Jch wandte mich hierauf zu meines Vaters Brüdern und zu meiner Schwester, die mich mit einem sauren und gezwungenen Gesicht willkom- men hieß. Es ward mir befohlen, mich nieder- zulassen. Jch war voller Kummer, und sagte: es sey meine Schuldigkeit zu stehen, falls ich an- ders eine so ernstliche und ungewöhnliche Aufnah- me ausstehen könnte. Jch muste mein Gesicht weg wenden, und mir mit dem Tuch einige Thrä- nen abwischen.
Mein Bruder und Ankläger trat auf, und be- schuldigte mich, daß ich bey Fräulein Howe nicht weniger als fünf oder sechs mahl einen Besuch von der Person angenommen hätte, die sie insge- samt mit Recht hassen müsten, (dis war sein Ausdruck) ohngeachtet mir das Gegentheil be- fohlen wäre. Jch sollte es leugnen, wenn ich könnte.
Jch antwortete: ich sey nicht gewohnt, die Wahrheit zu verleugnen, und wollte es auch jetzt nicht thun. Jch wollte gern bekennen, daß ich die Person die er meynete in den nächsten drey Wochen öfter als fünf oder sechs mahl gesprochen hätte: (Laßt mich nur ausreden/ mein Bru- der! muste ich hier sagen, weil er sich nicht länger halten konnte) allein daß er stets nach der gnädigen Frau oder Fräulein Howe gefragt habe. Beyde, setzte ich hinzu, würden gewiß bey jetzigen Umständen lieber seinen Besuch ab- gelehnt haben: Davon wäre ich vest versichert. Allein sie hätten sich mehr als einmahl damit
ent-
der Clariſſa.
Jch wandte mich hierauf zu meines Vaters Bruͤdern und zu meiner Schweſter, die mich mit einem ſauren und gezwungenen Geſicht willkom- men hieß. Es ward mir befohlen, mich nieder- zulaſſen. Jch war voller Kummer, und ſagte: es ſey meine Schuldigkeit zu ſtehen, falls ich an- ders eine ſo ernſtliche und ungewoͤhnliche Aufnah- me ausſtehen koͤnnte. Jch muſte mein Geſicht weg wenden, und mir mit dem Tuch einige Thraͤ- nen abwiſchen.
Mein Bruder und Anklaͤger trat auf, und be- ſchuldigte mich, daß ich bey Fraͤulein Howe nicht weniger als fuͤnf oder ſechs mahl einen Beſuch von der Perſon angenommen haͤtte, die ſie insge- ſamt mit Recht haſſen muͤſten, (dis war ſein Ausdruck) ohngeachtet mir das Gegentheil be- fohlen waͤre. Jch ſollte es leugnen, wenn ich koͤnnte.
Jch antwortete: ich ſey nicht gewohnt, die Wahrheit zu verleugnen, und wollte es auch jetzt nicht thun. Jch wollte gern bekennen, daß ich die Perſon die er meynete in den naͤchſten drey Wochen oͤfter als fuͤnf oder ſechs mahl geſprochen haͤtte: (Laßt mich nur ausreden/ mein Bru- der! muſte ich hier ſagen, weil er ſich nicht laͤnger halten konnte) allein daß er ſtets nach der gnaͤdigen Frau oder Fraͤulein Howe gefragt habe. Beyde, ſetzte ich hinzu, wuͤrden gewiß bey jetzigen Umſtaͤnden lieber ſeinen Beſuch ab- gelehnt haben: Davon waͤre ich veſt verſichert. Allein ſie haͤtten ſich mehr als einmahl damit
ent-
<TEI><text><body><divn="2"><pbfacs="#f0083"n="63"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/><p>Jch wandte mich hierauf zu meines Vaters<lb/>
Bruͤdern und zu meiner Schweſter, die mich mit<lb/>
einem ſauren und gezwungenen Geſicht willkom-<lb/>
men hieß. Es ward mir befohlen, mich nieder-<lb/>
zulaſſen. Jch war voller Kummer, und ſagte:<lb/>
es ſey meine Schuldigkeit zu ſtehen, falls ich an-<lb/>
ders eine ſo ernſtliche und ungewoͤhnliche Aufnah-<lb/>
me ausſtehen koͤnnte. Jch muſte mein Geſicht<lb/>
weg wenden, und mir mit dem Tuch einige Thraͤ-<lb/>
nen abwiſchen.</p><lb/><p>Mein Bruder und Anklaͤger trat auf, und be-<lb/>ſchuldigte mich, daß ich bey Fraͤulein <hirendition="#fr">Howe</hi> nicht<lb/>
weniger als fuͤnf oder ſechs mahl einen Beſuch<lb/>
von der Perſon angenommen haͤtte, die ſie insge-<lb/>ſamt mit Recht haſſen muͤſten, (dis war ſein<lb/>
Ausdruck) ohngeachtet mir das Gegentheil be-<lb/>
fohlen waͤre. Jch ſollte es leugnen, wenn ich<lb/>
koͤnnte.</p><lb/><p>Jch antwortete: ich ſey nicht gewohnt, die<lb/>
Wahrheit zu verleugnen, und wollte es auch jetzt<lb/>
nicht thun. Jch wollte gern bekennen, daß ich<lb/>
die Perſon die er meynete in den naͤchſten drey<lb/>
Wochen oͤfter als fuͤnf oder ſechs mahl geſprochen<lb/>
haͤtte: (<hirendition="#fr">Laßt mich nur ausreden/ mein Bru-<lb/>
der!</hi> muſte ich hier ſagen, weil er ſich nicht<lb/>
laͤnger halten konnte) allein daß er ſtets nach<lb/>
der gnaͤdigen Frau oder Fraͤulein <hirendition="#fr">Howe</hi> gefragt<lb/>
habe. Beyde, ſetzte ich hinzu, wuͤrden gewiß<lb/>
bey jetzigen Umſtaͤnden lieber ſeinen Beſuch ab-<lb/>
gelehnt haben: Davon waͤre ich veſt verſichert.<lb/>
Allein ſie haͤtten ſich mehr als einmahl damit<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ent-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[63/0083]
der Clariſſa.
Jch wandte mich hierauf zu meines Vaters
Bruͤdern und zu meiner Schweſter, die mich mit
einem ſauren und gezwungenen Geſicht willkom-
men hieß. Es ward mir befohlen, mich nieder-
zulaſſen. Jch war voller Kummer, und ſagte:
es ſey meine Schuldigkeit zu ſtehen, falls ich an-
ders eine ſo ernſtliche und ungewoͤhnliche Aufnah-
me ausſtehen koͤnnte. Jch muſte mein Geſicht
weg wenden, und mir mit dem Tuch einige Thraͤ-
nen abwiſchen.
Mein Bruder und Anklaͤger trat auf, und be-
ſchuldigte mich, daß ich bey Fraͤulein Howe nicht
weniger als fuͤnf oder ſechs mahl einen Beſuch
von der Perſon angenommen haͤtte, die ſie insge-
ſamt mit Recht haſſen muͤſten, (dis war ſein
Ausdruck) ohngeachtet mir das Gegentheil be-
fohlen waͤre. Jch ſollte es leugnen, wenn ich
koͤnnte.
Jch antwortete: ich ſey nicht gewohnt, die
Wahrheit zu verleugnen, und wollte es auch jetzt
nicht thun. Jch wollte gern bekennen, daß ich
die Perſon die er meynete in den naͤchſten drey
Wochen oͤfter als fuͤnf oder ſechs mahl geſprochen
haͤtte: (Laßt mich nur ausreden/ mein Bru-
der! muſte ich hier ſagen, weil er ſich nicht
laͤnger halten konnte) allein daß er ſtets nach
der gnaͤdigen Frau oder Fraͤulein Howe gefragt
habe. Beyde, ſetzte ich hinzu, wuͤrden gewiß
bey jetzigen Umſtaͤnden lieber ſeinen Beſuch ab-
gelehnt haben: Davon waͤre ich veſt verſichert.
Allein ſie haͤtten ſich mehr als einmahl damit
ent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/83>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.