sie zum voraus für sich so richtig urtheilen könten, als sie dereinst nach gemachter Probe, für ihre künftigen Töchter urtheilen werden.
Und doch kann ich ihn in Wahrheit nicht leiden; ich glaube nicht, daß ich ihn jemahls werde leiden können.
Es ist wunderlich, daß diese sittsamen Leute nie- mahls eine anständige Munterkeit und wohlgezo- gene Dreistigkeit mit jener guten Eigenschaft paa- ren: daß sie nichts angenehmes und fröliches an- nehmen können, welches von der Ehrfurcht nicht braucht getrennet zu werden, mit der sie billig das Hertz eines Frauenzimmers zu gewinnen suchen, und die nur die Grösse ihrer Ergebenheit, nicht aber die schaafmäßige Einfalt ihres Geistes verrathen soll. Denn wer weiß nicht, daß sich die Liebe alsdenn gefällt, wenn sie Löwen zähmen kan? Daß dasjenige Geschlecht, welches des eig. nen Mangels der Herzhaftigkeit sich am meisten bewust ist, natürlicher Weise den suche und vorziehe, der diese Eigenschaft in höhern Grad besitzt, und von dem es daher den meisten Schutz erwarten kann? und daß je feiger sie selbst sind (denn so würde man ihre Blödigkeit nennen, wenn sie sich bey Manns-Personen befände) sie sich desto mehr an allem vergnügen, was den Anschein des Helden- müthigen hat. Mann kann dieses so gar an ihren liebsten Büchern mercken, welche gemeiniglich von überstiegenen Schwürigkeiten handeln, oder von Schlachten, oder von Helden, die 4 bis 500 auf einmal überwunden haben. Je unglaubiger die
Sache
Die Geſchichte
ſie zum voraus fuͤr ſich ſo richtig urtheilen koͤnten, als ſie dereinſt nach gemachter Probe, fuͤr ihre kuͤnftigen Toͤchter urtheilen werden.
Und doch kann ich ihn in Wahrheit nicht leiden; ich glaube nicht, daß ich ihn jemahls werde leiden koͤnnen.
Es iſt wunderlich, daß dieſe ſittſamen Leute nie- mahls eine anſtaͤndige Munterkeit und wohlgezo- gene Dreiſtigkeit mit jener guten Eigenſchaft paa- ren: daß ſie nichts angenehmes und froͤliches an- nehmen koͤnnen, welches von der Ehrfurcht nicht braucht getrennet zu werden, mit der ſie billig das Hertz eines Frauenzimmers zu gewinnen ſuchen, und die nur die Groͤſſe ihrer Ergebenheit, nicht aber die ſchaafmaͤßige Einfalt ihres Geiſtes verrathen ſoll. Denn wer weiß nicht, daß ſich die Liebe alsdenn gefaͤllt, wenn ſie Loͤwen zaͤhmen kan? Daß dasjenige Geſchlecht, welches des eig. nen Mangels der Herzhaftigkeit ſich am meiſten bewuſt iſt, natuͤrlicher Weiſe den ſuche und vorziehe, der dieſe Eigenſchaft in hoͤhern Grad beſitzt, und von dem es daher den meiſten Schutz erwarten kann? und daß je feiger ſie ſelbſt ſind (denn ſo wuͤrde man ihre Bloͤdigkeit nennen, wenn ſie ſich bey Manns-Perſonen befaͤnde) ſie ſich deſto mehr an allem vergnuͤgen, was den Anſchein des Helden- muͤthigen hat. Mann kann dieſes ſo gar an ihren liebſten Buͤchern mercken, welche gemeiniglich von uͤberſtiegenen Schwuͤrigkeiten handeln, oder von Schlachten, oder von Helden, die 4 bis 500 auf einmal uͤberwunden haben. Je unglaubiger die
Sache
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Die Geſchichte
ſie zum voraus fuͤr ſich ſo richtig urtheilen koͤnten,
als ſie dereinſt nach gemachter Probe, fuͤr ihre
kuͤnftigen Toͤchter urtheilen werden.
Und doch kann ich ihn in Wahrheit nicht leiden;
ich glaube nicht, daß ich ihn jemahls werde leiden
koͤnnen.
Es iſt wunderlich, daß dieſe ſittſamen Leute nie-
mahls eine anſtaͤndige Munterkeit und wohlgezo-
gene Dreiſtigkeit mit jener guten Eigenſchaft paa-
ren: daß ſie nichts angenehmes und froͤliches an-
nehmen koͤnnen, welches von der Ehrfurcht nicht
braucht getrennet zu werden, mit der ſie billig das
Hertz eines Frauenzimmers zu gewinnen ſuchen,
und die nur die Groͤſſe ihrer Ergebenheit, nicht aber
die ſchaafmaͤßige Einfalt ihres Geiſtes verrathen
ſoll. Denn wer weiß nicht, daß ſich die Liebe
alsdenn gefaͤllt, wenn ſie Loͤwen zaͤhmen kan?
Daß dasjenige Geſchlecht, welches des eig. nen
Mangels der Herzhaftigkeit ſich am meiſten bewuſt
iſt, natuͤrlicher Weiſe den ſuche und vorziehe, der
dieſe Eigenſchaft in hoͤhern Grad beſitzt, und von
dem es daher den meiſten Schutz erwarten kann?
und daß je feiger ſie ſelbſt ſind (denn ſo wuͤrde
man ihre Bloͤdigkeit nennen, wenn ſie ſich bey
Manns-Perſonen befaͤnde) ſie ſich deſto mehr an
allem vergnuͤgen, was den Anſchein des Helden-
muͤthigen hat. Mann kann dieſes ſo gar an ihren
liebſten Buͤchern mercken, welche gemeiniglich von
uͤberſtiegenen Schwuͤrigkeiten handeln, oder von
Schlachten, oder von Helden, die 4 bis 500 auf
einmal uͤberwunden haben. Je unglaubiger die
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/16>, abgerufen am 24.11.2024.
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