Jch komme wieder auf die Sache, die ich mir keine Viertheilstunde lang aus dem Sinne schla- gen kan: insonderheit, weil Sie mir durch den dreyfachen Vorschlag, den Sie mir in Jhrem letzten Briefe thun, einen neuen Beruf geben, dieser Sache nachzudencken.
Was den ersten anlanget, da Sie mir nehm- lich rathen nach London zu fliehen: so setzt mich der andere damit verbundene Vorschlag in das äusserste Schrecken. Sie, mein Kind, leben so glücklich und vergnügt, und ihre Frau Mut- ter begegnet Jhnen so gütig: daß ich das, was Sie schreiben, kaum für Jhre wahre Meinung halten kan. Wie gottlos und verrucht müßte ich seyn, wenn ich meine Ohren zu einem solchen Vorschlage auch nur einen Augenblick leihen kön- te! Solte ich verursachen, daß die Tage einer solchen Mutter bis auf den letzten Augenblick unglücklich gemacht und wol noch dazu abgekürtzt würden? Adeln Sie sich/ mein allerliebstes Hertz: wie würde eine solche That Sie herun- ter setzen, dabey die Ubereilung öffentlich und in aller Augen fallend und die Ursache, die Sie ent- schuldigen könnte, verborgen wäre? Jch will mich hiebey nicht länger aufhalten, und zwar um Jh- rer selbst willen.
Jch komme auf den zweyten Vorschlag mich in den Schutz des Lord M. und seiner Schwestern zu begeben: und ich gestehe Jh-
nen,
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der Clariſſa.
Jch komme wieder auf die Sache, die ich mir keine Viertheilſtunde lang aus dem Sinne ſchla- gen kan: inſonderheit, weil Sie mir durch den dreyfachen Vorſchlag, den Sie mir in Jhrem letzten Briefe thun, einen neuen Beruf geben, dieſer Sache nachzudencken.
Was den erſten anlanget, da Sie mir nehm- lich rathen nach London zu fliehen: ſo ſetzt mich der andere damit verbundene Vorſchlag in das aͤuſſerſte Schrecken. Sie, mein Kind, leben ſo gluͤcklich und vergnuͤgt, und ihre Frau Mut- ter begegnet Jhnen ſo guͤtig: daß ich das, was Sie ſchreiben, kaum fuͤr Jhre wahre Meinung halten kan. Wie gottlos und verrucht muͤßte ich ſeyn, wenn ich meine Ohren zu einem ſolchen Vorſchlage auch nur einen Augenblick leihen koͤn- te! Solte ich verurſachen, daß die Tage einer ſolchen Mutter bis auf den letzten Augenblick ungluͤcklich gemacht und wol noch dazu abgekuͤrtzt wuͤrden? Adeln Sie ſich/ mein allerliebſtes Hertz: wie wuͤrde eine ſolche That Sie herun- ter ſetzen, dabey die Ubereilung oͤffentlich und in aller Augen fallend und die Urſache, die Sie ent- ſchuldigen koͤnnte, verborgen waͤre? Jch will mich hiebey nicht laͤnger aufhalten, und zwar um Jh- rer ſelbſt willen.
Jch komme auf den zweyten Vorſchlag mich in den Schutz des Lord M. und ſeiner Schweſtern zu begeben: und ich geſtehe Jh-
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[395[405]/0411]
der Clariſſa.
Jch komme wieder auf die Sache, die ich mir
keine Viertheilſtunde lang aus dem Sinne ſchla-
gen kan: inſonderheit, weil Sie mir durch den
dreyfachen Vorſchlag, den Sie mir in Jhrem
letzten Briefe thun, einen neuen Beruf geben,
dieſer Sache nachzudencken.
Was den erſten anlanget, da Sie mir nehm-
lich rathen nach London zu fliehen: ſo ſetzt
mich der andere damit verbundene Vorſchlag in
das aͤuſſerſte Schrecken. Sie, mein Kind, leben
ſo gluͤcklich und vergnuͤgt, und ihre Frau Mut-
ter begegnet Jhnen ſo guͤtig: daß ich das, was
Sie ſchreiben, kaum fuͤr Jhre wahre Meinung
halten kan. Wie gottlos und verrucht muͤßte
ich ſeyn, wenn ich meine Ohren zu einem ſolchen
Vorſchlage auch nur einen Augenblick leihen koͤn-
te! Solte ich verurſachen, daß die Tage einer
ſolchen Mutter bis auf den letzten Augenblick
ungluͤcklich gemacht und wol noch dazu abgekuͤrtzt
wuͤrden? Adeln Sie ſich/ mein allerliebſtes
Hertz: wie wuͤrde eine ſolche That Sie herun-
ter ſetzen, dabey die Ubereilung oͤffentlich und in
aller Augen fallend und die Urſache, die Sie ent-
ſchuldigen koͤnnte, verborgen waͤre? Jch will mich
hiebey nicht laͤnger aufhalten, und zwar um Jh-
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Jch komme auf den zweyten Vorſchlag mich
in den Schutz des Lord M. und ſeiner
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 395[405]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/411>, abgerufen am 25.11.2024.
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