ter glaubt, ihr Bruder sey zu hart mit ihnen ver- fahren. Sie verlanget deswegen, daß ich ver- suchen soll, was durch Gelindigkeit bey einem so wohlgeartheten Gemüth, als das ihrige unserer Meinung nach ist, auszurichten stehe.
Jch muß mich unterfangen zu sagen, daß nichts auszurichten stehet, wenn ihre Absicht noch auf das gerichtet bleibt, was dieser Herr anzubringen hat.
Sie sahe meinen Onckle an, der sich auf die Lippen biß, und Herrn Solmesen/ der sich die Backen rieb. Sie schüttelte den Kopf, und sag- te endlich: Gut! mein liebes Kind, seyn sie nur ruhig. Beantworten sie mir nur die Frage, ob sie glauben, daß wir mehr würden ausgerich- tet haben, wenn gelinder mit ihnen verfahren wäre, als ihrer Meinung nach geschehen ist?
Nein! zum Vortheil dieses Herrn würden sie nicht mehr ausgerichtet haben. Sie wissen, und mein Onckle weiß auch, daß ich immer den Ruhm der Aufrichtigkeit und Wahrheit gesucht habe. Es ist auch eine Zeit gewesen, da man diese Ei- genschafften an mir erkannt hat.
Mein Onckle nahm Herrn Solmes auf die Seite. Jch hörte ihn die Worte flistern: sie muß, sie soll dennoch die ihrige werden. Wir wollen sehen wer gewinnet? Eltern und Onckels? oder meines Bruders Kind? Jch hoffe es noch zu erleben, daß alles dieses überstanden seyn wird, und daß mancher artige Spaaß über die Thor- heiten vorfallen soll.
Jch
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der Clariſſa.
ter glaubt, ihr Bruder ſey zu hart mit ihnen ver- fahren. Sie verlanget deswegen, daß ich ver- ſuchen ſoll, was durch Gelindigkeit bey einem ſo wohlgeartheten Gemuͤth, als das ihrige unſerer Meinung nach iſt, auszurichten ſtehe.
Jch muß mich unterfangen zu ſagen, daß nichts auszurichten ſtehet, wenn ihre Abſicht noch auf das gerichtet bleibt, was dieſer Herr anzubringen hat.
Sie ſahe meinen Onckle an, der ſich auf die Lippen biß, und Herrn Solmeſen/ der ſich die Backen rieb. Sie ſchuͤttelte den Kopf, und ſag- te endlich: Gut! mein liebes Kind, ſeyn ſie nur ruhig. Beantworten ſie mir nur die Frage, ob ſie glauben, daß wir mehr wuͤrden ausgerich- tet haben, wenn gelinder mit ihnen verfahren waͤre, als ihrer Meinung nach geſchehen iſt?
Nein! zum Vortheil dieſes Herrn wuͤrden ſie nicht mehr ausgerichtet haben. Sie wiſſen, und mein Onckle weiß auch, daß ich immer den Ruhm der Aufrichtigkeit und Wahrheit geſucht habe. Es iſt auch eine Zeit geweſen, da man dieſe Ei- genſchafften an mir erkannt hat.
Mein Onckle nahm Herrn Solmes auf die Seite. Jch hoͤrte ihn die Worte fliſtern: ſie muß, ſie ſoll dennoch die ihrige werden. Wir wollen ſehen wer gewinnet? Eltern und Onckels? oder meines Bruders Kind? Jch hoffe es noch zu erleben, daß alles dieſes uͤberſtanden ſeyn wird, und daß mancher artige Spaaß uͤber die Thor- heiten vorfallen ſoll.
Jch
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der Clariſſa.
ter glaubt, ihr Bruder ſey zu hart mit ihnen ver-
fahren. Sie verlanget deswegen, daß ich ver-
ſuchen ſoll, was durch Gelindigkeit bey einem ſo
wohlgeartheten Gemuͤth, als das ihrige unſerer
Meinung nach iſt, auszurichten ſtehe.
Jch muß mich unterfangen zu ſagen, daß
nichts auszurichten ſtehet, wenn ihre Abſicht
noch auf das gerichtet bleibt, was dieſer Herr
anzubringen hat.
Sie ſahe meinen Onckle an, der ſich auf die
Lippen biß, und Herrn Solmeſen/ der ſich die
Backen rieb. Sie ſchuͤttelte den Kopf, und ſag-
te endlich: Gut! mein liebes Kind, ſeyn ſie nur
ruhig. Beantworten ſie mir nur die Frage,
ob ſie glauben, daß wir mehr wuͤrden ausgerich-
tet haben, wenn gelinder mit ihnen verfahren
waͤre, als ihrer Meinung nach geſchehen iſt?
Nein! zum Vortheil dieſes Herrn wuͤrden ſie
nicht mehr ausgerichtet haben. Sie wiſſen, und
mein Onckle weiß auch, daß ich immer den Ruhm
der Aufrichtigkeit und Wahrheit geſucht habe.
Es iſt auch eine Zeit geweſen, da man dieſe Ei-
genſchafften an mir erkannt hat.
Mein Onckle nahm Herrn Solmes auf die
Seite. Jch hoͤrte ihn die Worte fliſtern: ſie
muß, ſie ſoll dennoch die ihrige werden. Wir
wollen ſehen wer gewinnet? Eltern und Onckels?
oder meines Bruders Kind? Jch hoffe es noch
zu erleben, daß alles dieſes uͤberſtanden ſeyn wird,
und daß mancher artige Spaaß uͤber die Thor-
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Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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