und meine Leichtsinnigkeit ist mir jetzt nicht na- türlich, sondern etwas angenommenes. Mein Hertz theilet mit Jhnen aufrichtig allen Kum- mer, wie ich Jhnen schon sonst gemeldet habe, und die Sonne scheinet selten bey mir, und nur durch dicke Wolcken. Meine Augen, die Jh- nen so munter vorkommen, können sich der Thrä- nen kaum enthalten, selbst wenn ich das schreibe, wobey Sie mir eine übertriebene und allzu lustige Munterkeit zuschreiben.
Jnsonderheit aber scheinen mir jetzund die Grausamkeit und wunderliche Härte einiger un- ter Jhren Freunden (Anverwanten sollte es heissen! ich verschreibe mich immer) die eben so wunderbahre und unbewegliche Standhaftigkeit anderer; Jhr Streit mit Herrn Lovelace; Jh- re herannähernde Unterredung mit Solmes/ davor Sie sich mit Recht fürchten: alle diese Dinge, sage ich, scheinen mir in Jhren Umstän- den so wichtig, daß sie alle meine Aufmercksam- keit erfodern.
Sie fragen mich um Rath, wie Sie sich auf- führen sollen, wenn Herr Solmes Sie besuchen wird? Jch weiß keinen Rath zu geben, wenn es mir auch das Leben kosten solte. Gewiß die Jh- rigen müssen von diesem Besuch grosse Folgen erwarten, sonst hätten sie Jhnen keine so lange Frist zugestanden. Alles was ich sagen kan, ist dieses: wenn Herr Solmes jetzt nichts ausrich- tet, nachdem Sie von Herrn Lovelace so sehr beleidiget sind, so wird er nie etwas ausrichten.
Jch
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der Clariſſa.
und meine Leichtſinnigkeit iſt mir jetzt nicht na- tuͤrlich, ſondern etwas angenommenes. Mein Hertz theilet mit Jhnen aufrichtig allen Kum- mer, wie ich Jhnen ſchon ſonſt gemeldet habe, und die Sonne ſcheinet ſelten bey mir, und nur durch dicke Wolcken. Meine Augen, die Jh- nen ſo munter vorkommen, koͤnnen ſich der Thraͤ- nen kaum enthalten, ſelbſt wenn ich das ſchreibe, wobey Sie mir eine uͤbertriebene und allzu luſtige Munterkeit zuſchreiben.
Jnſonderheit aber ſcheinen mir jetzund die Grauſamkeit und wunderliche Haͤrte einiger un- ter Jhren Freunden (Anverwanten ſollte es heiſſen! ich verſchreibe mich immer) die eben ſo wunderbahre und unbewegliche Standhaftigkeit anderer; Jhr Streit mit Herrn Lovelace; Jh- re herannaͤhernde Unterredung mit Solmes/ davor Sie ſich mit Recht fuͤrchten: alle dieſe Dinge, ſage ich, ſcheinen mir in Jhren Umſtaͤn- den ſo wichtig, daß ſie alle meine Aufmerckſam- keit erfodern.
Sie fragen mich um Rath, wie Sie ſich auf- fuͤhren ſollen, wenn Herr Solmes Sie beſuchen wird? Jch weiß keinen Rath zu geben, wenn es mir auch das Leben koſten ſolte. Gewiß die Jh- rigen muͤſſen von dieſem Beſuch groſſe Folgen erwarten, ſonſt haͤtten ſie Jhnen keine ſo lange Friſt zugeſtanden. Alles was ich ſagen kan, iſt dieſes: wenn Herr Solmes jetzt nichts ausrich- tet, nachdem Sie von Herrn Lovelace ſo ſehr beleidiget ſind, ſo wird er nie etwas ausrichten.
Jch
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der Clariſſa.
und meine Leichtſinnigkeit iſt mir jetzt nicht na-
tuͤrlich, ſondern etwas angenommenes. Mein
Hertz theilet mit Jhnen aufrichtig allen Kum-
mer, wie ich Jhnen ſchon ſonſt gemeldet habe,
und die Sonne ſcheinet ſelten bey mir, und nur
durch dicke Wolcken. Meine Augen, die Jh-
nen ſo munter vorkommen, koͤnnen ſich der Thraͤ-
nen kaum enthalten, ſelbſt wenn ich das ſchreibe,
wobey Sie mir eine uͤbertriebene und allzu luſtige
Munterkeit zuſchreiben.
Jnſonderheit aber ſcheinen mir jetzund die
Grauſamkeit und wunderliche Haͤrte einiger un-
ter Jhren Freunden (Anverwanten ſollte es
heiſſen! ich verſchreibe mich immer) die eben ſo
wunderbahre und unbewegliche Standhaftigkeit
anderer; Jhr Streit mit Herrn Lovelace; Jh-
re herannaͤhernde Unterredung mit Solmes/
davor Sie ſich mit Recht fuͤrchten: alle dieſe
Dinge, ſage ich, ſcheinen mir in Jhren Umſtaͤn-
den ſo wichtig, daß ſie alle meine Aufmerckſam-
keit erfodern.
Sie fragen mich um Rath, wie Sie ſich auf-
fuͤhren ſollen, wenn Herr Solmes Sie beſuchen
wird? Jch weiß keinen Rath zu geben, wenn es
mir auch das Leben koſten ſolte. Gewiß die Jh-
rigen muͤſſen von dieſem Beſuch groſſe Folgen
erwarten, ſonſt haͤtten ſie Jhnen keine ſo lange
Friſt zugeſtanden. Alles was ich ſagen kan, iſt
dieſes: wenn Herr Solmes jetzt nichts ausrich-
tet, nachdem Sie von Herrn Lovelace ſo ſehr
beleidiget ſind, ſo wird er nie etwas ausrichten.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/235>, abgerufen am 16.02.2025.
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