Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
lich zu halten, und nie so angekleidet zu seyn,
daß wir uns schämen müßten, wenn uns jemand
überfiele. Jnsonderheit ist es gut, im Unglück
alle löbliche Gewohnheiten beyzubehalten, damit
man nicht durch die Versuchung verschlimmert
zu seyn scheine, wenn das Glück uns wieder
günstiger wird.

Zeiget es nicht auch ein standhaftes Gemüth
an, wenn man im Unglück doch die Hoffnung
nicht fahren läßt? Auf bessere Zeiten hoffen, ist
beynahe schon so viel als bessere Zeiten verdie-
nen: denn wir würden nicht hoffen können, wenn
wir nicht den Vorsatz hätten, uns des gehoffeten
Guten würdig zu machen. Wer will sich des-
sen annehmen, der sich selbst verlohren giebt?
Dieses sind die Betrachtungen, dadurch ich mich
zuweilen aufzurichten suche.

Jch weiß, daß Jhnen meine Ernsthaftigkeit
nicht verächtlich ist, ob Sie gleich dann und
wann darüber spotten, um mein Gemüth durch
Jhren artigen Schertz aufzuheitern. Es hat
nicht jedermann die Gabe, von ernsthaften Sa-
chen so glücklich zu reden, daß er zuglcich lehret
und vergnüget.

Auf wie viel Räncke verfällt man nicht in
jungen Jahren, wenn unser Hertz nicht durch
Gütigkeit und Herablassung gewonnen wird!
Meine Freunde sind bisher nicht so gut mit mir
umgegangen, als ich mit ihren Bedienten umzu-
gehen pflegte.

So lange ich die Haushaltung führte, hielt

ich

der Clariſſa.
lich zu halten, und nie ſo angekleidet zu ſeyn,
daß wir uns ſchaͤmen muͤßten, wenn uns jemand
uͤberfiele. Jnſonderheit iſt es gut, im Ungluͤck
alle loͤbliche Gewohnheiten beyzubehalten, damit
man nicht durch die Verſuchung verſchlimmert
zu ſeyn ſcheine, wenn das Gluͤck uns wieder
guͤnſtiger wird.

Zeiget es nicht auch ein ſtandhaftes Gemuͤth
an, wenn man im Ungluͤck doch die Hoffnung
nicht fahren laͤßt? Auf beſſere Zeiten hoffen, iſt
beynahe ſchon ſo viel als beſſere Zeiten verdie-
nen: denn wir wuͤrden nicht hoffen koͤnnen, wenn
wir nicht den Vorſatz haͤtten, uns des gehoffeten
Guten wuͤrdig zu machen. Wer will ſich deſ-
ſen annehmen, der ſich ſelbſt verlohren giebt?
Dieſes ſind die Betrachtungen, dadurch ich mich
zuweilen aufzurichten ſuche.

Jch weiß, daß Jhnen meine Ernſthaftigkeit
nicht veraͤchtlich iſt, ob Sie gleich dann und
wann daruͤber ſpotten, um mein Gemuͤth durch
Jhren artigen Schertz aufzuheitern. Es hat
nicht jedermann die Gabe, von ernſthaften Sa-
chen ſo gluͤcklich zu reden, daß er zuglcich lehret
und vergnuͤget.

Auf wie viel Raͤncke verfaͤllt man nicht in
jungen Jahren, wenn unſer Hertz nicht durch
Guͤtigkeit und Herablaſſung gewonnen wird!
Meine Freunde ſind bisher nicht ſo gut mit mir
umgegangen, als ich mit ihren Bedienten umzu-
gehen pflegte.

So lange ich die Haushaltung fuͤhrte, hielt

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="239"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi></fw><lb/>
lich zu halten, und nie &#x017F;o angekleidet zu &#x017F;eyn,<lb/>
daß wir uns &#x017F;cha&#x0364;men mu&#x0364;ßten, wenn uns jemand<lb/>
u&#x0364;berfiele. Jn&#x017F;onderheit i&#x017F;t es gut, im Unglu&#x0364;ck<lb/>
alle lo&#x0364;bliche Gewohnheiten beyzubehalten, damit<lb/>
man nicht durch die Ver&#x017F;uchung ver&#x017F;chlimmert<lb/>
zu &#x017F;eyn &#x017F;cheine, wenn das Glu&#x0364;ck uns wieder<lb/>
gu&#x0364;n&#x017F;tiger wird.</p><lb/>
          <p>Zeiget es nicht auch ein &#x017F;tandhaftes Gemu&#x0364;th<lb/>
an, wenn man im Unglu&#x0364;ck doch die Hoffnung<lb/>
nicht fahren la&#x0364;ßt? Auf be&#x017F;&#x017F;ere Zeiten hoffen, i&#x017F;t<lb/>
beynahe &#x017F;chon &#x017F;o viel als be&#x017F;&#x017F;ere Zeiten verdie-<lb/>
nen: denn wir wu&#x0364;rden nicht hoffen ko&#x0364;nnen, wenn<lb/>
wir nicht den Vor&#x017F;atz ha&#x0364;tten, uns des gehoffeten<lb/>
Guten wu&#x0364;rdig zu machen. Wer will &#x017F;ich de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en annehmen, der &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verlohren giebt?<lb/>
Die&#x017F;es &#x017F;ind die Betrachtungen, dadurch ich mich<lb/>
zuweilen aufzurichten &#x017F;uche.</p><lb/>
          <p>Jch weiß, daß Jhnen meine Ern&#x017F;thaftigkeit<lb/>
nicht vera&#x0364;chtlich i&#x017F;t, ob Sie gleich dann und<lb/>
wann daru&#x0364;ber &#x017F;potten, um mein Gemu&#x0364;th durch<lb/>
Jhren artigen Schertz aufzuheitern. Es hat<lb/>
nicht jedermann die Gabe, von ern&#x017F;thaften Sa-<lb/>
chen &#x017F;o glu&#x0364;cklich zu reden, daß er zuglcich lehret<lb/>
und vergnu&#x0364;get.</p><lb/>
          <p>Auf wie viel Ra&#x0364;ncke verfa&#x0364;llt man nicht in<lb/>
jungen Jahren, wenn un&#x017F;er Hertz nicht durch<lb/>
Gu&#x0364;tigkeit und Herabla&#x017F;&#x017F;ung gewonnen wird!<lb/>
Meine Freunde &#x017F;ind bisher nicht &#x017F;o gut mit mir<lb/>
umgegangen, als ich mit ihren Bedienten umzu-<lb/>
gehen pflegte.</p><lb/>
          <p>So lange ich die Haushaltung fu&#x0364;hrte, hielt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0245] der Clariſſa. lich zu halten, und nie ſo angekleidet zu ſeyn, daß wir uns ſchaͤmen muͤßten, wenn uns jemand uͤberfiele. Jnſonderheit iſt es gut, im Ungluͤck alle loͤbliche Gewohnheiten beyzubehalten, damit man nicht durch die Verſuchung verſchlimmert zu ſeyn ſcheine, wenn das Gluͤck uns wieder guͤnſtiger wird. Zeiget es nicht auch ein ſtandhaftes Gemuͤth an, wenn man im Ungluͤck doch die Hoffnung nicht fahren laͤßt? Auf beſſere Zeiten hoffen, iſt beynahe ſchon ſo viel als beſſere Zeiten verdie- nen: denn wir wuͤrden nicht hoffen koͤnnen, wenn wir nicht den Vorſatz haͤtten, uns des gehoffeten Guten wuͤrdig zu machen. Wer will ſich deſ- ſen annehmen, der ſich ſelbſt verlohren giebt? Dieſes ſind die Betrachtungen, dadurch ich mich zuweilen aufzurichten ſuche. Jch weiß, daß Jhnen meine Ernſthaftigkeit nicht veraͤchtlich iſt, ob Sie gleich dann und wann daruͤber ſpotten, um mein Gemuͤth durch Jhren artigen Schertz aufzuheitern. Es hat nicht jedermann die Gabe, von ernſthaften Sa- chen ſo gluͤcklich zu reden, daß er zuglcich lehret und vergnuͤget. Auf wie viel Raͤncke verfaͤllt man nicht in jungen Jahren, wenn unſer Hertz nicht durch Guͤtigkeit und Herablaſſung gewonnen wird! Meine Freunde ſind bisher nicht ſo gut mit mir umgegangen, als ich mit ihren Bedienten umzu- gehen pflegte. So lange ich die Haushaltung fuͤhrte, hielt ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/245
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/245>, abgerufen am 24.11.2024.