, daß ich mich ſehr ſchlimm befaͤnde. Allein niemand hat Mit- leiden mit mir. Jch glaube, daß ich nunmehr der Abſcheu aller der Meinigen geworden bin, und ſie wuͤrden froh ſeyn, wenn ich todt waͤre. Das glaube ich in der That! Was fehlt dem verkehrten Maͤdchen: rufft der eine: iſt es etwan die Liebes-Kranckheit? der andere.
Jch bin in dem Sommer-Hauſe geweſen, und kam mit einer fiebriſchen Kaͤlte wieder zu- ruͤck, davon ich ſchauderte. Eliſabeth ſahe es, und ſagte es wieder: es hieß aber; es iſt nicht viel daran gelegen/ laßt ſie nur ſchaudern/ von Froſt wird ſie nicht ſterben. Der Ei- genſinn wird ſie ſchon wieder warm ma- chen. Fuͤr ein verliebtes Maͤdchen iſt der Eigenſinn ſo gut wie ein kaltes Bad/ es munter und hart zu machen/ wenn es gleich von Natur noch ſo zaͤrtlich iſt.
Ein grauſamer Bruder ſagt dergleichen, und
andere
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der Clariſſa.
kan. Weil er weiß, daß die Sache zum Ende
eilet, ſo wird er den Brief gewiß nicht lange un-
abgehohlet laſſen.
Freytags um 4. Uhr.
Mir iſt ſehr ſchlimm: ich muß mich aber
kraͤncker machen, als ich bin, um deſto eher einen
Aufſchub des Uebels, damit mir der Mittewo-
chen drohet, zu erhalten. Wenn ich dieſes er-
halte, ſo will ich mein an Lovelacen gegebe-
nes Verſprechen zuruͤck nehmen.
Eliſabeth hat unten erzaͤhlet, daß ich mich
ſehr ſchlimm befaͤnde. Allein niemand hat Mit-
leiden mit mir. Jch glaube, daß ich nunmehr
der Abſcheu aller der Meinigen geworden bin,
und ſie wuͤrden froh ſeyn, wenn ich todt waͤre.
Das glaube ich in der That! Was fehlt dem
verkehrten Maͤdchen: rufft der eine: iſt es
etwan die Liebes-Kranckheit? der andere.
Jch bin in dem Sommer-Hauſe geweſen,
und kam mit einer fiebriſchen Kaͤlte wieder zu-
ruͤck, davon ich ſchauderte. Eliſabeth ſahe es,
und ſagte es wieder: es hieß aber; es iſt nicht
viel daran gelegen/ laßt ſie nur ſchaudern/
von Froſt wird ſie nicht ſterben. Der Ei-
genſinn wird ſie ſchon wieder warm ma-
chen. Fuͤr ein verliebtes Maͤdchen iſt der
Eigenſinn ſo gut wie ein kaltes Bad/ es
munter und hart zu machen/ wenn es
gleich von Natur noch ſo zaͤrtlich iſt.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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