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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
meine Empfehlung, und sage sie ihr, daß ich ihr
aufzuwarten wünschte.

Jst das nicht ein gottloses Mensch! Jch zit-
terte so, daß ich kaum stehen konnte. Jch war
aber doch noch so höhnisch, daß ich sagte: ich
glaubte, ihre Fräulein hätte ihr befohlen, sol-
che wunderliche Geberden anzunehmen, damit
sie mich mehr verunruhigen und ausser Stand
setzen möchte, durch eine bedächtliche Aufführung
meinen Onckle zum Mitleiden zu bewegen.

Wie stellen sie sich an, Fräulein? sagte das
unverschämte Mädchen. Kommen sie doch (sie
nahm meinen Fechtel, den ich eben hingelegt hat-
te, und brachte ihn mir) soll ich - -

Nichts von solcher unverschämten dreisten Auf-
führung! Allein sagt mir, sind alle meine Ver-
wanten drunten? Soll ich vor ihnen allen er-
scheinen?

Jch weiß nicht, antwortete sie, ob sie bleiben
werden, wenn sie kommen. Es kam mir vor,
als wollten sie aufstehen, da mir Herr Solmes
das Compliment auftrug. Aber was soll ich
dem Juncker für Antwort bringen?

Sagt, ich könnte nicht kommen. - - Doch,
wenn es einmahl überstanden ist, so ist es über-
standen! Sagt, ich würde meine Aufwartung
machen: ich wollte gleich herunter kommen.
Sagt nur, was ihr wollt: ich frage nichts dar-
nach. Gebt mir aber meinen Fechtel, und hohlt
mir ein Glas Wasser.

Sie ging weg, und ich wehete immer mit dem

Fech-

Die Geſchichte
meine Empfehlung, und ſage ſie ihr, daß ich ihr
aufzuwarten wuͤnſchte.

Jſt das nicht ein gottloſes Menſch! Jch zit-
terte ſo, daß ich kaum ſtehen konnte. Jch war
aber doch noch ſo hoͤhniſch, daß ich ſagte: ich
glaubte, ihre Fraͤulein haͤtte ihr befohlen, ſol-
che wunderliche Geberden anzunehmen, damit
ſie mich mehr verunruhigen und auſſer Stand
ſetzen moͤchte, durch eine bedaͤchtliche Auffuͤhrung
meinen Onckle zum Mitleiden zu bewegen.

Wie ſtellen ſie ſich an, Fraͤulein? ſagte das
unverſchaͤmte Maͤdchen. Kommen ſie doch (ſie
nahm meinen Fechtel, den ich eben hingelegt hat-
te, und brachte ihn mir) ſoll ich ‒ ‒

Nichts von ſolcher unverſchaͤmten dreiſten Auf-
fuͤhrung! Allein ſagt mir, ſind alle meine Ver-
wanten drunten? Soll ich vor ihnen allen er-
ſcheinen?

Jch weiß nicht, antwortete ſie, ob ſie bleiben
werden, wenn ſie kommen. Es kam mir vor,
als wollten ſie aufſtehen, da mir Herr Solmes
das Compliment auftrug. Aber was ſoll ich
dem Juncker fuͤr Antwort bringen?

Sagt, ich koͤnnte nicht kommen. ‒ ‒ Doch,
wenn es einmahl uͤberſtanden iſt, ſo iſt es uͤber-
ſtanden! Sagt, ich wuͤrde meine Aufwartung
machen: ich wollte gleich herunter kommen.
Sagt nur, was ihr wollt: ich frage nichts dar-
nach. Gebt mir aber meinen Fechtel, und hohlt
mir ein Glas Waſſer.

Sie ging weg, und ich wehete immer mit dem

Fech-
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[306/0312] Die Geſchichte meine Empfehlung, und ſage ſie ihr, daß ich ihr aufzuwarten wuͤnſchte. Jſt das nicht ein gottloſes Menſch! Jch zit- terte ſo, daß ich kaum ſtehen konnte. Jch war aber doch noch ſo hoͤhniſch, daß ich ſagte: ich glaubte, ihre Fraͤulein haͤtte ihr befohlen, ſol- che wunderliche Geberden anzunehmen, damit ſie mich mehr verunruhigen und auſſer Stand ſetzen moͤchte, durch eine bedaͤchtliche Auffuͤhrung meinen Onckle zum Mitleiden zu bewegen. Wie ſtellen ſie ſich an, Fraͤulein? ſagte das unverſchaͤmte Maͤdchen. Kommen ſie doch (ſie nahm meinen Fechtel, den ich eben hingelegt hat- te, und brachte ihn mir) ſoll ich ‒ ‒ Nichts von ſolcher unverſchaͤmten dreiſten Auf- fuͤhrung! Allein ſagt mir, ſind alle meine Ver- wanten drunten? Soll ich vor ihnen allen er- ſcheinen? Jch weiß nicht, antwortete ſie, ob ſie bleiben werden, wenn ſie kommen. Es kam mir vor, als wollten ſie aufſtehen, da mir Herr Solmes das Compliment auftrug. Aber was ſoll ich dem Juncker fuͤr Antwort bringen? Sagt, ich koͤnnte nicht kommen. ‒ ‒ Doch, wenn es einmahl uͤberſtanden iſt, ſo iſt es uͤber- ſtanden! Sagt, ich wuͤrde meine Aufwartung machen: ich wollte gleich herunter kommen. Sagt nur, was ihr wollt: ich frage nichts dar- nach. Gebt mir aber meinen Fechtel, und hohlt mir ein Glas Waſſer. Sie ging weg, und ich wehete immer mit dem Fech-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/312>, abgerufen am 25.11.2024.