Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
Gange, in dem ich mich befand, mit geschlosse-
nen Händen als ein paar verliebte Leute entge-
gen.

Eur Diener! - - Eure Dienerin! wa-
ren die Worte, die zwischen mir und meinem
Bruder vorfielen.

Meine Schwester stand stille, und sagte mit
einer ungewöhnlichen Freundlichkeit: seyd ihr
nicht ein wenig kaltsinniger/ als sonst/
Clärchen?
Jch stand auch stille, neigete mich,
und sagte: ich hoffe es nicht/ meine liebe
Schwester.

Sie ging weiter fort. Jch neigete mich, oh-
ne daß sie es erwiderte, und ging nach meinem
Hüner-Hofe.

Es währete nicht lange, so fand ich beyde wie-
der vor mir. Sie hatten sich einander umar-
met, und waren einen kürtzern Weg gegangen.

Mein Bruder sagte: Clärchen/ ihr müßt
mir etwas von eurem Feder-Vieh schen-
cken/ daß ich es nach Schottland schi-
cken kan.

Wie ihr befehlt: sagte ich.

Meine Schwester sagte: ich will für Euch
aussuchen.
Als ich das Feder-Vieh fütterte,
suchten sie ein halbes Dutzend aus. Es schien a-
ber, daß ihre eintzige Absicht dabey war, mir zu
zeigen, wie lieb sie einander hätten.

So bald nach der gemeinen Redens-Art der
Gottesdienst zu Ende war, erzeigten mir meine
beyden Onckles die Ehre, sich bey mir durch Eli-

sa-

Die Geſchichte
Gange, in dem ich mich befand, mit geſchloſſe-
nen Haͤnden als ein paar verliebte Leute entge-
gen.

Eur Diener! ‒ ‒ Eure Dienerin! wa-
ren die Worte, die zwiſchen mir und meinem
Bruder vorfielen.

Meine Schweſter ſtand ſtille, und ſagte mit
einer ungewoͤhnlichen Freundlichkeit: ſeyd ihr
nicht ein wenig kaltſinniger/ als ſonſt/
Claͤrchen?
Jch ſtand auch ſtille, neigete mich,
und ſagte: ich hoffe es nicht/ meine liebe
Schweſter.

Sie ging weiter fort. Jch neigete mich, oh-
ne daß ſie es erwiderte, und ging nach meinem
Huͤner-Hofe.

Es waͤhrete nicht lange, ſo fand ich beyde wie-
der vor mir. Sie hatten ſich einander umar-
met, und waren einen kuͤrtzern Weg gegangen.

Mein Bruder ſagte: Claͤrchen/ ihr muͤßt
mir etwas von eurem Feder-Vieh ſchen-
cken/ daß ich es nach Schottland ſchi-
cken kan.

Wie ihr befehlt: ſagte ich.

Meine Schweſter ſagte: ich will fuͤr Euch
ausſuchen.
Als ich das Feder-Vieh fuͤtterte,
ſuchten ſie ein halbes Dutzend aus. Es ſchien a-
ber, daß ihre eintzige Abſicht dabey war, mir zu
zeigen, wie lieb ſie einander haͤtten.

So bald nach der gemeinen Redens-Art der
Gottesdienſt zu Ende war, erzeigten mir meine
beyden Onckles die Ehre, ſich bey mir durch Eli-

ſa-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0284" n="278"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
Gange, in dem ich mich befand, mit ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
nen Ha&#x0364;nden als ein paar verliebte Leute entge-<lb/>
gen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Eur Diener! &#x2012; &#x2012; Eure Dienerin!</hi> wa-<lb/>
ren die Worte, die zwi&#x017F;chen mir und meinem<lb/>
Bruder vorfielen.</p><lb/>
          <p>Meine Schwe&#x017F;ter &#x017F;tand &#x017F;tille, und &#x017F;agte mit<lb/>
einer ungewo&#x0364;hnlichen Freundlichkeit: <hi rendition="#fr">&#x017F;eyd ihr<lb/>
nicht ein wenig kalt&#x017F;inniger/ als &#x017F;on&#x017F;t/<lb/>
Cla&#x0364;rchen?</hi> Jch &#x017F;tand auch &#x017F;tille, neigete mich,<lb/>
und &#x017F;agte: <hi rendition="#fr">ich hoffe es nicht/ meine liebe<lb/>
Schwe&#x017F;ter.</hi></p><lb/>
          <p>Sie ging weiter fort. Jch neigete mich, oh-<lb/>
ne daß &#x017F;ie es erwiderte, und ging nach meinem<lb/>
Hu&#x0364;ner-Hofe.</p><lb/>
          <p>Es wa&#x0364;hrete nicht lange, &#x017F;o fand ich beyde wie-<lb/>
der vor mir. Sie hatten &#x017F;ich einander umar-<lb/>
met, und waren einen ku&#x0364;rtzern Weg gegangen.</p><lb/>
          <p>Mein Bruder &#x017F;agte: <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen/ ihr mu&#x0364;ßt<lb/>
mir etwas von eurem Feder-Vieh &#x017F;chen-<lb/>
cken/ daß ich es nach Schottland &#x017F;chi-<lb/>
cken kan.</hi></p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Wie ihr befehlt:</hi> &#x017F;agte ich.</p><lb/>
          <p>Meine Schwe&#x017F;ter &#x017F;agte: <hi rendition="#fr">ich will fu&#x0364;r Euch<lb/>
aus&#x017F;uchen.</hi> Als ich das Feder-Vieh fu&#x0364;tterte,<lb/>
&#x017F;uchten &#x017F;ie ein halbes Dutzend aus. Es &#x017F;chien a-<lb/>
ber, daß ihre eintzige Ab&#x017F;icht dabey war, mir zu<lb/>
zeigen, wie lieb &#x017F;ie einander ha&#x0364;tten.</p><lb/>
          <p>So bald nach der gemeinen Redens-Art der<lb/>
Gottesdien&#x017F;t zu Ende war, erzeigten mir meine<lb/>
beyden Onckles die Ehre, &#x017F;ich bey mir durch Eli-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;a-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0284] Die Geſchichte Gange, in dem ich mich befand, mit geſchloſſe- nen Haͤnden als ein paar verliebte Leute entge- gen. Eur Diener! ‒ ‒ Eure Dienerin! wa- ren die Worte, die zwiſchen mir und meinem Bruder vorfielen. Meine Schweſter ſtand ſtille, und ſagte mit einer ungewoͤhnlichen Freundlichkeit: ſeyd ihr nicht ein wenig kaltſinniger/ als ſonſt/ Claͤrchen? Jch ſtand auch ſtille, neigete mich, und ſagte: ich hoffe es nicht/ meine liebe Schweſter. Sie ging weiter fort. Jch neigete mich, oh- ne daß ſie es erwiderte, und ging nach meinem Huͤner-Hofe. Es waͤhrete nicht lange, ſo fand ich beyde wie- der vor mir. Sie hatten ſich einander umar- met, und waren einen kuͤrtzern Weg gegangen. Mein Bruder ſagte: Claͤrchen/ ihr muͤßt mir etwas von eurem Feder-Vieh ſchen- cken/ daß ich es nach Schottland ſchi- cken kan. Wie ihr befehlt: ſagte ich. Meine Schweſter ſagte: ich will fuͤr Euch ausſuchen. Als ich das Feder-Vieh fuͤtterte, ſuchten ſie ein halbes Dutzend aus. Es ſchien a- ber, daß ihre eintzige Abſicht dabey war, mir zu zeigen, wie lieb ſie einander haͤtten. So bald nach der gemeinen Redens-Art der Gottesdienſt zu Ende war, erzeigten mir meine beyden Onckles die Ehre, ſich bey mir durch Eli- ſa-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/284
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/284>, abgerufen am 25.11.2024.