Jch könte euch leicht antworten (sagte ich) wie es diese Beschuldigung verdient. Allein wenn ich gleich an euch keinen Bruder habe, so sollt ihr doch stets an mir eine Schwester behalten.
Eine artige Sanftmuth! wispelte meine Schwester mit verzogenen Lippen, und sahe mei- nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem vornehmen Gesicht, seine Liebe zu verdienen: alsdenn sollte sie mir nicht entstehen.
Nachdem wir uns gesetzt hatten, redete meine Mutter mit der gewöhnlichen Artigkeit und Vor- treflichkeit, die alle ihre Reden an sich haben, von der Liebe zwischen Geschwistern, und verwieß es meinem Bruder und meiner Schwester glimpflich, daß sie sich so leicht gegen mich hätten aufbringen lassen, wobey sie auf eine beynahe listige Weise für mich Bürge ward, daß ich dem Willen mei- nes Vaters Folge leisten würde. Mein Vater sagte: alsdenn würde alles gut seyn: mein Bruder: denn würden sie sich in mich ver- lieben: meine Schwester: sie würden mich so lieb als jemahls haben: und meines Vaters Brüder: denn würden sie recht stoltz auf mich seyn. Aller dieser Versprechungen werde ich mich leider begeben müssen.
So ward ich bewillkommet, als ich von Jh- nen zurück kam.
Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten, trat Herr Solmes in das Zimmer. Mein Va- ters Bruder Anton führte ihn zu mir, als einen Herrn, der sein besonders guter Freund sey. Mein
an-
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der Clariſſa.
Jch koͤnte euch leicht antworten (ſagte ich) wie es dieſe Beſchuldigung verdient. Allein wenn ich gleich an euch keinen Bruder habe, ſo ſollt ihr doch ſtets an mir eine Schweſter behalten.
Eine artige Sanftmuth! wiſpelte meine Schweſter mit verzogenen Lippen, und ſahe mei- nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem vornehmen Geſicht, ſeine Liebe zu verdienen: alsdenn ſollte ſie mir nicht entſtehen.
Nachdem wir uns geſetzt hatten, redete meine Mutter mit der gewoͤhnlichen Artigkeit und Vor- treflichkeit, die alle ihre Reden an ſich haben, von der Liebe zwiſchen Geſchwiſtern, und verwieß es meinem Bruder und meiner Schweſter glimpflich, daß ſie ſich ſo leicht gegen mich haͤtten aufbringen laſſen, wobey ſie auf eine beynahe liſtige Weiſe fuͤr mich Buͤrge ward, daß ich dem Willen mei- nes Vaters Folge leiſten wuͤrde. Mein Vater ſagte: alsdenn wuͤrde alles gut ſeyn: mein Bruder: denn wuͤrden ſie ſich in mich ver- lieben: meine Schweſter: ſie wuͤrden mich ſo lieb als jemahls haben: und meines Vaters Bruͤder: denn wuͤrden ſie recht ſtoltz auf mich ſeyn. Aller dieſer Verſprechungen werde ich mich leider begeben muͤſſen.
So ward ich bewillkommet, als ich von Jh- nen zuruͤck kam.
Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten, trat Herr Solmes in das Zimmer. Mein Va- ters Bruder Anton fuͤhrte ihn zu mir, als einen Herrn, der ſein beſonders guter Freund ſey. Mein
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der Clariſſa.
Jch koͤnte euch leicht antworten (ſagte ich) wie
es dieſe Beſchuldigung verdient. Allein wenn ich
gleich an euch keinen Bruder habe, ſo ſollt ihr doch
ſtets an mir eine Schweſter behalten.
Eine artige Sanftmuth! wiſpelte meine
Schweſter mit verzogenen Lippen, und ſahe mei-
nen Bruder dabey an. Er befahl mir mit einem
vornehmen Geſicht, ſeine Liebe zu verdienen:
alsdenn ſollte ſie mir nicht entſtehen.
Nachdem wir uns geſetzt hatten, redete meine
Mutter mit der gewoͤhnlichen Artigkeit und Vor-
treflichkeit, die alle ihre Reden an ſich haben, von
der Liebe zwiſchen Geſchwiſtern, und verwieß es
meinem Bruder und meiner Schweſter glimpflich,
daß ſie ſich ſo leicht gegen mich haͤtten aufbringen
laſſen, wobey ſie auf eine beynahe liſtige Weiſe
fuͤr mich Buͤrge ward, daß ich dem Willen mei-
nes Vaters Folge leiſten wuͤrde. Mein Vater
ſagte: alsdenn wuͤrde alles gut ſeyn: mein
Bruder: denn wuͤrden ſie ſich in mich ver-
lieben: meine Schweſter: ſie wuͤrden mich ſo
lieb als jemahls haben: und meines Vaters
Bruͤder: denn wuͤrden ſie recht ſtoltz auf
mich ſeyn. Aller dieſer Verſprechungen werde
ich mich leider begeben muͤſſen.
So ward ich bewillkommet, als ich von Jh-
nen zuruͤck kam.
Ehe wir noch den Thee ausgetruncken hatten,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/89>, abgerufen am 27.11.2024.
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