ne Mutter hält das, was sie zu mir gesagt hat, für so wichtig, daß sie mir befiehlt, es Jhnen schriftlich zu melden. Jch folge desto williger, weil ich selbst in meinem vorigen Schreiben nicht wußte, wozu ich Jhnen rathen sollte. Sie werden diesesmahl wenigstens den Rath meiner Mutter hören; und vielleicht würden ihre Ge- dancken zugleich die Gedancken der Welt seyn, wenn diese von Jhren Umständen nicht alles, was mir bekannt ist, sondern so viel und nicht mehr wissen sollte als meine Mutter weiß.
Meine Mutter bringt hiebey solche Gründe an, die einem Frauenzimmer, das mit einem selbstgewählten Freyer glücklich und vergnügt zu leben hoft, schlechterdings allen Muth und Hof- nung benehmen.
Jch würde ihre Reden mehr zu Hertzen neh- men, wenn ich nicht wüßte, daß sie eine Neben- Absicht dabey hat, ihrer Tochter eine Ermah- nung zu geben, die zwar jetzund auf niemand an- ders eine Absicht hat, aber doch den Freyer, den ihre Mutter so sehr anpreiset, nicht zwey Pfen- nige werth schätzet.
Sie sagt: worüber wird denn so viel Lerms gemacht? Jst es eine so grosse Sache, daß ein junges Frauenzimmer ihren Neigungen zuwider handeln solte, um allen ihren Verwandten einen Gefallen zu thun?
Jch dachte dabey: es ist gut genug. Jetzt geht die Frage an, nachdem sie viertzig Jahr
sind.
Die Geſchichte
ne Mutter haͤlt das, was ſie zu mir geſagt hat, fuͤr ſo wichtig, daß ſie mir befiehlt, es Jhnen ſchriftlich zu melden. Jch folge deſto williger, weil ich ſelbſt in meinem vorigen Schreiben nicht wußte, wozu ich Jhnen rathen ſollte. Sie werden dieſesmahl wenigſtens den Rath meiner Mutter hoͤren; und vielleicht wuͤrden ihre Ge- dancken zugleich die Gedancken der Welt ſeyn, wenn dieſe von Jhren Umſtaͤnden nicht alles, was mir bekannt iſt, ſondern ſo viel und nicht mehr wiſſen ſollte als meine Mutter weiß.
Meine Mutter bringt hiebey ſolche Gruͤnde an, die einem Frauenzimmer, das mit einem ſelbſtgewaͤhlten Freyer gluͤcklich und vergnuͤgt zu leben hoft, ſchlechterdings allen Muth und Hof- nung benehmen.
Jch wuͤrde ihre Reden mehr zu Hertzen neh- men, wenn ich nicht wuͤßte, daß ſie eine Neben- Abſicht dabey hat, ihrer Tochter eine Ermah- nung zu geben, die zwar jetzund auf niemand an- ders eine Abſicht hat, aber doch den Freyer, den ihre Mutter ſo ſehr anpreiſet, nicht zwey Pfen- nige werth ſchaͤtzet.
Sie ſagt: woruͤber wird denn ſo viel Lerms gemacht? Jſt es eine ſo groſſe Sache, daß ein junges Frauenzimmer ihren Neigungen zuwider handeln ſolte, um allen ihren Verwandten einen Gefallen zu thun?
Jch dachte dabey: es iſt gut genug. Jetzt geht die Frage an, nachdem ſie viertzig Jahr
ſind.
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[116/0122]
Die Geſchichte
ne Mutter haͤlt das, was ſie zu mir geſagt hat,
fuͤr ſo wichtig, daß ſie mir befiehlt, es Jhnen
ſchriftlich zu melden. Jch folge deſto williger,
weil ich ſelbſt in meinem vorigen Schreiben nicht
wußte, wozu ich Jhnen rathen ſollte. Sie
werden dieſesmahl wenigſtens den Rath meiner
Mutter hoͤren; und vielleicht wuͤrden ihre Ge-
dancken zugleich die Gedancken der Welt ſeyn,
wenn dieſe von Jhren Umſtaͤnden nicht alles,
was mir bekannt iſt, ſondern ſo viel und nicht
mehr wiſſen ſollte als meine Mutter weiß.
Meine Mutter bringt hiebey ſolche Gruͤnde
an, die einem Frauenzimmer, das mit einem
ſelbſtgewaͤhlten Freyer gluͤcklich und vergnuͤgt zu
leben hoft, ſchlechterdings allen Muth und Hof-
nung benehmen.
Jch wuͤrde ihre Reden mehr zu Hertzen neh-
men, wenn ich nicht wuͤßte, daß ſie eine Neben-
Abſicht dabey hat, ihrer Tochter eine Ermah-
nung zu geben, die zwar jetzund auf niemand an-
ders eine Abſicht hat, aber doch den Freyer, den
ihre Mutter ſo ſehr anpreiſet, nicht zwey Pfen-
nige werth ſchaͤtzet.
Sie ſagt: woruͤber wird denn ſo viel Lerms
gemacht? Jſt es eine ſo groſſe Sache, daß ein
junges Frauenzimmer ihren Neigungen zuwider
handeln ſolte, um allen ihren Verwandten einen
Gefallen zu thun?
Jch dachte dabey: es iſt gut genug. Jetzt
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/122>, abgerufen am 24.11.2024.
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