Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
Syrene einnehmen lassen? Meine Mutter hat
wohl gethan, daß sie nicht mitgekommen ist. Jch
glaube fast, daß sich mein Vater von ihr würde
haben herum lencken lassen, wenn der erste Zorn
vorüber gewesen wäre. Niemand kann etwas
bey ihr ausrichten, als mein Bruder allein.
Der weiß wie er es angreiffen soll.

Dencken sie ja nicht darauf (sagte meine Base
noch mit leiser Stimme) daß ihr Bruder herauf
kommen soll. Er kann sich gar zu wenig halten.
Jch sehe bey ihr keine Hartnäckigkeit, keine Unart.
Wenn ihr Bruder herauf kommt, so mag ich für
die Folgen nicht stehen; denn ich dachte ohnehin
ein paar mahl, daß sie ohnmächtig merden würde.

Ach Frau Base, sie hat ein hartes Hertz. Sie
sahen, daß sie auch durch ihr Knien nichts bey ihr
ausrichten konnten.

Meine Schwester ließ sie darauf allein am Fen-
ster stehen, wo sie in Gedancken blieb, und uns
den Rücken zukehrte. Hievon nahm meine Schwe-
ster Anlaß, mich noch empfindlicher auszuspotten.
Denn sie hohlte aus meinem Closet die Proben,
die meine Mutter geschickt hatte, und legte sie auf
dem Stuhl neben mir auseinander, hielt sie dar-
auf nach der Reihe auf ihren Ermel und Schul-
ter, und sagte mit einer angenommenen Gelassen-
heit, und so daß es Frau Hervey nicht hören konn-
te: Das, Clärchen, ist eine artige Probe, allein
jene sieht recht allerliebst aus. Jch wollte euch ra-
then, das Braut-Kleid davon zu wählen. Wenn
ich an eurer Stelle wäre, so sollte dieses mein
Abend-Kleid am Hochzeit-Tage seyn. Hievon

sollte
Erster Theil. K k

der Clariſſa.
Syrene einnehmen laſſen? Meine Mutter hat
wohl gethan, daß ſie nicht mitgekommen iſt. Jch
glaube faſt, daß ſich mein Vater von ihr wuͤrde
haben herum lencken laſſen, wenn der erſte Zorn
voruͤber geweſen waͤre. Niemand kann etwas
bey ihr ausrichten, als mein Bruder allein.
Der weiß wie er es angreiffen ſoll.

Dencken ſie ja nicht darauf (ſagte meine Baſe
noch mit leiſer Stimme) daß ihr Bruder herauf
kommen ſoll. Er kann ſich gar zu wenig halten.
Jch ſehe bey ihr keine Hartnaͤckigkeit, keine Unart.
Wenn ihr Bruder herauf kommt, ſo mag ich fuͤr
die Folgen nicht ſtehen; denn ich dachte ohnehin
ein paar mahl, daß ſie ohnmaͤchtig merden wuͤrde.

Ach Frau Baſe, ſie hat ein hartes Hertz. Sie
ſahen, daß ſie auch durch ihr Knien nichts bey ihr
ausrichten konnten.

Meine Schweſter ließ ſie darauf allein am Fen-
ſter ſtehen, wo ſie in Gedancken blieb, und uns
den Ruͤcken zukehrte. Hievon nahm meine Schwe-
ſter Anlaß, mich noch empfindlicher auszuſpotten.
Denn ſie hohlte aus meinem Cloſet die Proben,
die meine Mutter geſchickt hatte, und legte ſie auf
dem Stuhl neben mir auseinander, hielt ſie dar-
auf nach der Reihe auf ihren Ermel und Schul-
ter, und ſagte mit einer angenommenen Gelaſſen-
heit, und ſo daß es Frau Hervey nicht hoͤren konn-
te: Das, Claͤrchen, iſt eine artige Probe, allein
jene ſieht recht allerliebſt aus. Jch wollte euch ra-
then, das Braut-Kleid davon zu waͤhlen. Wenn
ich an eurer Stelle waͤre, ſo ſollte dieſes mein
Abend-Kleid am Hochzeit-Tage ſeyn. Hievon

ſollte
Erſter Theil. K k
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0533" n="513"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
Syrene einnehmen la&#x017F;&#x017F;en? Meine Mutter hat<lb/>
wohl gethan, daß &#x017F;ie nicht mitgekommen i&#x017F;t. Jch<lb/>
glaube fa&#x017F;t, daß &#x017F;ich mein Vater von ihr wu&#x0364;rde<lb/>
haben herum lencken la&#x017F;&#x017F;en, wenn der er&#x017F;te Zorn<lb/>
voru&#x0364;ber gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Niemand kann etwas<lb/>
bey ihr ausrichten, als mein Bruder allein.<lb/>
Der weiß wie er es angreiffen &#x017F;oll.</p><lb/>
        <p>Dencken &#x017F;ie ja nicht darauf (&#x017F;agte meine Ba&#x017F;e<lb/>
noch mit lei&#x017F;er Stimme) daß ihr Bruder herauf<lb/>
kommen &#x017F;oll. Er kann &#x017F;ich gar zu wenig halten.<lb/>
Jch &#x017F;ehe bey ihr keine Hartna&#x0364;ckigkeit, keine Unart.<lb/>
Wenn ihr Bruder herauf kommt, &#x017F;o mag ich fu&#x0364;r<lb/>
die Folgen nicht &#x017F;tehen; denn ich dachte ohnehin<lb/>
ein paar mahl, daß &#x017F;ie ohnma&#x0364;chtig merden wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Ach Frau Ba&#x017F;e, &#x017F;ie hat ein hartes Hertz. Sie<lb/>
&#x017F;ahen, daß &#x017F;ie auch durch ihr Knien nichts bey ihr<lb/>
ausrichten konnten.</p><lb/>
        <p>Meine Schwe&#x017F;ter ließ &#x017F;ie darauf allein am Fen-<lb/>
&#x017F;ter &#x017F;tehen, wo &#x017F;ie in Gedancken blieb, und uns<lb/>
den Ru&#x0364;cken zukehrte. Hievon nahm meine Schwe-<lb/>
&#x017F;ter Anlaß, mich noch empfindlicher auszu&#x017F;potten.<lb/>
Denn &#x017F;ie hohlte aus meinem <hi rendition="#fr">Clo&#x017F;et</hi> die Proben,<lb/>
die meine Mutter ge&#x017F;chickt hatte, und legte &#x017F;ie auf<lb/>
dem Stuhl neben mir auseinander, hielt &#x017F;ie dar-<lb/>
auf nach der Reihe auf ihren Ermel und Schul-<lb/>
ter, und &#x017F;agte mit einer angenommenen Gela&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit, und &#x017F;o daß es Frau <hi rendition="#fr">Hervey</hi> nicht ho&#x0364;ren konn-<lb/>
te: Das, <hi rendition="#fr">Cla&#x0364;rchen,</hi> i&#x017F;t eine artige Probe, allein<lb/>
jene &#x017F;ieht recht allerlieb&#x017F;t aus. Jch wollte euch ra-<lb/>
then, das Braut-Kleid davon zu wa&#x0364;hlen. Wenn<lb/>
ich an eurer Stelle wa&#x0364;re, &#x017F;o &#x017F;ollte die&#x017F;es mein<lb/>
Abend-Kleid am Hochzeit-Tage &#x017F;eyn. Hievon<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> K k</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ollte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[513/0533] der Clariſſa. Syrene einnehmen laſſen? Meine Mutter hat wohl gethan, daß ſie nicht mitgekommen iſt. Jch glaube faſt, daß ſich mein Vater von ihr wuͤrde haben herum lencken laſſen, wenn der erſte Zorn voruͤber geweſen waͤre. Niemand kann etwas bey ihr ausrichten, als mein Bruder allein. Der weiß wie er es angreiffen ſoll. Dencken ſie ja nicht darauf (ſagte meine Baſe noch mit leiſer Stimme) daß ihr Bruder herauf kommen ſoll. Er kann ſich gar zu wenig halten. Jch ſehe bey ihr keine Hartnaͤckigkeit, keine Unart. Wenn ihr Bruder herauf kommt, ſo mag ich fuͤr die Folgen nicht ſtehen; denn ich dachte ohnehin ein paar mahl, daß ſie ohnmaͤchtig merden wuͤrde. Ach Frau Baſe, ſie hat ein hartes Hertz. Sie ſahen, daß ſie auch durch ihr Knien nichts bey ihr ausrichten konnten. Meine Schweſter ließ ſie darauf allein am Fen- ſter ſtehen, wo ſie in Gedancken blieb, und uns den Ruͤcken zukehrte. Hievon nahm meine Schwe- ſter Anlaß, mich noch empfindlicher auszuſpotten. Denn ſie hohlte aus meinem Cloſet die Proben, die meine Mutter geſchickt hatte, und legte ſie auf dem Stuhl neben mir auseinander, hielt ſie dar- auf nach der Reihe auf ihren Ermel und Schul- ter, und ſagte mit einer angenommenen Gelaſſen- heit, und ſo daß es Frau Hervey nicht hoͤren konn- te: Das, Claͤrchen, iſt eine artige Probe, allein jene ſieht recht allerliebſt aus. Jch wollte euch ra- then, das Braut-Kleid davon zu waͤhlen. Wenn ich an eurer Stelle waͤre, ſo ſollte dieſes mein Abend-Kleid am Hochzeit-Tage ſeyn. Hievon ſollte Erſter Theil. K k

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/533
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/533>, abgerufen am 03.05.2024.