sollte mir leid seyn, wenn ich an seiner Unpäß- lichkeit Schuld hätte; und ich glaube gern, daß die Ungewißheit, in der er bisher gewesen ist, ei- nem so muntern Geiste sehr unerträglich hat seyn müssen. Allein er ist selbst an allem Schuld, wenn ich auf die ersten Ursachen zurück gehe.
Jn der Hoffnung, daß ich ihm vergeben wer- de, ist er voller Anschläge, mich zu retten, damit ich nicht möge gezwungen werden, Solmes zu nehmen.
Jch habe immer gesagt, daß es der nächste Schritt zur Vesserung ist, wenn man seine Feh- ler erkennet; denn es ist keine Besserung zu hof- fen, so lange man sein Vergehen noch verthei- diget. Allein in diesem Brieffe werden Sie selbst in seiner Demuth etwas hochmüthiges fin- den. Es ist wahr, ich finde keinen Ausdruck, den ich tadeln könnte: und dennoch kan ich nicht überzeuget werden, daß seine Demuth Demuth sey, wenigstens eine solche Demuth als aus ei- ner wahren Reue, darüber ich mich freuen könn- te, entstehet.
Er ist warlich kein höflicher und belebter Mann! allein es ist doch auch die Unhöflichkeit nicht sein herrschender Fehler. Er hat eine gantz sonderbahre Art von Höflichkeit, in der Kindheit mag er zu vielen Willen und bey reiffern Jah- ren zu viel Glück gehabt haben, daraus ist eine gewisse Nachläßigkeit in der Aufführung ent- standen: und da der Hochmuth dazu gekommen ist, so ist er auf eine solche Art zuversichtlich
und
Die Geſchichte
ſollte mir leid ſeyn, wenn ich an ſeiner Unpaͤß- lichkeit Schuld haͤtte; und ich glaube gern, daß die Ungewißheit, in der er bisher geweſen iſt, ei- nem ſo muntern Geiſte ſehr unertraͤglich hat ſeyn muͤſſen. Allein er iſt ſelbſt an allem Schuld, wenn ich auf die erſten Urſachen zuruͤck gehe.
Jn der Hoffnung, daß ich ihm vergeben wer- de, iſt er voller Anſchlaͤge, mich zu retten, damit ich nicht moͤge gezwungen werden, Solmes zu nehmen.
Jch habe immer geſagt, daß es der naͤchſte Schritt zur Veſſerung iſt, wenn man ſeine Feh- ler erkennet; denn es iſt keine Beſſerung zu hof- fen, ſo lange man ſein Vergehen noch verthei- diget. Allein in dieſem Brieffe werden Sie ſelbſt in ſeiner Demuth etwas hochmuͤthiges fin- den. Es iſt wahr, ich finde keinen Ausdruck, den ich tadeln koͤnnte: und dennoch kan ich nicht uͤberzeuget werden, daß ſeine Demuth Demuth ſey, wenigſtens eine ſolche Demuth als aus ei- ner wahren Reue, daruͤber ich mich freuen koͤnn- te, entſtehet.
Er iſt warlich kein hoͤflicher und belebter Mann! allein es iſt doch auch die Unhoͤflichkeit nicht ſein herrſchender Fehler. Er hat eine gantz ſonderbahre Art von Hoͤflichkeit, in der Kindheit mag er zu vielen Willen und bey reiffern Jah- ren zu viel Gluͤck gehabt haben, daraus iſt eine gewiſſe Nachlaͤßigkeit in der Auffuͤhrung ent- ſtanden: und da der Hochmuth dazu gekommen iſt, ſo iſt er auf eine ſolche Art zuverſichtlich
und
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Die Geſchichte
ſollte mir leid ſeyn, wenn ich an ſeiner Unpaͤß-
lichkeit Schuld haͤtte; und ich glaube gern, daß
die Ungewißheit, in der er bisher geweſen iſt, ei-
nem ſo muntern Geiſte ſehr unertraͤglich hat ſeyn
muͤſſen. Allein er iſt ſelbſt an allem Schuld,
wenn ich auf die erſten Urſachen zuruͤck gehe.
Jn der Hoffnung, daß ich ihm vergeben wer-
de, iſt er voller Anſchlaͤge, mich zu retten, damit
ich nicht moͤge gezwungen werden, Solmes zu
nehmen.
Jch habe immer geſagt, daß es der naͤchſte
Schritt zur Veſſerung iſt, wenn man ſeine Feh-
ler erkennet; denn es iſt keine Beſſerung zu hof-
fen, ſo lange man ſein Vergehen noch verthei-
diget. Allein in dieſem Brieffe werden Sie
ſelbſt in ſeiner Demuth etwas hochmuͤthiges fin-
den. Es iſt wahr, ich finde keinen Ausdruck,
den ich tadeln koͤnnte: und dennoch kan ich nicht
uͤberzeuget werden, daß ſeine Demuth Demuth
ſey, wenigſtens eine ſolche Demuth als aus ei-
ner wahren Reue, daruͤber ich mich freuen koͤnn-
te, entſtehet.
Er iſt warlich kein hoͤflicher und belebter
Mann! allein es iſt doch auch die Unhoͤflichkeit
nicht ſein herrſchender Fehler. Er hat eine gantz
ſonderbahre Art von Hoͤflichkeit, in der Kindheit
mag er zu vielen Willen und bey reiffern Jah-
ren zu viel Gluͤck gehabt haben, daraus iſt eine
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und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/266>, abgerufen am 22.11.2024.
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