Jch: ich bin aufs äusserste getrieben. Jch kann nichts härteres mehr zu gewarten haben. Jch will ihn nicht sprechen.
Mit dieser Antwort gieng sie hinunter. Es schien, sie stellete sich, als wollte sie nicht gern aus- richten, was ich gesagt hatte: es ward ihr darauf befohlen, nichts zu verheelen; und sie gab ihnen meine Antwort auf das vollständigste und nach- drücklichste.
Wie fieng mein Vater an zu donnern! Es schien, daß sie alle in seiner Studir-Stube bey- sammen waren. Mein Bruder rieth, man sollte mich gleich aus dem Hause jagen, und mich Lo- velacen und meinem Schicksaal überlassen. Mei- ne Mutter legte ein gütiges Wort für mich ein: ich konnte aber nicht verstehen, was es war: nur hörte ich diese Antwort darauf: mein Kind, eine Frau von deinem Verstande kann nichts uner- träglicheres sagen, als dis. Cin ungehorsohmes Kind eben so zu lieben, als wenn es gehorsahm wä- re! Wer kann dabey Lust bekommen, gehorsahm zu seyn? Habe ich sie nicht sonst eben so lieb ge- habt, als du? und warum habe ich mich geändert? Ach wenn doch Frauens-Leute einen Unterscheid zu machen wüßten! Eine liebreiche Mutter wird im- mer eine hartnäckige Tochter haben.
Sie verwieß es der Elisabeth, (wie das Mäd- chen selbst gestand) daß sie meine Antwort so voll- ständig wider gesagt hätte. Allein mein Vater sagte, sie wäre dafür zu loben.
Sie
Die Gſchichte
Jch: ich bin aufs aͤuſſerſte getrieben. Jch kann nichts haͤrteres mehr zu gewarten haben. Jch will ihn nicht ſprechen.
Mit dieſer Antwort gieng ſie hinunter. Es ſchien, ſie ſtellete ſich, als wollte ſie nicht gern aus- richten, was ich geſagt hatte: es ward ihr darauf befohlen, nichts zu verheelen; und ſie gab ihnen meine Antwort auf das vollſtaͤndigſte und nach- druͤcklichſte.
Wie fieng mein Vater an zu donnern! Es ſchien, daß ſie alle in ſeiner Studir-Stube bey- ſammen waren. Mein Bruder rieth, man ſollte mich gleich aus dem Hauſe jagen, und mich Lo- velacen und meinem Schickſaal uͤberlaſſen. Mei- ne Mutter legte ein guͤtiges Wort fuͤr mich ein: ich konnte aber nicht verſtehen, was es war: nur hoͤrte ich dieſe Antwort darauf: mein Kind, eine Frau von deinem Verſtande kann nichts uner- traͤglicheres ſagen, als dis. Cin ungehorſohmes Kind eben ſo zu lieben, als wenn es gehorſahm waͤ- re! Wer kann dabey Luſt bekommen, gehorſahm zu ſeyn? Habe ich ſie nicht ſonſt eben ſo lieb ge- habt, als du? und warum habe ich mich geaͤndert? Ach wenn doch Frauens-Leute einen Unterſcheid zu machen wuͤßten! Eine liebreiche Mutter wird im- mer eine hartnaͤckige Tochter haben.
Sie verwieß es der Eliſabeth, (wie das Maͤd- chen ſelbſt geſtand) daß ſie meine Antwort ſo voll- ſtaͤndig wider geſagt haͤtte. Allein mein Vater ſagte, ſie waͤre dafuͤr zu loben.
Sie
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Die Gſchichte
Jch: ich bin aufs aͤuſſerſte getrieben. Jch
kann nichts haͤrteres mehr zu gewarten haben. Jch
will ihn nicht ſprechen.
Mit dieſer Antwort gieng ſie hinunter. Es
ſchien, ſie ſtellete ſich, als wollte ſie nicht gern aus-
richten, was ich geſagt hatte: es ward ihr darauf
befohlen, nichts zu verheelen; und ſie gab ihnen
meine Antwort auf das vollſtaͤndigſte und nach-
druͤcklichſte.
Wie fieng mein Vater an zu donnern! Es
ſchien, daß ſie alle in ſeiner Studir-Stube bey-
ſammen waren. Mein Bruder rieth, man ſollte
mich gleich aus dem Hauſe jagen, und mich Lo-
velacen und meinem Schickſaal uͤberlaſſen. Mei-
ne Mutter legte ein guͤtiges Wort fuͤr mich ein:
ich konnte aber nicht verſtehen, was es war: nur
hoͤrte ich dieſe Antwort darauf: mein Kind, eine
Frau von deinem Verſtande kann nichts uner-
traͤglicheres ſagen, als dis. Cin ungehorſohmes
Kind eben ſo zu lieben, als wenn es gehorſahm waͤ-
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zu ſeyn? Habe ich ſie nicht ſonſt eben ſo lieb ge-
habt, als du? und warum habe ich mich geaͤndert?
Ach wenn doch Frauens-Leute einen Unterſcheid zu
machen wuͤßten! Eine liebreiche Mutter wird im-
mer eine hartnaͤckige Tochter haben.
Sie verwieß es der Eliſabeth, (wie das Maͤd-
chen ſelbſt geſtand) daß ſie meine Antwort ſo voll-
ſtaͤndig wider geſagt haͤtte. Allein mein Vater
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/496>, abgerufen am 23.11.2024.
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