Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Um mich zu überzeugen, daß sie alle gleicher
Meinung wären, sagte mein Vetter Harlowe:
er hoffe, seine liebe Baase verlangte nur ihres Va-
ters Willen zu wissen, um eine Probe ihres Ge-
horsams geben zu können. Und mein Vetter
Anton setzte nach seiner rauhen Art hinzu: ich
würde hoffentlich keine Ursache geben, zu fürchten,
daß ich meines Grosvaters Gütigkeit misbrau-
chen wollte, mich von dem schuldigen Gehorsam
loos zu machen. Wenn ich dergleichen dächte,
so könne er mir versichern, daß man das Testa-
ment meines Grosvaters umstossen könnte und
würde.

Jch erstaunete: das können Sie leicht dencken.
Jch konnte nicht begreiffen, auf wen alle diese
Vorbereitungen zieleten: ob Herr Wyerley von
neuen um mich angehalten hätte, oder sonst jemand
anders? Jungen Mädchens pflegen doch leicht
grosse Vergleichungen einzufallen, wenn es ihre
eigene Sache betrifft: und mir kam diese Anwer-
bung, in wessen Namen sie auch geschehen möch-
te, so vor, als die Anwerbung der Engländer um
die Printzeßin von Schottland zu Zeit König
Eduard des sechsten. Wie könnte ich mir aber
träumen lassen, daß Herr Solmes der Freyer sey,
den man mir aufdringen wollte?

Jch wüßte nicht, antwortete ich, daß ich Ursa-
che gegeben hätte, so hart mit mir zu verfahren.
Jch hoffete, daß ich gegen ihre viele Liebe nie un-
erkenntlich seyn würde; und über dieses würde ich
mich stets der Pflicht einer Tochter und einer

Bru-
E 2
der Clariſſa.

Um mich zu uͤberzeugen, daß ſie alle gleicher
Meinung waͤren, ſagte mein Vetter Harlowe:
er hoffe, ſeine liebe Baaſe verlangte nur ihres Va-
ters Willen zu wiſſen, um eine Probe ihres Ge-
horſams geben zu koͤnnen. Und mein Vetter
Anton ſetzte nach ſeiner rauhen Art hinzu: ich
wuͤrde hoffentlich keine Urſache geben, zu fuͤrchten,
daß ich meines Grosvaters Guͤtigkeit misbrau-
chen wollte, mich von dem ſchuldigen Gehorſam
loos zu machen. Wenn ich dergleichen daͤchte,
ſo koͤnne er mir verſichern, daß man das Teſta-
ment meines Grosvaters umſtoſſen koͤnnte und
wuͤrde.

Jch erſtaunete: das koͤnnen Sie leicht dencken.
Jch konnte nicht begreiffen, auf wen alle dieſe
Vorbereitungen zieleten: ob Herr Wyerley von
neuen um mich angehalten haͤtte, oder ſonſt jemand
anders? Jungen Maͤdchens pflegen doch leicht
groſſe Vergleichungen einzufallen, wenn es ihre
eigene Sache betrifft: und mir kam dieſe Anwer-
bung, in weſſen Namen ſie auch geſchehen moͤch-
te, ſo vor, als die Anwerbung der Englaͤnder um
die Printzeßin von Schottland zu Zeit Koͤnig
Eduard des ſechſten. Wie koͤnnte ich mir aber
traͤumen laſſen, daß Herr Solmes der Freyer ſey,
den man mir aufdringen wollte?

Jch wuͤßte nicht, antwortete ich, daß ich Urſa-
che gegeben haͤtte, ſo hart mit mir zu verfahren.
Jch hoffete, daß ich gegen ihre viele Liebe nie un-
erkenntlich ſeyn wuͤrde; und uͤber dieſes wuͤrde ich
mich ſtets der Pflicht einer Tochter und einer

Bru-
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0087" n="67"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Um mich zu u&#x0364;berzeugen, daß &#x017F;ie alle gleicher<lb/>
Meinung wa&#x0364;ren, &#x017F;agte mein Vetter <hi rendition="#fr">Harlowe:</hi><lb/>
er hoffe, &#x017F;eine liebe Baa&#x017F;e verlangte nur ihres Va-<lb/>
ters Willen zu wi&#x017F;&#x017F;en, um eine Probe ihres Ge-<lb/>
hor&#x017F;ams geben zu ko&#x0364;nnen. Und mein Vetter<lb/><hi rendition="#fr">Anton</hi> &#x017F;etzte nach &#x017F;einer rauhen Art hinzu: ich<lb/>
wu&#x0364;rde hoffentlich keine Ur&#x017F;ache geben, zu fu&#x0364;rchten,<lb/>
daß ich meines Grosvaters Gu&#x0364;tigkeit misbrau-<lb/>
chen wollte, mich von dem &#x017F;chuldigen Gehor&#x017F;am<lb/>
loos zu machen. Wenn ich dergleichen da&#x0364;chte,<lb/>
&#x017F;o ko&#x0364;nne er mir ver&#x017F;ichern, daß man das Te&#x017F;ta-<lb/>
ment meines Grosvaters um&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnte und<lb/>
wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Jch er&#x017F;taunete: das ko&#x0364;nnen Sie leicht dencken.<lb/>
Jch konnte nicht begreiffen, auf wen alle die&#x017F;e<lb/>
Vorbereitungen zieleten: ob Herr <hi rendition="#fr">Wyerley</hi> von<lb/>
neuen um mich angehalten ha&#x0364;tte, oder &#x017F;on&#x017F;t jemand<lb/>
anders? Jungen Ma&#x0364;dchens pflegen doch leicht<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Vergleichungen einzufallen, wenn es ihre<lb/>
eigene Sache betrifft: und mir kam die&#x017F;e Anwer-<lb/>
bung, in we&#x017F;&#x017F;en Namen &#x017F;ie auch ge&#x017F;chehen mo&#x0364;ch-<lb/>
te, &#x017F;o vor, als die Anwerbung der Engla&#x0364;nder um<lb/>
die Printzeßin von Schottland zu Zeit Ko&#x0364;nig<lb/><hi rendition="#fr">Eduard</hi> des &#x017F;ech&#x017F;ten. Wie ko&#x0364;nnte ich mir aber<lb/>
tra&#x0364;umen la&#x017F;&#x017F;en, daß Herr <hi rendition="#fr">Solmes</hi> der Freyer &#x017F;ey,<lb/>
den man mir aufdringen wollte?</p><lb/>
        <p>Jch wu&#x0364;ßte nicht, antwortete ich, daß ich Ur&#x017F;a-<lb/>
che gegeben ha&#x0364;tte, &#x017F;o hart mit mir zu verfahren.<lb/>
Jch hoffete, daß ich gegen ihre viele Liebe nie un-<lb/>
erkenntlich &#x017F;eyn wu&#x0364;rde; und u&#x0364;ber die&#x017F;es wu&#x0364;rde ich<lb/>
mich &#x017F;tets der Pflicht einer Tochter und einer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Bru-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0087] der Clariſſa. Um mich zu uͤberzeugen, daß ſie alle gleicher Meinung waͤren, ſagte mein Vetter Harlowe: er hoffe, ſeine liebe Baaſe verlangte nur ihres Va- ters Willen zu wiſſen, um eine Probe ihres Ge- horſams geben zu koͤnnen. Und mein Vetter Anton ſetzte nach ſeiner rauhen Art hinzu: ich wuͤrde hoffentlich keine Urſache geben, zu fuͤrchten, daß ich meines Grosvaters Guͤtigkeit misbrau- chen wollte, mich von dem ſchuldigen Gehorſam loos zu machen. Wenn ich dergleichen daͤchte, ſo koͤnne er mir verſichern, daß man das Teſta- ment meines Grosvaters umſtoſſen koͤnnte und wuͤrde. Jch erſtaunete: das koͤnnen Sie leicht dencken. Jch konnte nicht begreiffen, auf wen alle dieſe Vorbereitungen zieleten: ob Herr Wyerley von neuen um mich angehalten haͤtte, oder ſonſt jemand anders? Jungen Maͤdchens pflegen doch leicht groſſe Vergleichungen einzufallen, wenn es ihre eigene Sache betrifft: und mir kam dieſe Anwer- bung, in weſſen Namen ſie auch geſchehen moͤch- te, ſo vor, als die Anwerbung der Englaͤnder um die Printzeßin von Schottland zu Zeit Koͤnig Eduard des ſechſten. Wie koͤnnte ich mir aber traͤumen laſſen, daß Herr Solmes der Freyer ſey, den man mir aufdringen wollte? Jch wuͤßte nicht, antwortete ich, daß ich Urſa- che gegeben haͤtte, ſo hart mit mir zu verfahren. Jch hoffete, daß ich gegen ihre viele Liebe nie un- erkenntlich ſeyn wuͤrde; und uͤber dieſes wuͤrde ich mich ſtets der Pflicht einer Tochter und einer Bru- E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/87
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/87>, abgerufen am 27.11.2024.